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Jette Nietzard: Fast schon ein Vorbild

Die Grüne-Jugend-Vorsitzende fällt mit links-pubertären Verstößen gegen die politische Korrektheit auf. Das hat jedenfalls Unterhaltungswert.
Jette Nietzard (Grüne)
Foto: IMAGO/FRANK TURETZEK (www.imago-images.de) | Jette Nietzard, die Co-Vorsitzende der Jugendorganisation der Grünen, teilt gerne aus.

Wenn eine 26-jährige Nachwuchspolitikerin ein Selfie von sich in den Sozialen Medien postet, und – bezugnehmend auf ihre Kleidung – eine Umfrage „Was findet Julia Klöckner schlimmer, ACAB Pulli oder Eat the rich Cap“ startet, sollte man vermutlich irgendwie empört sein. „All cops are bastards“ (alle Polizisten sind Bastarde) und „esst die Reichen“, okay, klingt irgendwie nicht so bürgerlich.  

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Dabei wollten die Grünen, deren Jugendorganisations-Co-Vorsitzende Jette Nietzard sich jüngst den beschriebenen Fauxpas erlaubte, doch unbedingt als Mittepartei rüberkommen. Logisch, dass nun vor allem Baden-Württembergische Grüne sich erregen, die bei der nicht mehr allzu fernen Landtagswahl nächsten März einiges zu verlieren haben werden. Winfried Kretschmann legte Nietzard gar den Parteiaustritt nahe.

Wenn Polizisten als Bastarde beschimpft werden dürfen...

Ohne Anspruch auf Letztgültigkeit zu erheben, findet der Autor dieser Zeilen: Jette Nietzard ist fast schon ein Vorbild. Immer weniger Menschen haben laut Umfragen das Gefühl, frei sprechen zu können. Nietzard gehört offensichtlich nicht zu ihnen. Eine Politikerin mit Ecken und Kanten, authentisch, gerade raus. Parteidienliches Verhalten: nicht ihre Disziplin. Es ist ja auch nicht der erste Streich. Als Christian Lindner nach der Bundestagswahl seinen Rücktritt ankündigte, kommentierte sie, sie freue sich, dass „der Mann von Franca Lehfeldt jetzt kürzer tritt, um ihr Karriere und Kind zu ermöglichen“. Renate Künast geißelte das als „unsouverän“. Nietzard tanzte in Social Media Videos zu Antifa-Hymnen linksradikaler Deutschrapper, fand an Silvester, wenn Männer beim böllern ihre Hand verlören, könnten sie wenigstens keine Frauen mehr schlagen, zeigte anlässlich des Koalitionsbruchs ihren nackten Rücken und warb damit „für linke Mehrheiten“, forderte, wie „Bild“ kongenial titelte, „Gerechtigkeit und Orgasmen“, was sie selbst mit „Spruch für mein Grabstein damit geregelt“ kommentierte.

Ja, all das ist tatsächlich pubertär, blöd bis irre, größtenteils schwachsinnige linksextreme Folklore. Dafür hat es Unterhaltungswert, schadet anders als die reale Politik ihrer Mutterpartei niemandem wirklich und entkrampft vielleicht sogar den öffentlichen Diskurs. Wenn Nietzard alle Polizisten als Bastarde beschimpfen kann, dann ist im Diskurs zum Beispiel auch Raum dafür, den Verfassungsschutz und seine Arbeit ablehnen zu dürfen, ohne sich dadurch zum ultimativen Systemfeind zu qualifizieren. Lustigerweise schob Nietzard direkt nach erster Kritik am ACAB-Pulli nach: „ACAB ist ne Systemkritik. Und das System ist mehr als nur kritikwürdig.“ Ja, „System“-Kritik ist in Deutschland erlaubt, man kann sogar argumentieren, sie ist selbst eine demokratische Notwendigkeit. Wäre doch schön, wenn diese Einsicht auch in linken Kreisen wieder mehrheitsfähig würde, in denen man sich seit 1968 eher mit staatlicher Repression und moralgeschwängertem Bierernst angefreundet hat.

... muss mindestens der Verfassungsschutz kritisierbar sein

Dann doch lieber Nietzards vulgären Blödsinn als Habecks pathetische Pseudobetroffenheitsrhetorik oder Baerbocks moralisch hochfliegende, aber inkompetente bis latent kriminelle „feministische Außenpolitik“ – übrigens noch so ein gerade hochkochender Grünen-Skandal, bei dem diese Nietzard eigentlich dankbar sein können, dass sie gerade die Aufmerksamkeit absorbiert. Nietzard ist möglicherweise ein bisschen beschränkt, aber, um es biblisch zu fassen, eine echte Linke, an der kein Falsch ist. Davon gerne mehr. Man muss sie ja nicht gleich wählen.

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