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Kampagne für ein Umdenken bei sexueller Gewalt gegen Kinder gestartet

„Schieb den Gedanken nicht weg!“ Kampagne zur Aufklärung über sexuellen Kindesmissbrauch in Berlin gestartet.
Kinderzimmer
Foto: IMAGO/Zoonar.com/Olena Yeromenko (www.imago-images.de) | Sexuellen Missbrauch gibt es auch im unmittelbaren sozialen Umfeld.

Am Donnerstag haben Bundesfamilienministerin Lisa Paus und die Unabhängige Beauftragte für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs, Kerstin Claus, in Berlin die gemeinsame Aufklärungs- und Aktivierungskampagne „Schieb den Gedanken nicht weg!“ vorgestellt.  Am 18. November findet der 8. Europäische Tag zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und Gewalt statt. Die Kampagne soll das gesellschaftliche Bewusstsein dafür schärfen, dass Kinder und Jugendliche vor allem im eigenen Umfeld der Gefahr sexueller Gewalt ausgesetzt sind.

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Tatort Wohnzimmer

Um das zu verdeutlichen, fand die Pressekonferenz vor einer ungewöhnlichen Kulisse statt: ein Plüschtier und Kinderspielzeug sowie das typische Dekor eines Wohnzimmers suggerierten eine Situation, die gemeinhin nicht als gefährlich eingestuft wird. „Stellen Sie sich vor, dieses Wohnzimmer ist ein Tatort“, sagte Kerstin Paus zu den vor Ort versammelten und online zugeschalteten Journalisten. „Sexualisierte Gewalt kann es überall geben.“ Es falle schwer, den Gedanken zuzulassen, dass ein bekanntes Kind sexualisierte Gewalt erleide.

Paus verwies auf die polizeiliche Kriminalstatistik, die für das Jahr 2021 rund 15.500 Fälle von sexualisierter Gewalt an Kindern sowie der Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen registrierte. Davon seien über 2000 Betroffene jünger als 6 Jahre, sagte Paus. Das sogenannte Dunkelfeld sei aber ungleich größer, da viele Fälle aber nicht angezeigt würden.

Während Schätzungen zufolge ein bis zwei Kinder pro Schulklasse von sexueller Gewalt betroffen sind, die bei rund drei Viertel der Fälle in der eigenen Familie oder im sozialen Nahfeld geschieht, ist dies laut einer FORSA-Umfrage im Auftrag der Unabhängigen Beauftragten vielen Erwachsenen so nicht bewusst. Obwohl es 90 Prozent der Bevölkerung für wahrscheinlich halten, dass sexuelle Gewalt in der eigenen Familie passiert oder passieren kann, halten es 85 Prozent für unwahrscheinlich oder ausgeschlossen, dass sexuelle Gewalt in ihrer eigenen Familie passiert oder passieren kann. In diesem Zusammenhang wies der Betroffenenrat bei der Unabhängigen Beauftragten auf die wichtige Rolle des Umfeldes hin. Es habe die Verantwortung und vor allem die Möglichkeit, zu helfen und den Betroffenen zur Seite zu stehen.

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Schutz vor Ort

„Weg von der Hilflosigkeit, hin zur Verantwortungsübernahme“, formulierte die Unabhängige Beauftragte Kerstin Claus in der Pressekonferenz als Ziel der Kampagne „Schieb den Gedanken nicht weg!“. Es gehe darum, allen Menschen Handlungswissen an die Hand zu geben, denn „Schutz und Hilfe findet letztlich vor Ort statt“, so Claus. Das „reale Risiko im Hier und Jetzt“ sollen Aussagen wie „Geh nicht mit Fremden mit. Und wenn es gar kein Fremder ist?“, „Mach niemandem die Tür auf. Und wenn die Gefahr schon drinnen ist?“ und „Meld dich, wenn du zu Hause bist. Und wenn der Heimweg gar nicht das Problem ist?“ aufzeigen.

Neben der Sensibilisierung der Bevölkerung führt die Kampagne auf, was Erwachsene konkret tun können, um Kinder und Jugendliche vor sexueller Gewalt zu schützen ihnen Zugang zu Hilfe zu ermöglichen.

Dafür nutzt die für mehrere Jahre konzipierte Kampagne verschiedenste Wege wie Plakate und Anzeigen, Spots in Fernsehen und Internet, Social Media und eine eigene Webseite. Ein Kampagnenbüro stellt eine Vielzahl an Informationsmaterialien bereit.

Lokale Netzwerke

Außerdem sollen der Aufbau lokaler Netzwerke gegen sexuelle Gewalt unterstützt sowie bereits vorhandene Netzwerke und Initiativen gestärkt werden. Auch der Nationale Rat gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen ist ein Partner der Kampagne.
Die Kosten der Kampagne belaufen sich auf 5 Millionen Euro pro Jahr. Die Finanzierung ist bis Ende 2023 gesichert, wie auf der Pressekonferenz mitgeteilt wurde.

Paus kündigte zudem an, sie wolle noch in dieser Legislaturperiode die Rechtsstellung der Unabhängigen Beauftragten klären. So soll das Amt der Unabhängigen Beauftragten auf eine gesetzliche Grundlage gestellt und eine regelmäßige Berichtspflicht an den Bundestag gesetzlich verankert werden. DT/chu

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