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Gott, KI und ich

Künstliche Intelligenz, Selbstoptimierung und die Rückkehr der Gottesfrage – Ein kleiner Spaziergang über die 75. Frankfurter Buchmesse.
Besucherandrang am letzten Tag auf der Frankfurter Buchmesse
Foto: IMAGO/dts Nachrichtenagentur (www.imago-images.de) | Die Gottesfrage ist zurück auf der Buchmesse. Wenn auch weniger im engen Sinne religiös oder gar spirituell, sondern mehr als Phänomen, das allem methodologischen Naturalismus zum Trotz Gott als Schöpfer des ...

105.000 Fachbesucher aus 130 Ländern meldete die Messeleitung am Freitag, bevor die 75. Frankfurter Buchmesse ihre Tore für den Ansturm des Privatpublikums öffnete. Das sind satte 20 Prozent mehr als im Vorjahr. Ein Zuwachs, der auch sofort ins Auge springt. An den geräumigen Ständen der großen Verlagshäuser – C.H. Beck, Cornelsen, Droemer Knaur, S. Fischer, Klett, Radom House, Springer, Thieme – herrscht umtriebiges Gewusel. Überall sitzen Verlagsmitarbeiter vertieft in Kundengespräche, manche haben dicke, eng bedruckte Terminkalender vor sich liegen. Freie Plätze so gut wie überall: Fehlanzeige.

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Nur ein Großer fehlt. Die Verlagsgruppe Herder mit ihren Tochterverlagen (u.a. Karl Alber, Knecht, Kreuz) ist nicht mehr auf der Buchmesse vertreten. Dafür machen sich mit der Bundesregierung und der Bundesbank gleich zwei Branchenfremde mit je einem Stand ziemlich breit. Glücksrad und Ratespiele sollen offenbar helfen, das ramponierte Image aufzupolieren. Die Fachbesucher nehmen es gelassen. Andrang dagegen herrscht an den Ständen von „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, „Süddeutsche Zeitung“ und „Die Zeit“, wo Konzernmitarbeiter nicht nur Kaffee ausschenken, sondern auch Abonnements verticken.

Das Megathema: Künstliche Intelligenz

Das alles beherrschende Thema ist „Künstliche Intelligenz“. Auf den Bühnen und Podien reicht das Spektrum von ChatGPT bis zur Urherberrechtsfrage. Die Haufe Group etwa hat ein gut besuchtes Forum „New Work“ eingerichtet. Unter der Überschrift „Künstliche Intelligenz braucht Regulierung – Was darf ein Algorithmus entscheiden?“ stellt sich hier Katharina Zweig, Deutschlands bekannteste Informatik-Professorin von der TU Kaiserslautern, den Fragen des Moderators und des Publikums. Im Pavillon, in dem der Ehrengast Slowenien ausstellt, diskutieren die Linguistin Naomi Baron und die Bestseller-Autorin Maja Lunde unter dem Motto „Bildschirme, KI und der Mensch“ über die Rolle, die KI in kreativen Prozessen spielt, und die Bedeutung von Büchern im digitalen Zeitalter – zwei von einem guten Dutzend ähnlicher Veranstaltung.

Die Bücher an den Verlagsständen tragen Titel wie „Die KI war‘s! Von absurd bis tödlich: Die Tücken der künstlichen Intelligenz“ (Katharina Zweig / Heyne), „Künstliche Intelligenz – Dem Menschen überlegen – wie KI uns rettet und bedroht“ (Manfred Spitzer / Droemer) und „Künstliche Intelligenz – Was sie kann & was uns erwartet“ (Manuela Lenzen /C.H. Beck), über „Das Geheimnis hinter Chat GPT: Wie die KI arbeitet und warum sie funktioniert“ (Stephen Wolfram / MITP) und „Richtig Texten mit KI. Texte schreiben mit Künstlicher Intelligenz für Job, Uni und Websites – Schneller und besser als je zuvor“ (Kai Spriestersbach / MVG) bis zu „Degenerierte Vernunft – Künstliche Intelligenz und die Natur des Denkens“ (Jörg Friedrich / Claudius) und „Der digitale Gott – Glauben unter technologischen Bedingungen“ (Rainer Bayreuther / ebenfalls Claudius).

Selbstoptimierung ist angesagt

Auch an Ratgeber-Literatur herrscht kein Mangel. Im Gegenteil: Das ohnehin längst große Meer hat sich inzwischen zu einem schier unüberschaubaren Ozean ausgeweitet. Neben Massen an Gesundheits-, Beziehungs-, Sex- und sogar Scheidungsratgebern geht es vor allem um Selbstoptimierung in der Arbeitswelt. Hier reicht das Themenspektrum von der Stressbewältigung und der Steigerung der Resilienz über sicheres Auftreten, Reden, Präsentieren und erfolgreiches Führen bis hin zu Fragen der Organisation und des Zeitmanagements. Das wirkt ein Titel wie „Innehalten, Masche halten: Wie Stricken unsere Seele wärmt“ (Karin Erlandsson / Blanvalet) zumindest exotisch, wenn nicht gar wie aus der Zeit gefallen.

Die Rückkehr der Gottesfrage

Und noch ein Trend auf dem Buchmarkt ist auf der 75. Frankfurter Buchmesse sichtbar: Die Gottesfrage ist zurück. Wenn auch weniger im engen Sinne religiös oder gar spirituell, sondern mehr als Phänomen, das allem methodologischen Naturalismus zum Trotz Gott als Schöpfer des Universums propagiert und verteidigt. Dabei sind es vor allem Autoren aus dem angelsächsischen Sprachraum, die hier für Aufsehen und einige Furore sorgen. Mit Titeln wie „God speaks science. What neurons, giant Squid and supernovae reveal about our creator“ (dt.: Gott spricht Wissenschaft. Was Neuronen, Riesenkalmare und Supernovae über unseren Schöpfer verraten / John van Sloten / Moody Press) oder „Rebirth of Belief in God: Why New Atheism Grew Old and Secular Thinkers Are Considering Christianity Again“ (dt.: Die Wiedergeburt des Gottesglaubens: Warum der neue Atheismus alt geworden ist und säkulare Denker das Christentum wieder in Betracht ziehen / Justin Brierley / Tyndale Elevate). Auch die jetzt auf Deutsch beim Verlag SMC R. Brockhaus erschienenen Bände „Kosmos ohne Gott. Warum Glaube und Wissenschaft zusammengehören“ (John Lennox) und „Die Wiederentdeckung Gottes. Wie Kosmologie, Physik und Biologie einen Schöpfer erkennen“ (Stephen Meyer) sind Übersetzungen aus dem Englischen.

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