Das Leben kann so einfach sein. Warum sollte man sich als Journalist die Mühe machen, eine Veranstaltung zu besuchen, wenn man den Bericht über selbige doch genauso gut im Vorhinein schreiben kann? Dazu braucht es nur die Rednerliste und Wikipedia.
Ein exzellentes Beispiel für diese Art von Journalismus liefert aktuell „Kirche+Leben“, die Kirchenzeitung des Bistums Münster. Redakteur Louis Berger schreibt dort über die derzeit in London stattfindende ARC-Konferenz (Alliance for Responsible Citizenship). Beim Lesen des Artikels fällt unmittelbar auf, dass er über weite Strecken im Futur verfasst ist. So heißt es beispielsweise: „Aktuell von politischer Relevanz ist aber eher, dass Donald Trumps neuer Energieminister Chris Wright auf der Konferenz einen Vortrag halten wird.“ Es besteht kein Zweifel, Berger hat den Artikel vor Beginn der Veranstaltung geschrieben; er ist auf der Konferenz persönlich auch nicht anwesend. Was genau auf der Veranstaltung passieren und gesagt werden wird, steht für ihn bereits im Vorfeld fest. So etwas nennt man vorausschauenden Journalismus.
Die Nähe zu Donald Trump ist das Totschlagargument
Aus der Rednerliste, die insgesamt 147 Personen umfasst, hat sich Berger diejenigen herausgesucht, die er am leichtesten mit negativen Schlagworten versehen kann, um sie dadurch zu diskreditieren. Die Nähe zu Donald Trump ist dabei natürlich das Totschlagargument schlechthin, wobei der bereits erwähnte Chris Wright auch noch mit dem bösen Wort „Fracking“ versehen und als Leugner der Klimakrise porträtiert wird. Dem Unternehmer Peter Thiel wird zum Verhängnis, dass er vor Jahrzehnten mal mit Elon Musk zusammengearbeitet hat, der bekanntlich eng mit Trump verbunden ist. Überdies hat Thiel aber auch in die christliche Gebets-App „Hallow“ investiert. Von hier kann der Verfasser nun einen Bogen zur „religiösen Rechten“ schlagen, die seiner Meinung nach die App hauptsächlich nutzt.
Zu dieser „religiösen Rechten“ zählt Berger unter anderem den Theologen Johannes Hartl. Eine Begründung hierfür bleibt er allerdings schuldig, sieht man von einem „Selfie mit der evangelikalen Influencerin Jana Hochhalter“ ab. Eine weitere Influencerin, deren Anwesenheit auf der Konferenz der Autor nicht billigen kann, ist Jasmin Neubauer, die, so Berger, eine „große Offenheit zur AfD“ gezeigt habe – womit er meint, dass sie sich offen dafür gezeigt hat, mit Alice Weidel über Jesus zu sprechen.
Völlig untragbar ist für ihn aber vor allem die Tatsache, dass Neubauer einmal das Gesellschaftsspiel „Secret Hitler“ gespielt hat, bei dem es, so Berger, darum ginge, „dem Führer durch geschicktes Taktieren zur Macht verhelfen“. Natürlich hat Berger auch dieses Spiel niemals persönlich gespielt, sonst würde er wissen, dass dabei zwei Teams gegeneinander antreten, von denen das eine eben diese Machtübernahme zu verhindern versucht. Man kann nur hoffen, dass Neubauer nicht irgendwann in ihrem Leben auch mal Monopoly gespielt hat, sonst wäre sie bis ans Ende ihres Lebens als böse Kapitalistin verschrien.
Der fleischgewordene Rechtskatholizismus
Sein besonderes Augenmerk richtet der Autor auf das Ehepaar Kugler, immerhin sei Ehemann Martin der ehemalige Pressesprecher des österreichischen Opus Dei. Dass diese Tätigkeit mehr als ein Vierteljahrhundert zurückliegt, hat Berger bei seiner Google-Recherche vermutlich übersehen. Fast muss man dankbar sein, dass er Martin Kugler nicht mit dem gleichnamigen Steinmetzmeister aus dem 17. Jahrhundert verwechselt hat. Der hat nämlich auch einen eigenen Wikipedia-Eintrag.
Gudrun Kugler schließlich ist für Berger gleichsam der fleischgewordene Rechtskatholizismus, vor allem deshalb, weil sie beim Wiener Marsch fürs Leben „Seit an Seit“ mit dem rechtsradikalen Aktivisten Martin Sellner marschiert sei. Hier hört der Spaß allerdings auf, denn nun befinden wir uns im Bereich der Verleumdung. Niemand hat Kugler und Sellner jemals „Seit an Seit“ marschieren sehen, weder in Wien noch anderswo. Als Quintessenz des Artikels bleibt schließlich hängen, was man als anständiger Staatsbürger über die ARC-Konferenz zu wissen hat: Das Treffen ist rechts, und zwar ganz viel!
Für den traditionellen Journalisten, der bei der Konferenz tatsächlich anwesend ist, zeichnet sich freilich ein ganz anderes Bild, eine Atmosphäre von Freiheit, Vielfalt und Optimismus, wie man sie selten an einem Ort gebündelt findet. Und wer das Ganze für eine Veranstaltung von Trump-Anhängern hält, der hätte sich beispielsweise den Vortrag des Schriftstellers David Brooks anhören können, der nachdrücklich davor warnte, Trumps Hass auf Linke mit einem konservativen Wertefundament zu verwechseln. Aber warum sollte man sich sein Weltbild durch Fakten zerstören lassen? Das Leben kann doch so einfach sein.
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