Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Pro & Contra Minderheitsregierungen - Teil II

Ein Weg aus der Alternativlosigkeit

Minderheitsregierungen haben keinen guten Ruf, könnten aber Ergebnis der anstehenden Wahlen im Osten sein. Ein Grund zur Sorge? Nein, meint Jakob Ranke.
Thüringer Landtag
Foto: SaschaxFromm (www.imago-images.de) | Hier regiert auch bisher schon eine (von der CDU geduldete) Minderheitsregierung: Ministerpräsident Bodo Ramelow (die Linke) steht im Landtag in Erfurt am Rednerpult.

Wenn am 1. September in Thüringen und Sachsen gewählt wird, dürften die zu erwartenden Ergebnisse die Parteien mangels ausreichender Stimmanteile von Wunschpartnern vor große Herausforderungen bei der Regierungsbildung stellen – ähnlich so wie derzeit etwa noch in Frankreich oder zuletzt in den Niederlanden. Was früher in Deutschland wie in vielen anderen europäischen Ländern die Ausnahme war, rückt zunehmend ins Blickfeld: die Bildung von Minderheitsregierungen. Welche Nach- oder Vorteile bringt diese Regierungskonstellation mit sich? Müssen wir uns gar vor den in der Politik ungeliebten Minderheitsregierungen fürchten?

Koalitionsbildung wie früher ist nicht mehr möglich

Darf man den aktuellen Umfragen Glauben schenken, dann könnten nach der Wahl in Thüringen einer regierungswilligen CDU als Koalitionspartner nur das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) und die SPD zur Verfügung stehen – falls das für eine Mehrheit überhaupt reicht. Koalitionen mit Linkspartei hat die CDU ebenso ausgeschlossen wie solche mit der AfD. Auch in Sachsen liefe es für die hier immerhin noch in Umfragen führende CDU auf die ausgeschlossene Koalition mit der AfD oder eine Koalition mit dem BSW hinaus. Ohne Links- oder Rechtspopulisten werden sich keine Mehrheiten schmieden lassen; das ist die politische Kehrseite der gesellschaftlichen Polarisierung.

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Damit ist klar: Wer Mehrheiten bilden will, muss sich auf Partner mit sehr anderen Zielvorstellungen festlegen. Vorbei sind die Zeiten „bürgerlicher“ bzw. „rechter“ oder „linker“ Koalitionen. Einigendes Ziel ist dann im schlimmsten Fall nur noch die Verhinderung der Regierungsbeteiligung einer als gemeinsamer Feind definierten Partei – sei es der AfD in Deutschland oder etwa des Rassemblement National in Frankreich. Schon die Berliner Ampelkoalition zeigt, wie sehr die Sacharbeit Schaden nimmt, wenn fundamental unterschiedliche Politikvorstellungen innerhalb einer Koalition aufeinandertreffen. Geht es aber nur noch um die Verhinderung der Regierungsbeteiligung von Paria-Parteien, dann geht noch etwas viel Fundamentaleres verloren: Das Vertrauen der Wähler, durch die eigene Wahlentscheidung Einfluss auf die Politik nehmen zu können. Wenn nur noch eine große Verhinderungskoalition als möglich angesehen, und im Zweifelsfall bis in alle Ewigkeit fortgeschrieben wird, kann man das Wählen auch bleiben lassen.

Sicher kein Schaden für die Demokratie

Aus dieser Klemme bieten Minderheitsregierungen einen charmanten Ausweg: Weil sie nicht schon in Koalitionsverträgen auf andere Parteien Rücksicht nehmen müssen, können die Regierungsfraktionen stringentere Politikpakete schnüren – für die sie sich dann freilich themenbezogen Mehrheiten im Parlament suchen müssen. Unterstellt man, dass Parteien tatsächlich Sachanliegen verfolgen, die über reine Verhinderung hinausgehen, dann müsste dies eigentlich auch gar nicht so schwer sein, wie häufig unterstellt – ermöglicht man doch damit Nichtregierungsfraktionen die Durchsetzung eigener Ziele; deren Mitarbeit liegt also in ihrem eigenen Interesse. Außerdem öffnen Minderheitsregierungen einen Weg aus der politischen Alternativlosigkeit: Wenn keine Mehrheit gefordert ist, erweitert das die Koalitionsoptionen beträchtlich und erlaubt dem Wähler durch Verschiebung der Stimmanteile auch leichtere Politikwechsel. So ist schon jetzt so gut wie sicher, dass jedenfalls die bisherige Minderheitsregierung in Thüringen abgelöst werden wird.

Dass sich routinierte Regierungspolitiker wie der amtierende sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer mit dem Gedanken an Minderheitsregierungen nur schwer anfreunden können, liegt daher vermutlich weniger an angeblichen Zweifeln wegen mangelnder Regierungsverlässlichkeit, wie Kretschmer kürzlich bei einem Bürgerdialog beschied (wie verlässlich wird wohl eine Kretschmer scheinbar vorschwebende, inhaltlich disparate Koalition aller „demokratischen“ Parteien sein?). Grund dürfte eher die Aussicht sein, Macht an das Parlament – die Volksvertretung – abzugeben, in dem die wechselnden Mehrheiten gefunden werden müssen. Es mag anstrengend für eine Regierung sein, sich ständig neuer Mehrheiten versichern zu müssen, ist aber sicher kein Schaden für die Demokratie, wenn alle gewählten Parteien hier und da Einfluss nehmen können. Voraussetzung dafür ist freilich, sich auch tatsächlich die Möglichkeit gemeinsamer Abstimmung mit allen Oppositionsparteien offen zu halten.

Schließlich: Deutschlands Parteiensystem befindet sich gerade in der für viele Wähler unbefriedigenden Situation, dass Politik ohne linke Beteiligung – Stichwort Brandmauer – strukturell unmöglich ist. Minderheitsregierungen können nicht zuletzt ein Weg aus dieser Falle sein. Kurz gesagt: CDU-geführte Minderheitsregierungen würden die Möglichkeit wiedereröffnen, pragmatisch einzelne konservative Anliegen umzusetzen, ohne dabei gleich Höcke & Co. auf die Regierungsbank zu holen. Die kommenden Wahlen werden zeigen, ob diese Idee nicht doch auch in der Union einige Fans hat. Denn die Alternative ist immerhin die Zweckehe mit der Wagenknecht-Partei, der CDU-Chef Friedrich Merz noch vor einigen Wochen attestierte, „in einigen Themen rechtsextrem, in anderen linksextrem“ zu sein.

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