Macht „Trans-Medizin“ junge Menschen krank? Das ist die Befürchtung der Demonstrantinnen des Vereins Frauenheldinnen, die am 17. September in Berlin-Wannsee gegen das Symposium „Geschlechtsinkongruenz – Leitliniengerechte Behandlung im Kindes-, Jugend- und Erwachsenenalter“ protestierten. Zwei Tage zuvor hatten die „Frauenheldinnen“ bereits in Münster vor dem „Center for Transgender Health“ des Universitätsklinikums Münster protestiert. Von Gegendemonstranten wurden sie dafür als „queerfeindlich“ beziehungsweise „transphob“ gebrandmarkt.
In dem Münsteraner Zentrum behandelt der Medizinprofessor Georg Romer mit seinem Team Patienten mit einer sogenannten Geschlechtsinkongruenz – Menschen, die sich in ihrem körperlichen Geschlecht „falsch“ fühlen. Er gilt als der führende Vertreter des transaffirmativen Behandlungsansatzes in Deutschland, der auf eine Angleichung der körperlichen Erscheinung an das „Wunschgeschlecht“ abzielt. Nach diesem Ansatz behandelt er nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder und Jugendliche, die meinen, im „falschen Körper“ zu stecken.
Psychotherapie als erstes Mittel der Wahl
Zentral für Romers Behandlungen sind Pubertätsblocker, mit denen die Entwicklung der natürlichen Geschlechtsorgane verzögert beziehungsweise verhindert wird. Danach wird durch die Gabe gegengeschlechtlicher Hormone das Erscheinungsbild dem gefühlten Geschlecht angeglichen. Das soziale Leben im neuen Geschlecht soll ausprobiert und erlernt werden. Diese sogenannte Transition mündet oft in geschlechtsangleichende Operationen, die Entfernung von Penissen, Brüsten, Eierstöcken und Gebärmüttern. Die Zahl solcher Operationen an jungen Menschen im Alter von 15-25 Jahren ist innerhalb eines Jahrzehnts um das Zehnfache gestiegen: Noch 2010 lag die Zahl solcher Eingriffe bei 15-25-Jährigen im zweistelligen Bereich; 2021 wurden schon annähernd 1 000 solcher Operationen an jungen Menschen durchgeführt.
Auffallend oft sind es junge Frauen, die durch solche Operationen zu einem sogenannten Transmann werden. Nach diesen irreversiblen Eingriffen geht die medizinische Behandlung weiter, denn lebenslang müssen Hormone eingenommen werden. Hierauf zielt die Kritik der „Frauenheldinnen“, Transmedizin mache krank. Darunter zu leiden hätten insbesondere Frauen, die gleichgeschlechtlich empfinden würden. Für den Boom der Behandlungen verantwortlich seien vor allem die sozialen Medien, die einen Hype befeuern würden.
Einen regelrechten „Transhype“ kritisieren auch Mediziner wie der Münchener Kinder- und Jugendpsychiater Alexander Korte. Aus seiner Sicht dient die Selbstdiagnose als „trans“ als eine neue Identitätsschablone, um Problemen der Adoleszenz Ausdruck zu verleihen. Korte sieht Psychotherapien als erstes Mittel der Wahl, um „Geschlechtsinkongruenz“ zu behandeln. Aus seiner Sicht ist dieses, auch als „Geschlechtsdysphorie“ bezeichnete, Phänomen oft eine vorübergehende Erscheinung, die sich gewissermaßen „auswachsen“ könne. Mithilfe von Psychotherapien sei häufig eine Aussöhnung mit dem Geburtsgeschlecht möglich.
Diese Sicht vertrat im Mai 2024 auch der Deutsche Ärztetag. In einer Resolution forderte dieser, Pubertätsblocker, Hormontherapien und Geschlechtsoperationen bei Minderjährigen nur „im Rahmen kontrollierter wissenschaftlicher Studien“ zuzulassen. Die Resolution forderte auch eine langfristige Evaluation von Therapieergebnissen, die in eine geplante Leitlinie zum Umgang mit Geschlechtsinkongruenz im Kindes- und Jugendalter einfließen müssten. Dies führte zu einer Art Schisma in der Ärzteschaft. Denn fast zeitgleich wurde diese neue Leitlinie unter der Leitung von Romer veröffentlicht und bei dem Symposium am 17. September als „State of the Art“ – also als derzeitiger wissenschaftlicher Stand – der „Behandlung von Trans*Personen“ vermittelt.
Gibt es Jungenhirne in Mädchenkörpern?
Aus Sicht der „Frauenheldinnen“ ist Romers Vorgehen ein „Medizinskandal“. Ihre Sprecherin Eva Engelken kritisiert, dass die Leitlinie gerade nicht den allgemein anerkannten Stand der Wissenschaft darstelle. Vielmehr seien aus dem Leitlinien-Gremium führende Wissenschaftler ausgestiegen. Sie verwies auf Wissenschaftler wie den Jenaer Medizinprofessor Florian Zepf, der den pro-affirmativen Ansatz der Leitlinie ablehne. Nach diesem Ansatz werden die Patienten in ihrer Wahrnehmung bestätigt, sich in einem „falschen“ Körper zu befinden. Diesen affirmativen Ansatz gebe es „bei keiner anderen Krankheit“, wie Engelken meint.
Niemand würde einen Magersüchtigen bestätigen, der sich in seiner Selbstdiagnose für zu dick hält.
Dem affirmativen Ansatz liegt nach Engelkens Darstellung die „woke Geschlechtsidentitätstheorie“ zugrunde. Sie gehe von einer „Genderidentität“ aus, die vom biologischen Geschlecht abweichen könne. Tatsächlich gebe es aber keine „Jungengehirne in Mädchenkörpern und umgekehrt“. Da das biologische Geschlecht unveränderlich sei, führten die Transitionsbehandlungen nur zu einer „optisch mehr oder weniger überzeugenden Angleichung“ an das Wunschgeschlecht. Diese Maßnahmen würden durch die Leitlinie „faktisch normalisiert, obwohl die Evidenz für ihren medizinischen Nutzen nicht gegeben ist und die Risiken erheblich sind“.
Kritisch sehen die „Frauenheldinnen“ nicht nur die Operationen, die unvermeidlich Infertilität zur Folge haben. Schon die medikamentösen Behandlungen sieht Engelken äußerst kritisch, insbesondere die Pubertätsblocker. Deren Wirksamkeit im Sinne von Heilung sei „ungesichert“, es fehlten „Langzeitdaten, die die Wirkung belegen, hingegen sind die Risiken wie Osteoporose, Einschränkung von Fruchtbarkeit und sexueller Funktionsfähigkeit belegt“.
Die Veranstalter des Leitlinien-Symposiums weisen die Kritik am affirmativen Behandlungsansatz zurück. Nach Darstellung der mitveranstaltenden Psychiaterin Lieselotte Mahler handelt es sich bei den eingesetzten Medikamenten um „medizinisch bewährte Wirkstoffe, die in anderen Kontexten – etwa bei frühzeitiger Pubertät (Pubertas praecox) – seit Langem angewendet“ würden. Zwar seien „Nebenwirkungen bekannt, insbesondere im Hinblick auf die Knochendichte“. Dieses Risiko sei jedoch „abschätzbar und behandelbar“. Für die Behandlung würde es „klare, zeitliche Begrenzungen“ geben: „In der Regel wird die Pubertätsblockade maximal zwei Jahre lang verabreicht, um unerwünschte Langzeiteffekte zu vermeiden“.
Zeit gewinnen durch Pubertätsblocker
Ziel der Pubertätsblockade sei es, die „Entwicklung sekundärer Geschlechtsmerkmale in einem frühen Pubertätsstadium (Tanner-Stadium 2-3) vorübergehend“ aufzuhalten, um „Zeit für weitere Entscheidungen zu gewinnen“. Es solle verhindert werden, dass sich der Körper in eine Richtung entwickelt, die von den betroffenen Jugendlichen als „stark belastend“ empfunden wird. Diese Maßnahmen seien „vollständig reversibel“. Es gebe „keine wissenschaftlich belastbaren Hinweise darauf, dass die Reifung oder körperliche Entwicklung von Jugendlichen durch die Anwendung dauerhaft geschädigt würde“. Nach dem Absetzen der Blockade setze die Pubertät – wenn auch verzögert – wieder regulär ein.
Zwar gebe es „bislang nur wenig Evidenz für positive Effekte von Pubertätsblockern auf die psychische Gesundheit transgeschlechtlicher Jugendlicher“. Dies ließe sich jedoch damit erklären, dass die Pubertätsblockade nicht primär auf eine Verbesserung abziele, „sondern darauf, eine Verschlechterung des psychischen Zustandes durch die fortschreitende Pubertät zu verhindern“. Das Abwarten sei „in diesem Fall keine neutrale Option, denn ohne „medizinische Intervention“ würden die Risiken für Depressionen und Angststörungen wachsen.
Zudem seien Jugendliche, „die Pubertätsblocker erhalten“, oft in einem „sozialen Umfeld aufgewachsen“, das sie „in ihrer Geschlechtsidentität ernst genommen“ und unterstützt habe. Dank dieses Umfelds würden sie schon frühzeitig „medizinische Versorgung“ erhalten und befänden sich deshalb „in einem psychisch relativ stabilen Zustand“. Deshalb bestünde „nicht zwingend der Bedarf einer ‚Verbesserung’, sondern vielmehr der Wunsch, eine drohende Verschlechterung zu verhindern“.
Das Ziel Mahlers und ihrer Mitveranstalter ist laut Presseinformation „eine evidenzbasierte und patient*innenorientierte Versorgung in der Psychiatrie“. An empirischer Evidenz zu Transgenderbehandlungen mangelt es allerdings. Es gibt keine Daten dazu, wie häufig Minderjährige Pubertätsblocker und gegengeschlechtliche Hormone erhalten. Erst recht fehlen Langzeitstudien zu den Schicksalen Behandelter. Dass deren Zahl im letzten Jahrzehnt stark zugenommen haben muss, ergibt sich aus der Vervielfachung der Geschlechtsoperationen. Statistisch erwiesen ist, dass die Diagnose „Störungen der Geschlechtsidentität“ bei jungen Menschen sprunghaft zugenommen hat. Warum, ist völlig ungeklärt. Trotz dieser Forschungsdefizite erklären Romer und seine Mitstreiter ihren „affirmativen“ Ansatz zum „State of the Art“. Der Verdacht, dass sich hier ein Medizinskandal anbahnen könnte, erscheint nicht unbegründet.
Der Autor ist promovierter Politikwissenschaftler.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.