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Ein origineller Denker und Theologe

Johann Baptist Metz ist gestorben. Ein Interview mit Wolfgang Ockenfels, der über das Verhältnis zwischen „Neuer Politischer Theologie“ und katholischer Soziallehre geforscht hat.
Metz, Johann Baptist
Foto: KNA | Im kollegialen Austausch: Als Johann Baptist Metz 1998 in Ahaus seinen 70. Geburtstag feierte, gehörte der damalige Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger, zu den Ehrengästen.

Herr Professor Ockenfels, Johann Baptist Metz gilt als der Begründer der sogenannten „Neuen Politischen Theologie“. Durch welche Grundgedanken ist dieser Ansatz bestimmt?

Die „Neue Politische Theologie“, die Metz in den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts entwarf, war durchaus originell. Sie knüpfte nämlich nicht an vorangegangene Traditionsbestände der Theologie oder der Politikwissenschaften an. Vielmehr distanzierte sie sich deutlich von einer „Politischen Religion“ (Hans Maier), wie man sie etwa im Nationalsozialismus und im Sowjetkommunismus wahrnehmen konnte. Bei diesen modernen totalitären Ideologien handelt es sich um säkulare Ersatzreligionen, die auch heute noch in immer neuen Formen auftreten können. Ebenfalls distanzierte sich Metz von einer „klassischen“ politischen Theologie, welche die jeweilige politische Herrschaft zu legitimieren hatte. Leider hat sich Metz nie mit der Politischen Theologie von Carl Schmitt auseinandergesetzt, für den „alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre ... säkularisierte theologische Begriffe“ sind. Das war sehr bedauerlich, denn Metz hatte sich gerade auf die damals dominierende Säkularisierungsthese eingelassen. Und seine Theologie wollte gerade eine Fundamentaltheologie sein, die sich auf die jeweiligen gesellschaftlich-politischen Kontexte bezog. Seine kontextuelle Theologie konnte aber kaum mit der Schnelligkeit des gesellschaftlichen und ökonomischen Wandels mithalten.

Inwieweit stehen diese Grundgedanken in einem Spannungsverhältnis zur katholischen Soziallehre?

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Die katholische Soziallehre stellt das Kontinuum von kirchlich-normativen Aussagen dar, zu denen sich das kirchliche Lehramt von Zeit zu Zeit zu sozialethischen Ordnungsfragen äußert. Die Antworten auf diese Fragen haben zwar keinen überzeitlich dogmatisch-unfehlbaren Charakter, sind aber als prinzipielle Orientierungen überaus sinnvoll-verbindlich für die Gläubigen und alle „Menschen guten Willens“. Denn sie gründen auf inhaltliche Glaubensaussagen, die nicht beliebig interpretierbar sind, und auch auf Vernunfteinsichten und Erfahrungen, die sich seit langem bewährt haben. Diese Erkenntnisse kann man nicht von einem Naturrecht abkoppeln, das seit jeher gilt. Überdies: Die Metz'sche politisch-hermeneutische Theologie verstand sich nie als ein eigenes theologisches Fach, das sich von den übrigen unterschied, sondern sie wollte fächerübergreifend methodologisch für alle Fächer gelten: Ein ziemlich kolonialer Anspruch.

Wirkung hatte die „Neue Politische Theologie“ auf die sogenannte Befreiungstheologie in Lateinamerika. Ist dies heute noch spürbar, etwa im Zusammenhang mit der Amazonas-Synode?

Durchaus. Viele lateinamerikanische Befreiungstheologen sind bei Metz in die Schule gegangen, einige haben auch bei ihm in Münster studiert. Durch diesen Austausch hat sich bei ihm eine Erweiterung des Problemhorizontes ergeben. Leider nicht in dem Sinne, wie es die ökonomische Situation Lateinamerikas erforderlich gemacht hätte. Er war eben nicht an grundsätzlichen ökonomischen Ordnungsfragen interessiert. Sondern höchstens an jenen politischen Basisbewegungen im Kontext (neo-)marxistischer Strömungen, die „von unten“ „nach oben“, also doch wieder zur politischen Macht drängten. Seit 1989 ist es allerdings auch um die politischen (Befreiungs-)Theologien merklich still geworden, sie stoßen in der Gegenwartstheologie kaum noch auf Interesse. Die Gründe für den theologischen und praktischen Relevanzverlust sind vielfältig. Sie liegen vor allem in der Verschiebung des geistesgeschichtlichen Horizontes, die ein Abrücken von (neo-)marxistischen Sozialkategorien hin zu „postmodernen“ Tendenzen individueller Beliebigkeit markiert und eine Korrektur der Säkularisierungsthese erforderlich machte. Freilich sind einige theologisch-hermeneutische „Paradigmen“ der „Neuen Politischen Theologie“ krampfhaft auf die feministische Theologie („gender-mainstreaming“) übertragen worden. Überdies auf eine Demokratisierung der Kirche, auf die Abschaffung des Zölibats, auf die Einführung des Frauenpriestertums und auf eine „Liberalisierung“ der Sexualmoral. Was alles bereits im Protestantismus erfüllt wurde, ohne seinen rapiden Zerfall aufzuhalten. Inzwischen wird sogar das alte Problem des Synkretismus („Pachamama“) wieder aktuell, wogegen die politische Hermeneutik von Metz gewiss nur wenige Einwände zu bieten hätte.

Kritiker haben Metz vorgeworfen, er knüpfe zu stark an Grundgedanken der Frankfurter Schule um Adorno und Horkheimer an und habe so marxistisch geprägte Denkmuster in die Theologie eingeführt. Wie bewerten Sie das?

Leider gibt es bei Metz nur wenige Zitate, die ihn als insgeheimen Anhänger der „Frankfurter Schule“ ausweisen. Aber seine Annäherungen sind evident, auch wenn er sie nicht zitiert, wogegen ja auch nichts einzuwenden wäre, wenn er sich gegen diese „Denkmuster“ kritisch positioniert hätte. Die aber sind keineswegs eindeutig, sondern höchst ambivalent und berücksichtigen zu wenig die zweifelhaften Entwicklungen, welche „die Moderne“ inzwischen angenommen hat. Deren negative Entwicklungen wurden kaum wahrgenommen, wenngleich sie deutlich markiert wurden.

Wie prägend ist Metz heute für die Christliche Gesellschaftslehre an den deutschen Universitäten?

Diese Frage ist schwer zu beantworten. Denn einerseits ging es ihm um die generelle „hermeneutische“ Veränderung der Theologie überhaupt, andererseits aber auch um eine „linke“ Politik, die sich dem jeweiligen Zeitgeist anpasst. Ein eigenes Fach einer speziell „christlichen Gesellschaftslehre“ hat er nicht beansprucht. Was sich auch erübrigt hätte angesichts einer ziemlich homogenisierten, staatlich subventionierten Theologie. Welche kaum mehr zu unterscheiden weiß zwischen Individualmoral und struktureller Sozialethik.

Welche Verdienste hat Metz um die Theologie in Deutschland? Der damalige Kardinal Joseph Ratzinger gehörte zu den Kritikern der „Neuen Politischen Theologie“, hat Metz aber auch durch die Teilnahme an einem Symposium aus Anlass von dessen 70. Geburtstag 1998 in Ahaus deutlich gewürdigt?

Gewiss ist Metz als theologischer Hermeneutiker immer noch zu würdigen, weil er auf konkrete gesellschaftliche Bedingungen aufmerksam machte, von denen er selber leider kaum eine Ahnung hatte. Vor allem, was die ökonomischen Gegebenheiten angeht. Ihm sei trotzdem Preis und Ehre! Aber es bleibt dabei: Es geht um einen katholisch-biblisch-naturrechtlichen Wahrheitsgehalt, der unabhängig von gerade mal gültigen Einschätzungen gilt.

Der Autor ist emeritierter Professor für Christliche Gesellschaftslehre an der Universität Trier. Er leitet das Institut für Gesellschaftswissenschaften Walberberg und gehört dem Dominikanerorden an.

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