Zugegeben, es mag angesichts von Krieg, Krise und Kanzlerduellen zunächst wie eine eher kuriose Nebendebatte am Rande des Bundestagswahlkampfes wirken, aber sie ist doch bezeichnend. Ex-Finanzminister Christian Lindner erwartet mit seiner Ehefrau Franca Lehfeldt im Frühjahr ein Kind. In einem Interview mit der „Bunten“ bekannte Lindner in der vergangenen Woche zwar, Familie sei „das Wichtigste“ und habe „Priorität“, sagte aber gleichzeitig, Elternzeit zu nehmen, sei in seinem Job „nicht vorgesehen“.
Klar, ein Widerspruch – auch wenn Lindner später signalisierte, damit habe er gemeint, dass Bundestagsabgeordnete tatsächlich rein rechtlich keinen Anspruch auf Elternzeit hätten. Doch wie brach sich die öffentliche Empörung über Lindners Elternzeit-Verweigerung Bahn? Väter-Podcaster Sebastian Tigges warf dem FDP-Politiker im Stern vor, ein „überholtes Familienmodell“ zu stützen, die Zeit interviewte eine Paartherapeutin zum Thema Gleichberechtigung, die Lindner quasi als heimliches patriarchales Rollenmodell vorstellte.
Diese Reaktion ist gleichermaßen typisch wie pathologisch. Ob Kinder genug Liebe und Zuneigung bekommen, spielt abseits von formelhaften Lippenbekenntnissen offenbar für keine Seite eine Rolle. Auch Lindner verpasste es im Bunte-Interview nicht, darauf hinzuweisen, dass es auch nicht der Plan sei, dass Lehfeldt auf ihre Karriere verzichte. Karriere ist das wichtigste, das ist ganz offensichtlich breiter politischer Konsens. Das zweitwichtigste scheint dann geschlechtergerechtes „Virtue Signaling“ zu sein – Hauptsache, kein irgendwie gestrig daherkommendes Familienmodell unterstützen, bei dem, welch furchtbare Vorstellung, mal eine Frau sich ein paar Jahre um die Kinder kümmert. Das Kindeswohl hingegen interessiert im Rahmen des herrschenden Zeitgeistes als allerletztes. Immerhin eine Gelegenheit für Christen, mit einer anderen Werteordnung aufzufallen.
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