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Pater Jürgen Knobel: Leben als „katholischer Aussteiger“

Der ehemalige Restaurator Pater Jürgen Knobel führt seit sechs Jahren ein Leben als „katholischer Aussteiger“. Beten, Messe feiern, Meditation, Seelsorge und ganz viel Stille.
In dieser Klause lebt Pater Knobel.
Foto: Jürgen Knobel | In dieser Klause, die nach dem Heiligen Bernhard von Clairvaux benannt ist, lebt Pater Knobel.

Wer die kleine Kirche direkt am idyllisch gelegenen Wutzsee finden will, der muss schon genau hinschauen. Versteckt hinter Bäumen, ganz am Ende der Straße zum See, fährt man mit dem Auto schnell vorbei. Doch gerade wegen dieser abgeschiedenen Lage ist die Kirche St. Joseph ideal für den Priester, der hier seit sechs Jahren wohnt: Pater Jürgen Knobel lebt dort als Eremit. Ganz offiziell, beauftragt vom Erzbistum Berlin, hat er sich 2014 in dem kleinen Drei-Seen-Städtchen Lindow im Ruppiner Land nördlich von Berlin niedergelassen.

Erster Eremit seit 400 Jahren im Erzbistum Berlin

Unter vier Orten, die für eine Eremitage in Frage kamen, hat sich Pater Knobel genau diesen Ort ausgesucht. Mitten in der Natur gelegen, abgeschieden, aber doch nicht aus der Welt, mit einem kleinen Garten ringsum, erschien ihm dieser Ort genau der richtige zu sein, um nach über 400 Jahren die erste Niederlassung eines Eremiten im heutigen Erzbistum Berlin zu errichten. Seitdem lebt Pater Jürgen Knobel in dem Wohntrakt des Kirchengebäudes, verbringt täglich mehrere Stunden im Gebet und in der stillen Betrachtung, empfängt Einzelgäste zur Beichte oder zur geistigen Begleitung und kümmert sich um das kleine, aber durchaus arbeitsintensive Grundstück.

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Selbstgewählte Einsamkeit

An diesem Sonntag kehrt Leben in die St.-Joseph-Kirche ein. Einmal die Woche öffnet er das Gotteshaus für die Heilige Messe, rund 15 Besucher kommen zur Messfeier – ziemlich viele, meint er später im Gespräch. Einige Pfarrer aus der Region lassen wegen der Corona-Pandemie die Sonntagsmessen ausfallen, daher wird es momentan voller als sonst. Auch an Wochentagen steht die 1931 erbaute Kirche zum Gebet offen, doch die Werktagsmessen feiert er alleine in seiner Hauskapelle im Obergeschoss. Ein Eremit sucht die Einsamkeit, das ist seine Berufung.

Viele Besucher im Sommer

Dennoch stehen gerade im Sommer immer wieder Besucher vor der Tür, denn allein architektonisch hat die gemütliche Kirche einiges zu bieten. Sie gilt als Frühwerk der Bauhaus-Architektur mit ihrer typischen Schlichtheit, die zugleich frühmittelalterliche Elemente der Zisterzienserarchitektur aufgreift. So strahlt das Gebäude Ruhe, Einfachheit und Harmonie aus, genau richtig für eine Eremitage. Sogleich fällt dem Besucher die lebensgroße Josefs-Statue der Künstlerin Harriet von Rathlef-Keilmann ins Auge. Jetzt im Josefsjahr gewinnt sie erneut an Bedeutung.

Der Pulsschlag des Herzens

Was Pater Knobel den Messbesuchern an diesem Sonntag mit auf den Weg gibt, greift die Gedanken des Eremitenlebens auf und überträgt sie auf die gegenwärtige Situation. Unser Leben, das stets auf Effizienz getrimmt sei, komme jetzt mehr zur Ruhe. Menschen müssten oft wie Automaten funktionieren, seien „Lebensmaschinen“. Jetzt sei die Pandemie da, und die Maschine stehe plötzlich still. Die Menschen hätten aber nicht mehr gelernt, mit dem natürlichen Rhythmus des Lebens umzugehen, sie würden den „Pulsschlag des Herzens“ nicht mehr spüren, die tieferen Töne, die zu uns sprechen wollten. Diese Predigt klingt wie ein Grundsatzprogramm des Eremitenlebens. Und Pater Jürgen Knobel lebt es mit Überzeugung, mit seinem ganzen Charisma.

In der Nachfolge Jesu

Der Eremit sei der Ur-Mönch, der Jesus nachfolgt, als dieser vom Heiligen Geist für 40 Tage in die Wüste geführt wurde. Eremiten würden manchmal als Eigenbrödler gelten. „Der versackt da irgendwo, meinen viele vom Alleinsein“, meint Pater Knobel mit seinem ganz eigenen, hintersinnigen Humor. „Aber das Eremitenleben ist genau das Gegenteil, es geht darum, auf das Innere zu hören – auf Gott, der in die Stille spricht.“ Es geht darum, ohne Unterlass zu beten. „Morgens rutsche ich aus dem Bett auf die Knie“, erzählt er schmunzelnd. Nach dem Aufwachen beginnt der Tag mit einem kurzen Gebet. Nach der Morgentoilette folgt erst einmal eine einstündige „Schweigemeditation“, zwischendurch die Horen des Stundengebets.

Das Gebet prägt den Alltag

Die Messe feiert er täglich, entweder am Morgen oder am Abend. Nach der Vesper folgt noch einmal eine einstündige Meditation. Eigentlich, so Pater Knobel, sei der gesamte Alltag vom Beten geprägt, es ist ein „Gebet ohne Unterlass“, eine permanente Zwiesprache mit Gott auf der Seinsebene. „Das funktioniert nicht mit Plappern“, erklärt der Eremit. Vielmehr sei es ein „verinnerlichter Habitus“, der in allen Situationen des Alltags Gott erfahren lasse. Diese geistliche Lebensform ist eine der ältesten in der Kirche und wurde bereits von den christlichen Wüstenvätern seit Antonius dem Großen beschrieben. Pater Knobel hat sie in einer brandenburgischen Kleinstadt zu neuem Leben erweckt.

„Wenn man keinen Ruf dafür hat, wird es nicht funktionieren.“ Pater Jürgen Knobel

Doch auch wenn viele Menschen von einem Leben als „Aussteiger“ träumen – eine solche Lebensform ist ein besonderes Charisma, zu dem man berufen sein muss. Darauf legt Pater Jürgen Knobel großen Wert. „Wenn man keinen Ruf dafür hat, wird es nicht funktionieren“, betont er im Gespräch. Es ist ein Ruf, der von Jesus selber kommt und der den Eremiten zu einer „Intimität“ mit dem Herrn einlädt. Dass er dazu berufen ist, wurde Pater Knobel Schritt für Schritt bewusst.

Franziskaner in Bamberg

Angefangen hat er als Restaurator – auch ein „kontemplativer Beruf“, meint er rückblickend. Als er 30 war, trat er bei den Franziskanern in Bamberg ein. Doch es war noch nicht das, was er suchte. Im Benediktinerpater Bruder Jakobus fand er einen geistlichen Vater, der ihn nach und nach an das Eremitenleben heranführte. Nach dem Studium der spirituellen Theologie in Heiligenkreuz bei Wien wurde Pater Knobel 2002 zum Priester im Erzbistum Berlin geweiht. Schon die Kaplansjahre verbrachte er in der Berliner Wallfahrtskirche Maria Frieden – „kein Zufall“, wie er unterstreicht. Der damalige Erzbischof Kardinal Georg Sterzinsky erkannte seine Berufung und ließ ihn zwei Zusatzausbildungen zum geistlichen Begleiter sowie zum Exerzitien- und Meditationsmeister absolvieren.

Gewachsene Akzeptanz

Nachdem Kardinal Rainer Maria Woelki den Berliner Bischofssitz übernommen hatte, nahmen die Pläne Gestalt an. Pater Knobel entdeckte die leer stehende St.-Josephs-Kirche im Ruppiner Seenland, und 2014 errichtete der Erzbischof hier die Eremitage St. Bernhard – benannt nach dem hl. Bernhard von Clairvaux. „Das war, wie wenn ein Ufo landet“, beschreibt Pater Knobel manche Reaktionen vor Ort. Es gab zwar keine Widerstände, aber ein Eremit in einer Gegend, in der nur wenige Christen leben und die kaum katholische Traditionen kennt? Viele mussten erst begreifen, dass er von sich aus keinen Kontakt sucht, doch mittlerweile sei die Akzeptanz groß, die Freude über die neue Zweckbestimmung der Kirche überwiege.

Garten der Mystik

Dazu kommt, dass Pater Jürgen Knobel die Menschen – wenn auch nur vereinzelt – an seinem Charisma teilhaben lässt. Die Sakristei der Kirche ist zugleich Gesprächszimmer, hier bietet er die Beichte oder geistlichen Rat an. In einer Hütte im „Garten der Mystik“, den er selbst angelegt hat, kann eine Person, maximal zwei, für ein paar Tage mitleben. „Während ich für sie koche, dürfen sie dann am Küchentisch eine Heiligenlegende vorlesen“, erzählt er. Die Besucher wählt er sorgfältig aus, schaut genau hin, „ob es passt“. Menschen aller Couleur kämen zu ihm – unabhängig von Konfession oder Glaube. Wichtig sei, dass die Menschen „einen Hang zu Stille und Einsamkeit“ hätten. Denn, das unterstreicht er mehrfach, die Klause ist kein Exerzitien- oder Gästehaus. Es geht darum, meist bis zu drei Tage in der Stille des Eremitenlebens mitzuwirken. Auch wenn es um Seelsorge geht, sind dabei keine langen Gespräche vorgesehen.

Mut zum Loslassen

Ob diese Lebensweise auch eine Hilfestellung während des Corona-bedingten Lockdowns geben kann, wo viele Menschen zwangsläufig allein oder einsam sind? „Die Angst vor dem Alleinsein ist oft die Angst vor sich selbst“, meint Pater Knobel. Die Menschen müssten den Mut haben, loszulassen und diese Angst zu überwinden. Und sie sollten versuchen, die Zeit mit guten Dingen zu füllen – Literatur, Sport, Musik oder die Natur. „Oder man kann es auch mal mit Beten versuchen“, meint er schmunzelnd – denn er weiß, dass diese Ratschläge für viele Menschen nur schwer umzusetzen sind. „Als Christen wissen wir aber auch: Krisen sind Chancen, sie kommen nie ohne Anlass. Alles hat seine Bedeutung.“

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