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Jordan B. Peterson: Ein Kanadier in Kreuzberg

Der umstrittene Buchautor und Psychologe Jordan B. Peterson („Beyond order“) tourt derzeit durch Europa –auch in Berlin trat er mit seiner Familie auf.
Mit Leidenschaft versucht Jordan Peterson, seine Gedanken so klar wie möglich auszudrücken.
Foto: Imago | So lieben seine Fans Jordan B. Peterson: Mit Leidenschaft versucht er, seine Gedanken so klar wie möglich auszudrücken. Aufnahme von 2017.

Ein chinesisches Sprichwort sagt: „einmal sehen ist besser als tausendmal hören“. Fans und Neugierige bekamen am 29. September die seltene Gelegenheit, den bekannten kanadischen klinischen Psychologen, Hochschulprofessor und Autor Jordan B. Peterson persönlich in Augenschein zu nehmen. Im „Tempodrom“ in Berlin-Kreuzberg sollte Peterson sein drittes Buch „Beyond Order – Jenseits der Ordnung: 12 weitere Regeln für das Leben“ vor ungefähr 3 000 Zuschauern vorstellen. Sein erster und bisher einziger Auftritt in Deutschland.

Der Teil der linken Szene, der sich selbst gern „Antifa“ nennt, identifiziert den Buchautor, der sich häufig gegen „Wokeness“, Gendertheorien und Cancel Culture ausspricht, als ideologischen Gegner und wollte seinen Auftritt verhindern. Doch höchstens 300 Demonstranten (laut Schätzung der Polizei) protestierten unter dem Titel „Keine Show für Frauenfeinde, Rassisten und Trumpfans. Berlinverbot für Jordan B. Peterson“, lautstark vor dem Veranstaltungsort, der von der Polizei geschützt werden musste.

In die Nazi-Ecke gestellt

Er sei ein gefährlicher Ideengeber der neuen Rechten, so lautet ein Vorwurf. Ein anderer, die Anhänger Petersons seien meist orientierungslose weiße junge Männer. Wobei sich die Kritikwürdigkeit dieser Aussage nur dem erschließt, der weiß, dass die woke Bewegung das „white privilege“ weißer Männer in der Gesellschaft anprangert und ihnen deshalb weniger Mitspracherecht zugesteht als unterprivilegierten Minderheiten. Vor der Tür stehen Carmen (28) und Annika (33) an. Carmen versteht nicht, warum Peterson „von manchen in die Nazi-Ecke gestellt wird“. Als Grundschulpädagogin schätzt sie seine Ausführungen zur Erziehung besonders und findet diese in ihrem Erziehungsalltag bestätigt. Annika schätzt, wie Peterson die Weisheit der Bibel auf das Leben bezieht.

Das überwiegend junge Publikum des Psychologieprofessors strömt gut gelaunt an Demo und Polizei vorbei ins Foyer. Es ist ungefähr zu einem Drittel weiblich; die Altersgruppe zwischen 20 und höchstens 40 überwiegt. Weiße Männer sind hier nicht in der Überzahl; viele Männer und Frauen anderer Hautfarbe; im modernen Neusprech würden sie als PoC (Persons of Color) bezeichnet werden, sind unter den Besuchern.

Selbst die Welt verbessern

Rukshana (33) erzählt, Jordan Petersons spreche Themen an, die sie nicht mit ihren Freunden bereden könne. „Er sagt, wir sollen uns bemühen, uns und die Welt zu verbessern, statt andere zu beschuldigen. Das finde ich großartig. Ich komme aus Bangladesh. Viele meiner Freunde dort gehören zu einer zunehmend von linken Ideen beeinflussten Elite, doch die meisten kennen keinen armen Menschen. Sie leben distanziert von der Mehrheit der Leute, die extrem hart arbeiten, nur um zu überleben. Gibt es Rassismus in Deutschland? Vielleicht. Aber ich lasse mich davon nicht beeinflussen; ich versuche, das Beste aus meinem Leben zu machen“.

Vico (39) aus Brasilien entdeckte „JBP“, wie Peterson viele seiner Fans nennen, auf Youtube und ist von ihm begeistert. Sein Freund Mario (55) aus Angola teilt die politischen Meinungen von Jordan Peterson nicht, findet dessen Dialogbereitschaft jedoch vorbildhaft. „Ich schätze den Respekt, den er gerade auch andersdenkenden Gesprächspartnern entgegenbringt. Immer bemüht er sich, die Argumente seines Gegenübers zu verstehen. So sollten wir alle miteinander umgehen.“

Er gibt zu, eine Frage nicht beantworten zu können

Im ausverkauften Saal erscheinen auf zwei großen Monitoren Werbung für „Meet and Greet“-Tickets zu einem exklusiven VIP-Treffen mit dem Autor und die Einladung an das Publikum, online Fragen einzureichen. Nach einer Darbietung klassischer Gitarrenmusik auf der Bühne erklingt eine Stimme aus dem off: „Please welcome Tammy Peterson“. Wer von den Schicksalsschlägen, denen die Familie Peterson in den vergangenen Jahren ausgesetzt war, gehört hat, versteht, warum der ganze Saal in Jubel ausbricht. Ehefrau Tammy war lebensgefährlich an Krebs erkrankt, was ihren Mann zunächst in eine Depression und dann in eine Medikamentenabhängigkeit stürzte. Inzwischen bekennt sich das Paar zum Glauben an Jesus Christus. Nach der Vorstellung neuer Projekte ihres Mannes und ihrer Tochter Mikhaila, sowie einer Software ihres Sohnes Julian, kündet Tammy ihren Ehemann an. Fast alle Zuschauer erheben sich und begrüßen dessen Erscheinen mit einer wohlwollenden Welle des Applauses. Seit Peterson Anfang 2022 wegen ideologischer Differenzen, wie er sagt, seine Lehrtätigkeit an der Universität Toronto beendete, ist er ein popstarverdächtiger Intellektueller auf Welttour, der auf neuen Wegen geht.

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Kreative Freiheit

Jordan Peterson erzählt von seiner Geschäftsverbindung mit dem Online Streamingdienst Daily Wire+, auf dem er in kreativer Freiheit eigene Projekte produzieren könne ohne Gefahr zu laufen, gecancelt zu werden, so wie es ihm bei Twitter geschehen sei. Tammy Peterson liest ihrem Mann nun Publikumsfragen vor. Ein Zuhörer fragt, wie man es schaffe, angemessen auf böswillige Angriffe zu reagieren. Man solle nicht versuchen, zu gewinnen, antwortet dieser, sondern aufmerksam bleiben, „to pay attention“. Dies bedeute, sein Gegenüber und dessen Argumente wahrzunehmen und zu versuchen, selbst aus einer unangenehmen Situation noch das Beste zu machen. Seine Anekdote dazu: Als die Comicautorin Te Nahisi Coates ihn in einem „Captain America Comic“ als Nazibösewicht Red Skull darstellte, sei er zunächst schockiert gewesen. Dann habe er sich überlegt, wie er damit umgehen könne und aus einer Art Gegenkarikatur eines seiner Fans eine erfolgreiche Merchandise-Reihe produziert. Den Erlös haben sie für wohltätige Zwecke gespendet. Über die Frage, wie ein junger Mann, der in den Krieg eingezogen wird, damit umgehen solle, denkt der Psychologieprofessor lange nach. Sein Eingestehen, darauf keine Antwort zu haben, wird mit Applaus quittiert.

Jemand fragt, wie sich Eltern auf den frühen Medienkonsum bei Kindern vorbereiten können. Peterson: „Am besten gemeinsam mit Ihren Kindern“. Aber zunächst sollten die Eltern ihren eigenen Medienkonsum abklären. Er warnt vor dem Wunsch, Kinder vor allem zu behüten, das sei ebenso gefährlich wie unmöglich. Eltern müssten Teenagern Privatsphäre gewähren, aber sollten dabei aufpassen, dass Jugendliche in dem Alter nicht einfach „verschwinden“. Dagegen helfe das Ritual der Gespräche bei gemeinsamen Mahlzeiten, dem er höchste Wichtigkeit zumisst. Ein einziges verlorenes Mahl am Tag sei bereits ein bedauernswerter Verlust an Kommunikation in der Familie.

Gesellschaftlicher Einsatz als Form der Sühne

Die nächste Frage bezieht sich auf den Einzug von Genderideen in die Schulen. Jordan Peterson spricht von einem Kulturkampf in unseren Gesellschaften. Er sehe Deutschland in einer besonderen Situation, weil die Deutschen durch ihre furchtbaren Verbrechen der Vergangenheit von Schuld erstickt seien. An seine Zuhörer appelliert er, sich nicht von dieser Schuld paralysieren und dadurch manipulieren zu lassen. Seiner Meinung nach sei die richtige Form der Sühne, sich mit allen Kräften zu bemühen, am Aufbau einer besseren und gerechteren Gesellschaft mitzuwirken. Er vermute, Deutschland könne zum „Ground Zero“ in diesem Kampf der Kulturen werden. Bei diesen Worten wird es im Saal so still, dass man eine Nadel zu Boden fallen hören könnte.

Am Ende des Vortrags kommt Peterson in Fahrt, als er darüber spricht, dass es nicht reicht, wenn ein Mann sich als Frau „fühlt“, um eine Frau zu sein und umgekehrt. Es gebe nicht viele verschiedene Geschlechter oder „Gender“, sondern nur Männer und Frauen. Unter denen habe es schon immer eine Anzahl Frauen mit überdurchschnittlich vielen männlichen und Männer mit weiblichen Eigenschaften gegeben; das sei einer Frage des Temperaments, nicht des Geschlechts. Eine einschneidende Veränderung im Verhältnis der Geschlechter in den vergangenen fünfzig Jahren sei die Verwendung der Pille, die zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit Frauen ermöglicht, Schwangerschaften zu verhindern. Die psychologischen, sozialen und medizinischen Folgen seien noch gar nicht absehbar. Aussagen dieser Art machen Peterson zu einem roten Tuch für viele Feministinnen und die LGBTQ-und so weiter-Community. Seine Zuschauer quittieren den Vortrag mit Standing Ovations. Sie dürften gespannt sein, was in den kommenden Monaten von Jordan Peterson zu hören sein wird.

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