Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Filmrezension

Die große Sinnmaschine

Der Film „Empire of Light“ von Oscarpreisträger Sam Mendes huldigt der Magie des Kinos.
Empire of Light
Foto: IMAGO/i-Images (www.imago-images.de) | Olivia Colman, Sam Mendes und Toby Jones (v.l.n.r) bei der Premiere von "Empire of Light".

„Wo die Liebe ist, da geht ein Licht auf in der Welt; wo Hass ist, ist die Welt finster.“ Diese weisen Worte von Papst Benedikt XVI. beschreiben wunderbar, worum es auch im aktuellen Kinofilm „Empire of Light“ von Regisseur Sam Mendes geht. 

Sein Film über das „Reich des Lichts“ blickt hinter die Kulissen eines Kinobetriebs im Südengland der frühen 1980er-Jahre während der ersten Thatcher-Regierungsjahre. Erzählt wird die Geschichte der Kassiererin Hillary: Vorbild für die Figur der Mitvierzigerin waren die eigene Mutter von Sam Mendes, nämlich die Schriftstellerin Valerie Mendes und ihr psychisches Leiden an einer bipolaren Störung. Damit und mit dem Umstand, dass der Film in Mendes‘ Jugendzeit spielt, in der er selbst das Kino als Sinnmaschine für sich entdeckte, dürfte dieser Film wohl das persönlichste Werk seiner langen Karriere sein, die mit großen und oscarprämierten Filmen wie "James Bond 007: Skyfall", "American Beauty" und "1917" glänzt. 

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Damit reiht sich der große Regisseur in die Riege anderer berühmter Regisseure, wie Steven Spielberg mit „Die Fabelmans“, Kenneth Branagh mit „Belfast“ und Damien Chazelle mit „Babylon“, die in ihren letzten Filmen alle mehr oder weniger autobiographisch ihre Liebe zum Kino zelebriert haben. 
Es ist bestimmt kein Zufall, dass in den vergangenen Monaten gleich mehrere Kinofilme die Magie des Films beschworen haben - sah es doch in den Corona-Jahren nicht gut aus für die Zukunft der monatelang geschlossenen Lichtspielhäuser. Das Massenpublikum wandte sich ab, das Gemeinschaftserlebnis Kino mutierte zur Gesundheitsgefahr und Streamingdienste feierten ihren Siegeszug. Sind deshalb die oben genannten Regisseure so dicht aufeinander zur nostalgischen Ehrenrettung des Kinos angetreten? 

Wenn das Kino Halt gibt

Auch das „Empire of Light”, wie der Filmpalast an der englischen Südküste heißt, hat seine besten Tage hinter sich. Zwei Säle sind bereits geschlossen – doch die Geschäftsleitung hofft dennoch auf eine bessere Zukunft und will mit einer großen Premiere des Films „Die Stunde des Siegers“ die Menschen wieder für Kinoevents begeistern. Wenn sich im Hauptsaal der rote Samtvorhang öffnet und im dunklen Zuschauerraum die Staubpartikel im Lichtstrahl des Projektors tanzen, entfaltet das Kino seinen ganzen magischen Zauber. 

 

 

Es ist ein buntes Team von Kollegen und Kolleginnen, die als eingeschworene Gemeinschaft, Abend für Abend das Kinopublikum empfängt und deren Sehnsüchte bedient. Neben dem grandiosen Nebendarsteller Toby Jones in der Rolle des deus-ex-machina-Filmvorführers Norman, der für das Knistern des Zelluloids und den Lichtstrahl des Projektors, der 24 Einzelbilder pro Sekunde ausstrahlt, verantwortlich ist, brilliert vor allem ganz still am Rand die Kassiererin und Mädchen für alles - Hilary. Schüchternes Auftreten, melancholische Blicke und ein herzzerreißendes Lächeln, das von einer Sekunde auf die andere durch extreme Stimmungsschwankungen erlöschen kann. 

Olivia Colman und Roger Deakins‘ Kamera brillieren

Licht und Dunkel, Jauchzen und Trübsinn, die Grundmotive des Films treffen in Hilarys Seele allesamt aufeinander und machen aus ihr einen komplexen Charakter. Olivia Colman spielt sie überzeugend mit einer hauchdünnen Haut, die einen tiefen Abgrund unter der Fassade der Normalität verbirgt. Sie tut alles damit die Kinogäste sich wohlfühlen. Die gezeigten Filme sieht sie selbst aber nie. Donald Ellis, der Kinobesitzer des Empire, schaurig schmierig gespielt von Colin Firth, nutzt Hilarys Lage aus und nötigt sie in seinem Büro zu sexuellen Gefälligkeiten. Sie fühle sich wie betäubt, beschreibt sie dem Arzt ihren Zustand. Als aber eines Tages Stephen, schwarz, Anfang zwanzig und charmant gespielt von Michael Ward, im Kino neu als Aushilfe angestellt wird, verliebt sie sich in ihn. Sie wacht aus ihrem tristen Alltag auf und beginnt wieder Freude am Leben zu haben, doch ihr Glück ist nur von kurzer Dauer.

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„Empire of Light“ wurde in Margate gedreht, dem Ort, an dem der Maler William Turner einst die Reflektionen des Lichts auf dem Wasser studierte. Regisseur Sam Mendes hat dabei zum ersten Mal selbst das Drehbuch zu seinem Film geschrieben. Sein Solo-Drehbuchdebüt zeigt jedoch, dass nicht in jedem Kinomeister auch ein Autorenfilmer steckt. 

Aber es ist letztlich nicht die Geschichte, die thematisch zwischen Rassismus, Liebe, Schizophrenie, sozialen Spannungen und der Kinomagie balanciert und sich dabei leider häufig thematisch übernimmt, sondern es sind die Bilder von dem sechzehnfach für den Oscar nominierten und zweifach ausgezeichneten, legendären Kameramann Roger Deakins, die den Rhythmus der poetischen Handlung vorgeben: Jede einzelne Einstellung ist traumhaft schön, gleicht einem Gemälde und macht süchtig nach weiteren solchen Bildern. Die Illusion der bewegten Bilder ist in dieser Ode an die Magie des Kinos das Heilmittel, das verletzten Seelen vorübergehenden Trost verspricht, flüchtige Erleuchtung und Licht in die Dunkelheiten des Lebens bringt. Im Kino gewesen – „Licht im Dunkel“ gesehen - was will man mehr? 

„Finde das Licht in der Dunkelheit“

Das Licht als Zeichen der Hoffnung ist auch in der Bibel ein wichtiges Symbol, so sagt Jesus Christus über sich selbst: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern wird das Licht des Lebens haben.“ (Joh 8,12) Denn, so schreibt der Evangelist Johannes auch an einer anderen Stelle, „das Licht leuchtet in der Finsternis und die Finsternis hat es nicht erfasst“ (Joh 1,5).

Vielleicht ist es von daher auch kein Zufall, dass in der Wohnung von Stephen und seiner Mutter ein großes Bild von Jesus direkt über ihrem Fernseher hängt. „Finde das Licht in der Dunkelheit“. Mit diesem Spruch erfüllt der Film am Ende sein Versprechen vom Anfang, denn zu Beginn des Films sieht der Zuschauer als erstes eben diese Worte über dem Eingang zu einem Kinosaal. „Empire of Light“ setzt dem Kino als Ort des Lichts ein glanzvolles Denkmal.

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