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Peter Fechter: Die Macht der Bilder wird größer

Peter Fechter wurde beim Versuch in die Freiheit zu gelangen, von den Soldaten des DDR-Regimes in den Rücken geschossen und dann verblutend an der Schandmauer liegen gelassen. Die Fotos des Sterbenden an der Berliner Mauer 1962 haben Geschichte geschrieben.
Kreuz zur Erinnerung an Peter Fechter
Foto: Blunt /Wikipedia Commons | Kreuz zur Erinnerung an Peter Fechter, aufgestellt am Tag nach seinem Tod. Ausschnitt einer dauerhaft öffentlich aufgestellten Infotafel.

Peter Fechter kennen Millionen Menschen auf der ganzen Welt. Viele von ihnen vielleicht nicht dem Namen nach. Die Bilder des an der Berliner Mauer Sterbenden, vor allem das mit den vier Uniformierten der DDR, die den 18-Jährigen tragen, gingen jedoch um die ganze Welt, und haben sich in das kollektive Gedächtnis eingebrannt.

Der am 14. Januar 1944 geborene Bauarbeiter aus Berlin-Weißensee hatte sich zusammen mit seinem ebenfalls 18-jährigen Arbeitskollegen und Freund Helmut Kulbeik wohl schon lange mit dem Gedanken getragen, nach West-Berlin zu fliehen. Am Freitag, dem 17. August 1962 – gut ein Jahr nach der Errichtung der Berliner Mauer – versuchten die beiden Jugendlichen gegen Mittag, die Mauer in der Zimmerstraße in unmittelbarer Nähe des Checkpoint Charlie an der Kochstraße zu überklettern. Helmut Kulbeik gelang es, aber auf Peter Fechter wurde ohne Vorwarnung geschossen. Er wurde getroffen und fiel auf Ost-Berliner Gebiet zurück. Fast eine Stunde lang blieb er im Todesstreifen liegen. Obwohl er laut um Hilfe bat, kamen ihm weder DDR-Grenzsoldaten noch die am Checkpoint Charlie diensthabenden US-Soldaten zu Hilfe. Nach gut 50 Minuten holten ihn schließlich Grenzsoldaten aus dem Todesstreifen. Peter Fechter erlag seinen Schusswunden gegen 17 Uhr im Krankenhaus.

„Der Wissenschaftler erörtert ebenfalls,
Bilder seien für „das träge Bewusstsein“,
denn Bilder würden ungenau eine Situation schildern“

Dabei war Peter Fechter – auch wenn es sich beinahe zynisch anhört – kein „außergewöhnlicher Fall“. Er war das 27. Todesopfer an der Berliner Mauer. Andere – Günter Litfin, Roland Hoff, Werner Probst, Dieter Wohlfahrt, Dorit Schmiel, Heinz Jercha, Peter Böhme, Horst Frank, Lutz Haberlandt, Axel Hannemann, Siegfried Noffke –wurden vor ihm beim Fluchtversuch erschossen. Dass deren Namen kaum über Fachkreise hinaus bekannt sind, hängt mit der „Macht der Bilder“ zusammen. So wie Fechter wurde auch der Student Dieter Wohlfahrt am 9. Dezember 1961 in Berlin-Staaken angeschossen. Wohlfahrt lag 90 Minuten ebenfalls im Stacheldraht und verblutete dort. Weil es aber von dieser gescheiterten Flucht weder Fotos noch Filme gibt, blieben Reaktionen wie im Falle Peter Fechters aus. Zwar existiert etwa auch von der Bergung des toten Günter Litfin, des am 24. August 1961 ersten an der Sektorengrenze Erschossenen, durch die Ost-Berliner Feuerwehr ein heute im Internet frei zugängliches Bild. Vom „Medienereignis“ Peter Fechter war die Bergung Litfins aber weit entfernt.

Auf das „Medienereignis“ im Zusammenhang mit der Bilderflut im Falle Peter Fechter machte Gerhard Paul, emeritierter Geschichtsprofessor mit Schwerpunkt „Visual History“ an der Universität Flensburg, beim Vortrag „Bilder schreiben Geschichte. Der Fall Peter Fechter und die visuelle Macht von Fotos“ in der „Gedenkstätte Berliner Mauer“ aufmerksam.

Schlüsselbild mit hoher Wiedererkennungswirkung

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Die Bilder vom verblutenden Peter Fechter seien als Schlüsselbilder mit hoher Wiedererkennungswirkung ein „Symbol für die Verachtung des Freiheitswillens“ geworden, so Paul. In einer scharfsinnigen Analyse des wohl bekanntesten, von Wolfgang Bera aufgenommenen Bildes mit dem von vier DDR-Soldaten abtransportierten schwerverletzten Peter Fechter – das tags darauf am 18. August 1962 in der „Berliner Morgenpost“ großformatig auf der Titelseite veröffentlicht wurde – weist Paul darauf hin, dass nicht nur das aufwühlende Sujet, sondern auch formalästhetische Aspekte eine wesentliche Rolle spielten.

Gerhard Paul verwies dabei auf die Untersuchung durch Christoph Hamann, der übrigens bei Vortrag in der ersten Reihe im Publikum saß. Die Aufnahme sei zwar ein Schnappschuss, so Hamann, aber: „Der Zufall des Belichtungsmoments und das Können des Fotografen brachten es mit sich, dass der Schnappschuss wie ein komponiertes Bild wirkt. Das Teleobjektiv rückt uns an die Situation der Bergung des ohnmächtigen Peter Fechter heran. Durch die halbnahe Einstellungsgröße entsteht für den Betrachter des Fotos das Gefühl, räumlich und emotional am Geschehen beteiligt zu sein.“

Eine Atmosphäre des Bedrohlichen

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Die zwei Diagonale, die dem Bild Struktur verleihen, verstärkten noch den „räumlichen Sog“. Die Situation sei durch „Fragilität“ gekennzeichnet: „Bei ein wenig Unaufmerksamkeit – so der Eindruck – würde Fechter fallen“. Der Uniformierte vorne rechts wende seinen Blick schräg nach rechts über die Mauer in Richtung des amerikanischen Sektors, wodurch „die Atmosphäre des Bedrohlichen noch einmal verstärkt“ werde, denn „der Gesichtsausdruck des Grenzsoldaten ist voll ängstlicher Erwartung“.

Der Stacheldraht sei, so Gerhard Paul, ein weiteres wiederkehrendes Motiv, das Erinnerungen an Kriegsbilder oder an solche von Konzentrationslagern wachrufe. Auch das Motiv des liegenden Fechter gemahne an die Schmerzensmutter, der Jesu Leib nach der Kreuzabnahme halte.

Im Bildjournalismus sind Bilder eine Ware

Am anschließenden Podiumsgespräch nahmen zusammen mit Gerhard Paul die Fotografin Barbara Stauss, Mitbegründerin der Kulturzeitschrift „mare“ und des „Studio Stauss“ und Bildredakteurin für NZZ Geschichte, sowie Anke Wellnitz, Bildredakteurin bei „SPIEGEL Geschichte“, teil. Die Diskussion verdeutlichte die Unterschiede zwischen Praxis und Wissenschaft, beispielsweise über die Macht der Bilder: Macht sei an sich nicht schlimm, negativ sei Machtmissbrauch, so Stauss. Paul geht allerdings weiter: Er werde immer skeptischer gegenüber Bildern, weil auch im Bildjournalismus Bilder eine Ware seien. Gegen seine Behauptung, Profis dächten beim Fotografieren zunächst ans Geld, wehren sich sowohl Stauss als auch Wellnitz. Der Wissenschaftler erörtert ebenfalls, Bilder seien für „das träge Bewusstsein“, denn Bilder würden ungenau eine Situation schildern: „Wir brauchen das Wort, um aufzuklären“. Texte seien genauer als Bilder.

Darin, dass Bilder manipulativ wirken können, dass sie in bestimmter Absicht eingesetzt werden können, waren sich die Podiumsteilnehmer aber einig. Ob sie „parteiisch“ oder eher objektiv sind, Bilder können Geschichte schreiben – und sie haben Geschichte geschrieben.

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