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Ampel versus Wirklichkeit

Ein Plädoyer für eine realitäts- und faktengestützte Familienpolitik.
Gewerkschaftsprotest gegen Fachkräftemangel in Kitas und Horten
Foto: Klaus-Dietmar Gabbert (dpa) | Bis heute ignorieren die bemühten Lösungen konsequent die eigentliche Ursache des Fachkräftemangels: den Bevölkerungsschwund.

Die absolute Mehrheit der Deutschen (54 Prozent) ist der Ansicht, dass die Bundesregierung kinderreiche Familien fördern sollte, um dem Fachkräftemangel langfristig entgegenzuwirken. So lautet das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des in Erfurt ansässigen Meinungsforschungsinstituts „INSA Consulere“. Das gilt unabhängig von der Parteizugehörigkeit, einem möglichen Migrationshintergrund sowie dem Bildungs- und Einkommensniveau. In der Altersgruppe der 30- bis 39-Jährigen ist die Zustimmung mit 57 Prozent am höchsten, während die Zustimmung ab 70 auf 48 Prozent sinkt, was immer noch eine relative Mehrheit bedeutet. 

Der Bevölkerungsschwund ist die eigentliche Ursache

Die Politik setzt im Kampf gegen den Fachkräftemangel seit Langem auf ein Dreigestirn bestehend aus 1) Frauen auf den Arbeitsmarkt, 2) Verlängerung der Beitragszeit zur Rentenversicherung und 3) Einwanderung. Diese Dreieinigkeit wird zunehmend zum Bermudadreieck, das den Alltag in Deutschland in seinen Strudel zieht: Zugausfälle, lange Wartezeiten in Notaufnahmen, Kürzung von Öffnungszeiten, Schließung von Einrichtungen – davon kann mittlerweile jeder ein Lied singen. Denn bis heute ignorieren die bemühten Lösungen konsequent die eigentliche Ursache des Fachkräftemangels: den Bevölkerungsschwund. Da versteigt sich dann beispielsweise Andrea Nahles, Chefin der Bundesagentur für Arbeit, zu Aussagen wie „Es gibt wegen des demografischen Wandels kein Szenario, wo wir ohne größere Einwanderung auskommen.“ Das klingt irgendwie alternativlos. Als ob die Abnahme der Kinderzahl ein Schicksal sei, dem man sich nur ergeben kann.

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Die Kinder, die nie geboren wurden, fehlen. Beileibe nicht nur auf dem Arbeitsmarkt. Aber auch. Das hat die absolute Mehrheit der Deutschen offenbar verstanden. Und die Mehrheit scheint auch der Ansicht zu sein, dass der demographische Wandel durchaus kein hinzunehmendes Schicksal ist, sondern sich mit gezielter Politik beeinflussen lässt.

Studien zeigen immer wieder, dass eine „bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ potenzielle Eltern ermutigen würde, (mehr) Kinder zu bekommen. Offensichtlich schwebt ihnen dabei aber nicht vor, ihre Kinder möglichst früh und möglichst lange dem staatlichen Betreuungssystem zu überlassen. Im Gegenteil: Eine absolute Mehrheit von 55 Prozent der Deutschen ist für die Einführung eines Erziehungsgeldes in den ersten drei Lebensjahren des Kindes, damit Eltern über die Betreuung ihres Kindes (finanziell) frei entscheiden können. Sogar 57 Prozent sind der Meinung, der Staat sollte die Betreuung von Kindern im Krippen- und Kita-Alter ausschließlich durch die Familie zu Hause stärker finanziell fördern, als dies bislang der Fall ist. Auch das sind aktuelle Zahlen der INSA-Familienstudie von Juni 2022. Bei Frauen ist die Zustimmung zu diesen Aussagen noch höher als bei Männern. Mütter möglichst unmittelbar nach der Geburt eines Kindes wieder in den Arbeitsmarkt einzugliedern ist also offenbar weder familien- und kinderfreundlich, noch das, was Frauen selbst wollen.

Finanzielle und berufliche Unsicherheit führen zu Abtreibung

Ein weiterer blinder Fleck: Zu den hunderttausenden fehlenden Fachkräften gehören auch die, die zwar gezeugt wurden, aber nie das Licht der Welt erblickt haben. Finanzielle und berufliche Unsicherheit ist nach wie vor ein Hauptgrund, aus dem Frauen abtreiben. Jedes Jahr fühlen sich Tausende von Frauen derart von der Gesellschaft allein gelassen, dass sie sich zu einer Abtreibung gezwungen sehen. Beratungsstellen können ein Lied davon singen. Eine wirkliche Wahlfreiheit sieht anders aus. Frauenfreundliche Politik auch. Wenn die wirklich gewollt ist, könnte man ja vielleicht damit beginnen, sie in ihrem Kinderwunsch zu ermutigen und zu unterstützen.

Lesen Sie einen ausführlichen Beitrag zum "demographischen Winter" in Deutschland in der kommenden Ausgabe der "Tagespost".

Themen & Autoren
Franziska Harter Andrea Nahles Demographischer Wandel Vereinbarkeit von Familie und Beruf

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16.03.2024, 19 Uhr
Cornelia Huber

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