Wer in den vergangenen Jahren die Entwicklung der akademischen Welt, vor allem im angelsächsischen Raum, verfolgt hat, kann kaum übersehen, in welchem Maße hier eine Ideologisierung von Forschung und Lehre eingetreten ist, die noch vor 20 Jahren als absurd gegolten hätte. Was seit Jahrzehnten, in gewissen Fächern schon seit Jahrhunderten, als klassischer Lehrstoff betrachtet wurde, ist nunmehr als misogynes und rassistisches Gedankengut „alter weißer Männer“ verschrien und beiseite gewischt worden, während im Gegenzug drittrangige Autoren und anachronistische Forschungsfragen in den Vordergrund gestellt worden sind, die zwar nur wenig Erkenntnisgewinn aufweisen und noch weniger Relevanz dabei haben, das abendländische Bildungsgut für die nächste Generation fruchtbar zu machen, dafür aber allerhöchste politische Protektion genießen und es gewissen Forschern möglich machen, sich ausgiebig auf der (angeblich) „richtigen Seite“ der Geschichte zu profilieren. Und diese „richtige Seite“ ist links – mittlerweile in fast schon karikaturhafter Weise.
Was alles nicht geht!
Nun sollte man denken, dass in der weiten Welt der Universitäten doch genug Raum bestehen sollte, politische Vereinnahmungen zu vermeiden und in aller Ruhe „normale“, unpolitische Forschung zu betreiben. Doch diese Freiräume schrumpfen schrittweise zusammen: „Verletzende“, da angeblich antidemokratische, misogyne, rassistische oder islamophobe Texte wie Platon, Ovid, Chaucer oder Dante werden mit „Leserwarnungen“ versehen, zensiert oder aus den Kursmaterialien genommen; Bibliotheken vernichten systematisch alle Bücher, die in den letzten Jahren „nicht genügend“ konsultiert – sprich, von den Professoren zur verpflichtenden Lektüre gemacht – wurden; veröffentlicht wird meist nur noch, was von mindestens drei Kollegen im Peer-Review-Verfahren als akademisch-ideologisch „unbedenklich“ eingestuft wird; Projektgelder werden nur noch bewilligt, wenn sie entsprechende Lockworte wie „diversity“, „migration“, „tolerance“, „privilege“, „gender“ „climate“ oder „inclusiveness“ mitsamt der adäquaten Themenstellung enthalten; Aufsätze werden nicht nach ihrem Inhalt bewertet, sondern nach dem „Ranking“ der Zeitschriften, in denen sie gedruckt werden; offene Stellen werden zur Erfüllung der von oben vorgegebenen Quoten weitgehend an Angehörige verschiedener „Minderheiten“ verteilt; und selbst, wer gestern noch glaubte, eine feste Stelle zu besitzen, kann diese mittlerweile verlieren, wenn er nicht regelmäßig Nachweise über „anrechnungsfähige“ Publikationen und Drittmittelerwerb erbringt, die allesamt untrennbar verbunden sind mit den entsprechenden ideologischen Kotaus und Personalentscheidungen.
Wissenschaftsfreiheit nur noch für die Angepassten
Kurzum, die Wissenschaftsfreiheit gilt mittlerweile nur noch für jene, die die entsprechende „cultural awareness“ zeigen; alle anderen müssen es sich gefallen lassen, selbst ihre unpolitische Haltung als Mitschuld an der Fortexistenz eines Systems auslegen zu lassen, das auf dem „white male privilege“ beruht – mit absurden Folgen: Die Altertumswissenschaften forderten kürzlich sogar ihre eigene Abschaffung, da sie „strukturell“ mit den ideologischen Grundlagen der „white supremacy“ verbunden sei (so Prof. Dan-el Padilla Peralta); die altehrwürdige „International Society of Anglo-Saxonists“ mußte den Verweis auf die namensgebenden Angelsachsen fallen lassen, um sich besser mit „racism, sexism, inclusiveness, representation” auseinanderzusetzen, wie ihre Vorsitzende Mary Rambaran-Olm einforderte; in amerikanischen Schulen wie etwa in Oregon sollen die Rechenfehler von farbigen Schülern nicht mehr angestrichen werden, da die Suche nach der „einzig richtigen Antwort“ ein typisches Instrument weißer Superiorität sei; und selbst bislang eher linke und feministische Denker und Politiker wie Sahra Wagenknecht oder Svenja Flaßpöhler müssen sich zunehmend dem Vorwurf aussetzen , „reaktionär“ zu sein, wenn sie die neuesten Volten des Opferkults, des Dauerbeleidigtseins und der „cancel culture“ nicht mehr mitmachen: Die Revolution beginnt damit, ihre eigenen Kinder zu fressen. Reicht es da nicht, mögen sich manche Beobachter fragen, sich für einige Jahre entspannt zurückzulehnen und zuzusehen, wie die politische Korrektheit sich selbst ad absurdum führt, um dann auf einer gemäßigten Basis den Wiederaufbau zu betreiben?
„Was nottut, ist vielmehr ein radikales Umdenken,
was Wissenschaft überhaupt soll,
eine neue karolingische Bildungsreform“
Nein, denn die Universitäten ernten heute lediglich die Früchte einer Weichenstellung, die oft viele Jahrzehnte zurückliegt und das gesamte akademische System im Sinne von Relativismus und Liberalismus konditioniert hat. Poppers Gedanke, dass nur das auch wissenschaftlich sei, was falsifiziert werden könne, hat gerade im Bereich der Geisteswissenschaften enorme Schäden angerichtet, da er in letzter Instanz Wahrheit durch Zitationsfrequenz und quantifizierende Bibliometrie ersetzt und eine Wettbewerbssituation geschaffen hat, die nur eine vornehme Umschreibung für das Recht des stärkeren, also universitätspolitisch protegierteren Wissenschaftlers ist, was ultimativ die gegenwärtige Aushebelung der etablierten Wissenschaft als „weißes“ Machtinstrument gegenüber den subjektiven „Gefühlen“ der angeblich unterdrückten Minderheiten ermöglicht hat. Damit hängt die wirtschaftliche Liberalisierung der Universitäten zusammen: Wo „Wahrheit“ negiert und als rein provisorischer Mehrheitsbeschluß betrachtet wird, da ist logisch, daß auch die Finanzierung der Forschung dem Wettbewerb um Gelder aus der „freien Wirtschaft“ und politisierten Fonds ausgeliefert wird – mit der desaströsen Konsequenz, dass Wissenschaftler von ihren Universitäten gezwungen wurden, zuerst zu Managern, dann zu ideologischen Mitläufern zu werden, um überhaupt ihre Tätigkeit ausüben zu können.
Aus den Universitäten ist keine Problemlösung zu erwarten
„Herr, die Not ist groß! Die ich rief, die Geister, werd' ich nun nicht los“, wäre man versucht zu sagen. Daher ist die Hoffnung auf eine Rückkehr zum „status quo ante“ illusorisch: Zum einen, weil wir uns gegenwärtig dem Aufstieg einer neuen akademischen Elite gegenübersehen, die nicht an Sachfragen, sondern politischer Haltung interessiert ist und unfähig sein wird, in einigen Jahren zur Tagesordnung zurückzukehren; zum anderen, weil der eigentliche Anlaß für die gegenwärtigen Fehlentwicklungen nicht von außen, sondern von innen gekommen ist. Was nottut, ist vielmehr ein radikales Umdenken, was Wissenschaft überhaupt soll, eine neue karolingische Bildungsreform, welche die Freiheit und Sicherheit des Wissenschaftlers, die Gewährleistung seines unbehelligten Interesses an Fundamentalfragen und die Einbindung seines Forschens in ein übergeordnetes Streben nach Wahrheit erneut in den Mittelpunkt stellt, ganz im Sinne der ursprünglichen ganzheitlichen „universitas“. Davon sind wir heutzutage weiter denn je entfernt, und die Lösung wird wohl nicht aus den Universitäten selbst kommen können, sondern, Schritt für Schritt, durch die Gründung und Vorbildwirkung von neuen Instituten und Akademien ertrotzt werden müssen, die erneut Forschung und Selbstentfaltung, und nicht Output und Ausbildung in den Vordergrund stellen.
Der Autor hat einen Lehrstuhl für Römische Geschichte an der Freien Universität Brüssel. Derzeit arbeitet er als Forschungsprofessur am Instytut Zachodni in Posen.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.