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Dokumentarfilm „Lass uns reden“: Über Abtreibung sprechen

Dank einer klug entwickelten Dramaturgie lässt der Dokumentarfilm „Lass uns reden“ Frauen und Männer über ihre Erfahrungen mit Abtreibung zu Wort kommen.
Valerie De Agostini, Psychologische Beraterin
Foto: Performance Picture Entertainment | Eine der im Film zu Wort kommenden Expertinnen: Valerie De Agostini, Psychologische Beraterin mit Beratungsschwerpunkten „Fehl- und Totgeburten sowie Schwangerschaftsabbrüche“.

Es sei „ein Dokumentarfilm über Konfliktschwangerschaften“, heißt es zu Beginn. In einer leeren Halle, umgeben von großen und kleinen Lichtern, steht die Schauspielerin Adina Wilcke. Sie spricht frontal zur Kamera einen Text, etwa: „Zwei Streifen, die über zwei Leben entscheiden – eins für mich und eins für das, was in mir ist.“

„Diese bewegenden Geschichten sollen zeigen, dass es so etwas wie ,geht nicht‘ nicht gibt
und auf die eigene Verantwortung über Entscheidungen hinweisen.
Im Leben gibt es oft viele Notlagen, aber ein Kind eben nur einmal.“

Deutlich wird aus dem Film von Tamás Kiss jedenfalls, dass „das, was in mir ist“ ein menschliches Wesen ist. Etwa in der Aussage einer der Protagonistinnen von „Lass uns reden“, der 78-jährigen Christine Faiella: Sie habe „vier erwachsene Kinder, einen Sohn, drei Töchter ... und ein abgetriebenes Kind“.

Faiella ist die älteste der sechs Protagonistinnen, die von ihren Erfahrungen in einer Konfliktschwangerschaft berichten. Dazu kommen auch zwei Männer, die ebenfalls von der Abtreibung betroffen waren. So stimmt Peter Eilichmann mit Christine Faiella überein: „Gefühlt habe ich drei Kinder“, wobei eins von ihnen ein Kind sei, „das durch Abtreibung getötet wurde“. Aus den Aussagen der beiden Männer spricht darüber hinaus die Ohnmacht, dass „gegen meinen Willen“ die Entscheidung getroffen worden sei, „das Kind nicht zu bekommen.“

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Analysen der Problematik

Die Halle wurde inzwischen in eine Art offene Praxis umgewandelt: Die Interviewten – zu den Protagonisten kommen noch vier Expertinnen: die psychologische Beraterin Valerie De Agostini, die Psychotherapeutin Verena Schindler, die Seelsorgerin Rita Dullinger sowie die Universitätsprofessorin für Kinder- und Jugendheilkunde Daniela Karall hinzu – sitzen jeweils einzeln auf einem Sessel.

Erzählen die Betroffenen von ihren persönlichen Erfahrungen mit verschiedenen Ausgängen, Auswirkungen und deren Aufarbeitung, so analysieren die vier Expertinnen die Problematik.

In dem Zusammenhang stellt sich als eine richtige Entscheidung der Filmemacher heraus, dass die Kamera auf den jeweiligen Interviewten gerichtet bleibt, wobei die Fragen herausgeschnitten sind und der/die Fragende außerhalb des Gesichtsfeldes bleibt. Dadurch und durch die schnelle Aufeinanderfolge des/der Interviewten gewinnt der Dokumentarfilm an Dynamik.

Psychische und psychosomatische Folgen werden in Beratungen oft ausgeblendet

Der dadurch entstandene Rhythmus gehört neben der Ausstattung und der überdurchschnittlichen Kameraführung zu den filmisch herausragenden Merkmalen von „Lass uns reden“. Dies hängt mit einer durchdachten Dramaturgie zusammen: Der eingangs erwähnte Monolog Adina Wilckes setzt sich fort zu Beginn eines jeden der fünf Kapitel.

Zunächst geht es um die Nöte der Frauen und Paare bei einer Schwangerschaft, die eine Abtreibung in Erwägung ziehen lassen; der zweite Abschnitt handelt vom Erlebnis der Abtreibung selbst; in einem dritten Kapitel geht es um Aufklärung vor einer Abtreibung, wobei es deutlich wird, dass kaum über mögliche psychische und psychosomatische Folgen gesprochen wurde. Im vorletzten Abschnitt werden die möglichen Folgen einer Abtreibung (etwa PTSD) besprochen, die immer noch ein Tabuthema sind. Die eingeladenen Personen berichten über ihr Leben nach dem Schwangerschaftsabbruch und welche Veränderungen es in ihnen ausgelöst hat: „Was passiert dann mit mir?“ Anhand von Fallbeispielen zeigt das letzte Kapitel auf, wie sich Frauen allen Schwierigkeiten zum Trotz dazu entscheiden, ihr Kind doch auszutragen. Dazu merken die Filmemacher an: „Diese bewegenden Geschichten sollen zeigen, dass es so etwas wie ,geht nicht‘ nicht gibt und auf die eigene Verantwortung über Entscheidungen hinweisen. Im Leben gibt es oft viele Notlagen, aber ein Kind eben nur einmal.“

Es geht um Frauen, ihre Kinder und um Familien

„Lass uns reden“ urteilt nicht. Die Kamera nimmt stets eine beobachtende Stellung ein. Der Film von Tamás Kiss versteht sich eher als eine Einladung, „sich auf einen Diskurs einzulassen, mit Tabuthemen unserer Gesellschaft zu brechen und zu eigenen Schlussfolgerungen zu kommen.“ Um „über die wahren Fragen des Lebens zu reden“, bedürfe es viel Mut angesichts der hohen Abtreibungszahlen. „Und es gibt Bedarf guter Beratung und ausreichender Überlegungszeit, um solche gewichtigen, ja existentiellen Entscheidungen treffen zu können. Letztlich geht es um die Frauen, die betroffenen Kinder, unsere Familien, unsere Gesellschaft.“

Der Dokumentarfilm legt den Finger auf die Wunde der psychologischen und psychosomatischen Folgen einer Abtreibung, insbesondere aber auch auf die Suche nach Vergebung nach einem solch gewichtigen Schritt. „Ich habe gewusst: Es war mein Kind, und ich habe es getötet“, sagt beispielsweise einer der Protagonistinnen, die abgetrieben haben. In dem Zusammenhang spricht Seelsorgerin Rita Dullinger von „Unvergebenheit“.

Wie kann sie überwunden werden? Eine der möglichen Antworten gibt ebenfalls eine der Protagonistinnen, Petra Plonner: „Der Glaube an einen vergebenden Gott hat mich herausgeholt“.


„Lass uns reden“. Regie: Tamás Kiss. Österreich 2022, 90 Min.
Der Film wird in ausgewählten österreichischen Kinos gezeigt. Termine unter: www.lassunsreden.film

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