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Hyperinflation von 1923: Von Weimar lernen

Die Hyperinflation von 1923 sollte auch der Europäischen Zentralbank zu denken geben.
Inflation 1923 - Notgeld
Foto: dpa | Von Weimarer Verhältnissen ist Deutschland mit Blick auf die aktuelle Inflationsrate weit entfernt. Dennoch ist die inflationsbedingte Lage ernst.

Beinahe genau vor hundert Jahren – also 1923 – grassierte in Deutschland die Hyperinflation: Geldscheine mit Billionenwerten gehörten zum Alltag und an jedem Tag verlor das Geld weiter an Wert. Es taugte weder als Zahlungsmittel noch als Wertmaßstab, und erst recht nicht zur Wertaufbewahrung. Damit hatte es seine dienlichen Grundfunktionen verloren. Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit flankierten diese dunkle Zeit.

2022, also fast hundert Jahre später, wird wieder hitzig über Inflation und ihre Gefahren diskutiert, selbst wenn wir von der damaligen Katastrophe noch weit entfernt sind. Immerhin war die Preissteigerungsrate in Deutschland 2021 mit 3.1 Prozent wieder so hoch wie zuletzt 1993, und das im Januar 2022 mit weiter steigender Tendenz auf 5 Prozent. Die Folge: Vieles wird teurer, Mieten und Immobilienpreise sind fast unerschwinglich, zudem gibt es keine Zinsen. So verliert das Geld seinen Wert, selbst wenn gar kein Geld ausgegeben wird. Das ist die tückische Spirale schleichender Enteignung: Sie droht vor allem in einer Phase der Null- und Minuszinsen, zusätzlich geschürt durch Zukunftsängste wie etwa vor Krieg oder der Corona-Pandemie.

Das Dilemma vieler Menschen in diesen Tagen besteht darin, eine Wirtschaftskrise zu befürchten und gleichzeitig das eigene Geld nicht sparen zu können, ohne dabei zu verlieren. Diejenigen, die es sich wiederum leisten können, fliehen wiederum mit ihrem Vermögen in Sachwerte. Die Inflation trifft so vor allem diejenigen, die sich keine Immobilien oder Rohstoffe wie Gold, Silber oder Ähnliches leisten können – also normale Sparer, deren Vermögen dahinschwindet und alte Menschen, deren Renten immer weniger wert werden. Inflation ist also sozial ungerecht, weil sie besonders diejenigen benachteiligt, die aufs Geld angewiesen sind.

Immobilienblase droht zu platzen

In absehbarer Zukunft muss wohl außerdem mit dem Platzen der Immobilienblase gerechnet werden, und dies hätte gravierende rezessive Folgen für die Gesamtwirtschaft. Unabhängig hiervon wird auch das Inflationsrisiko beständig ansteigen. Was kann jetzt dagegen getan werden?

Inflation geschieht dann, wenn die Geldmenge schneller steigt als die Produktion und wenn sich die Geschwindigkeit – die sogenannte Umlaufgeschwindigkeit U – erhöht, mit der die Menschen das Geld ausgeben. Für die Geldmenge ist maßgeblich die Geldpolitik der Zentralbank verantwortlich. Die Umlaufgeschwindigkeit U steigt vor allem bei sinkendem Vertrauen in den Geldwert – spätestens dann nämlich, wenn verunsicherte Menschen ihr Geld schnell los werden und es in Waren umsetzen wollen, da bereits am kommenden Tag das gleiche Geld weniger wert sein wird als noch am Tag zuvor. Der Vertrauensverlust kurbelt also weiter die Inflation an, ein Teufelskreis. Deshalb ist Vertrauen in den Geldwert ein besonders schützenswertes Gut.

Der Kurs der EZB

In den Europäischen Verträgen wurde dafür das Ziel der Preisstabilität als die alleinige Aufgabe einer von politischen Einflüssen autonomen EZB festgeschrieben. So hatte es die Bundesbank vor der Währungsunion mit Erfolg praktiziert. Die Geschichte lehrte nämlich, dass politisch populäre und eher kurzfristig zu erreichende Ziele, wie Strohfeuer am Arbeitsmarkt, anstehende Wahlen oder Ähnliches das komplexe und deshalb nicht so leicht zu erklärende Ziel der Preisstabilität schnell gefährden.

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Die EZB verfolgt nun schon lange einen anderen Kurs als früher die Bundesbank. In Folge der großen Finanzkrise erleben wir eine fortdauernd expansive Politik mit Negativzinsen, umfangreichen Rettungspaketen und mit massiven Anleihekäufen. Dahinter steht eine relativ neue volkswirtschaftliche Weltanschauung: Einer neu-keynesianischen Sicht entsprechend habe nämlich genau dieser expansive Kurs angeblich positive Verteilungseffekte, Arbeitslosigkeit werde gesenkt und somit Ungleichheit reduziert, ohne inflationstreibend zu sein. Für die irenische Stabilisierung der Gesellschaft seien auch die Ankaufprogramme der EZB unverzichtbar. Demgegenüber würde eine restriktive Politik Einkommens- und Vermögensungleichheit erhöhen (vor allem wegen der negativen Wirkungen auf den Arbeitsmarkt).

Solche Denkmodelle haben egalisierende Effekte zum Ziel, erklären sozialen Frieden über expansiv erzielte Arbeitsmarkteffekte und sehen die geldpolitische Verantwortung im Dienst solcher Ziele. Auch öffnen sie die Tür für weitere politische Verant-wortlichkeiten der Geldpolitik, wie etwa die Bekämpfung des Klimawandels.

Preisstabilität als alleiniges Ziel der Geldpolitik

So wünschenswert etwa dieses jüngst von Christine Lagarde im letzten EZB-Jahresbericht proklamierte Ideal auch sein mag, so wenig gehört dies in den Bereich der Geldpolitik. Denn eine solche Zieleerweiterung öffnet die Türe für noch mehr sozialpolitisch erstrebenswerte Ziele sowie für ein parteipolitisches Hineinregieren durch immer weitere Auslegungen. Der inzwischen resignierte Bundesbankpräsident Jens Weidmann trat solchen Interpretationen stets entgegen, indem er gerade auch in der Corona-Krise die Wahrung der Preisstabilität als alleiniges Ziel der Geldpolitik betonte: Die Volkswirtschaft als Ganze zu stabilisieren oder das Klima zu retten, könne nicht Aufgabe der Zentralbanken sein. Weidmann forderte so wiederholt eine Abkehr von der expansiven Geldpolitik.

EZB und EU haben dementgegen in den vergangenen Jahren eine Fülle von Mandatsübertretungen und Regelverstößen mit diplomatischem Geschick überdecken können, wie etwa Staatsfinanzierung durch Zentralbankgeld, Relativierung des geldpolitischen Ziels der Geldwertstabilität, zunehmende politische Einflussnahme auf die EZB und damit der Verlust ihrer Autonomie, politische Abhängigkeit der EZB in der Niedrigzinspolitik mit den Anleihekaufprogrammen, schleichende Einführung von Corona-Bonds, Zurückdrängung von Subsidiaritäts- und Soliditätslogik, Verschuldung des europäischen Haushalts mit den neuen Aufbauprogrammen und vieles andere mehr. Die Politik des fortlaufenden Vertrags- und Vertrauensbruchs hat während der Corona-Krise eine weitere Zuspitzung erfahren.

Ethisch problematische Strategie

Eine solche auch tugendethisch hoch problematische Strategie hat viele Gründe. So liegt die Vermutung nahe, dass nationalstaatliche Interessen die ideologische Ausrichtung der EZB unter den Präsidentschaften von Mario Draghi und Christine Lagarde maßgeblich beeinflusst haben und weiter beeinflussen. Solche Klientelpolitik schadet nicht nur dem Vertrauen in den Euro, sondern auch dem viel beschworenen europäischen Geist. Denn die EZB ist sich des Inflationsrisikos durchaus bewusst. Das beweisen ihre eigenen Studien. Sie muss jetzt um jeden Preis Vertrauen in ihre Politik schaffen, um nicht offensichtlich ihr Mandat zu verletzen. Denn dies würde erneut Vertrauen zerstören und erst recht eine Inflationsschraube in einem Teufelskreis des Misstrauens in Gang setzen.

Zur Abwehr gegen diesen Vertrauensverlust sind zwei Wege gangbar: Entweder werden weiterhin die Übertretungen der eigenen Kompetenzen spitzfindig vertuscht und bestehende Inflationsgefahren oder sich abzeichnende Blasen kleingeredet. Dieser bisher beschrittene Weg ist nicht nur tugendethisch verwerflich, sondern mit seinen wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen hoch gefährlich, weil er Vertrauen bewahren will, indem er Vertrauen missbraucht. Oder aber es wird endlich mit offenen Karten gespielt. Dazu müssten Umgehungsstrategien, Mandatsübertretungen und Tricksereien der Vergangenheit ehrlich bekannt, konsequent abgestellt und Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen werden. Das ist der einzige Weg, um langfristig wieder Vertrauen in die Geldpolitik herzustellen. Und es müsste baldmöglichst mit einem Rückkauf der Staatsanleihen begonnen werden. Dann kann die EZB mit neuem Personal und mit neuem Geist zu ihrem Mandat zurückkehren. So kann sie – aufbauend auf einem wieder erarbeiteten und somit verdienten Vertrauen – ein verlässlicher Hüter der Geldwertstabilität werden, wie es einst die Bundesbank war. Das traurige anstehende Jubiläum der Hyperinflation könnte und sollte Anlass zu solcher Umkehr sein.

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