Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung „Der Morgen davor und das Leben danach“

Ein Überlebender auf Sinnsuche

Die Apple TV+-Serie „Der Morgen davor und das Leben danach“ behandelt Verlust, Trauer und deren Bewältigung aus der Sicht eines Kindes, was der Serie einen grundoptimistischen Ton verleiht.
„Der Morgen davor und das Leben danach“
Foto: Apple TV | Der zwölfjährige Edward (Colin O’Brien) hat als Einzelner einen Flugzeugabsturz überlebt, bei dem auch seine Eltern und sein einziger Bruder starben.

Der zwölfjährige Eddie (Colin O’Brien) überlebt als Einziger einen Flugzeugabsturz. Seine Eltern (Robin Tunney, Brian d’Arcy James) hatten den Umzug von New York nach Los Angeles aus beruflichen Gründen geplant. Für Edward und seinen drei Jahre älteren Bruder Jordan (Max Jenkins) sollte dies eine einschneidende Veränderung bedeuten, denn in New York wurden sie zu Hause vom Vater unterrichtet, in Los Angeles sollte Jordan aber zur Schule gehen und Eddie allein zu Hause unterrichtet werden. 

Der zutiefst traumatisierte Eddie, der nun Edward gerufen werden möchte, wird von seiner Tante Lacey (Taylor Schilling), der jüngeren Schwester seiner Mutter, mit offenen Armen aufgenommen. Zumal Lacey und ihr Mann John (Carter Hudson) sich seit Jahren ein Kind wünschen, aber bislang nur Fehlgeburten erlitten haben. Lacey tut ihr Bestes, um Edward zu schützen und ihm zu helfen, das Erlebte zu verarbeiten, wobei auch sie selbst die Trauer um ihre Schwester aufarbeiten muss. 

Vom Umgang mit Verlust

Deshalb sucht sie eine Gruppentherapie auf, die in einem wohl katholischen Pfarrraum für die Hinterbliebenen des Flugzeugabsturzes eingerichtet wurde. Damit lernt der Zuschauer weitere Dramen kennen, und wie diese Menschen mit dem Verlust umgehen und dem eigenen Leben einen neuen Sinn zu geben versuchen. 

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Für die Dramaturgie der Serie bedeutet dies, dass mehrere Handlungsnebenstränge eingeführt werden. Insbesondere handelt es sich um Dee Dee (Connie Britton), deren Mann auf Geschäftsreise nach Los Angeles war, Adriana (Anna Uzele), deren Großmutter als Kongressabgeordnete zu einem politischen Treffen unterwegs war, Amanda (Britanny S. Hall), deren Verlobter ebenfalls im Flugzeug saß. Dies führt etwa dazu, dass sich die Erzählstränge dieser Figuren – und noch weiterer – immer wieder kreuzen.

Für „Der Morgen davor und das Leben danach“ (Originaltitel: „Dear Edward“) adaptiert Serienentwickler Jason Katims den gleichnamigen Roman von Ann Napolitano, die sich wiederum von einem Flugzeugabsturz im Jahr 2010 in Libyen inspirieren ließ, bei dem 103 Passagiere starben und nur ein neunjähriger Junge überlebte.

Trotz der unterschiedlichen Perspektiven, die durch die verschiedenen Handlungsstränge entstehen, erzählt die Apple-Serie bereits seit der ersten Folge vorwiegend aus der Sicht des Zwölfjährigen, der offensichtlich keine Freunde hat – seine Kontakte außer Haus scheinen sich auf einen Dönerverkäufer mit Migrationshintergrund zu beschränken. 

Serie setzt insbesondere auf die Gefühle der Figuren

So schildert die Serie insbesondere, wie Edward fortan bei seiner Tante aufwächst, und mit dem Verlust umzugehen lernen muss. Dazu gehört aber auch, dass er sich immer wieder seinen verstorbenen Bruder imaginiert und mit ihm spricht. Bei der Aufarbeitung seines Traumas spielt eine bedeutende Rolle die forsche gleichaltrige Nachbarstochter Shay (Eva Ariel Binder), die den passiven Jungen ein ums andere Mal aufrüttelt.

Die Serie setzt insbesondere auf die Gefühle der Figuren, die teilweise entdecken müssen, dass ihre Partner eigentlich anders waren, als sie dachten, ja sogar ein Doppelleben führten. Dies dient den Serienmachern dazu, zeitgeistgemäße Botschaften ¬– eine homoerotische Beziehung, ein Lesbenpaar, ein LGBTQ-Zentrum in Los Angeles, wo einer der Flugzeuginsassen „seine sexuelle Identität erforschte“ – einzuführen.

Auf der anderen Seite stellt die Serie auch tiefgründige Fragen im Zusammenhang mit dem Tod geliebter Menschen, und warum Edward überlebt hat: Von der Aussage eines Pflegers – „Gott rettete Dich“ – bis zum imaginären Gespräch, das Edward mit seinem älteren Bruder führt – auf Edwards Frage „Sollen wir anfangen, an Gott zu glauben?“, antwortet Jordan: „So können wir alle zusammenbleiben“. Dazu passt auch der zwar kurze, aber im Gedächtnis bleibende Auftritt eines sympathischen jungen katholischen Geistlichen.

Schauspielkunst macht aufdringlichen Soundtrack wett

Die Schauspielkunst der Darsteller macht den ziemlich aufdringlichen Soundtrack wett, der auf Streicher setzt und die Gefühle der Figuren immer wieder durch rührselige Songs verstärkt. Hier ist an erster Stelle Colin O’Brien zu nennen, der die verschiedenen Gemütszustände auf eine für sein Alter erstaunlich überzeugende Art darstellt. Dazu kommen insbesondere einige Schauspielerinnen – von Taylor Schilling als Tante Lacey über Connie Britton als Dee Dee bis hin zu Anna Uzele als Adriana –, die ebenfalls glaubwürdig agieren, ohne sich in den Vordergrund zu drängen und Colin O’Brien die Hauptrolle streitig zu machen. 

Filme und Serien über Verlust und Trauer gibt es reichlich. Das Besondere an „Der Morgen davor und das Leben danach“ besteht jedoch darin, dass Verlust und Bewältigung aus der Sicht eines unschuldigen Kindes dargestellt werden, was der Serie trotz aller Dramen eine gewisse Grundhoffnung verleiht.


„Der Morgen davor und das Leben danach“, USA 2023. Serienentwickler: Jason Katims. Zehn Folgen à 50 bis 57 Minuten. Auf Apple TV +.

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José García Trauer

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