„Wir sind die Übriggebliebenen.“ Die große Schauspielerin Edith Clever tritt, einer Heroine gleich, an die Bühnenrampe des Berliner Renaissance Theaters und eröffnet mit diesem Satz einen bemerkenswerten Abend.
„Ja, der Abend war hell – ein Strauß für Botho“: Mit diesem Motto haben die elf Schauspieler ihre szenische Lesung zu Ehren des Dramatikers und Schriftstellers Botho Strauß betitelt, der am 2. Dezember seinen 80. Geburtstag feiern konnte. Alle gehörten sie zum legendären Ensemble der ebenso legendären Berliner Schaubühne Peter Steins, erst am Halleschen Ufer, dann am Lehniner Platz am Kurfürstendamm, der auch Botho Strauß zwischen 1970 und 1975 als Dramaturg angehörte, bevor er sich als einer der damals meistgespielten Dramatiker des deutschsprachigen Theaters etablierte.
Unverwechselbare Theatersprache, eigenwillige Komik
Mit seiner unverwechselbaren Theatersprache und seiner eigenwilligen Komik schrieb er Theatergeschichte; Stücke wie „Bekannte Gesichter, gemischte Gefühle“ (1975), „Trilogie des Wiedersehens“ (1977) oder „Groß und Klein“ (1978) sind in Teilen in den Wortschatz der Besucher eingegangen, so nahe waren sie am Zeitgeschehen der 1970er Jahre. Auch die deutsche Wiedervereinigung nach dem Mauerfall hat er dramatisch verarbeitet – im „Schlusschor“ (1991). Da er sich als Schriftsteller und Essayist seit Ende der 1980er Jahre mit demokratie- und zivilisationskritischen Äußerungen bei den Medien unbeliebt machte („Anschwellender Bocksgesang“) und seine literarischen Werke zunehmend ein nicht jedem zugängliches komplexes, mythologisch geprägtes Gedankenlabyrinth offenbarten, hat die Popularität nachgelassen – die Stücke Botho Strauß‘ werden kaum noch gespielt.
Dafür werden sie an diesem 11. Dezember der Vergessenheit entrissen, im ausverkauften Renaissance Theater, von den Schauspielern Edith Clever, Libgart Schwarz, Ernst Stötzner, Roland Schäfer, Elke Petri, Udo Samel, Imogen Kogge, Corinna Kirchhoff, Dörte Lyssewski sowie, als Stimmen vom Band, Tina Engel und Gerd Wameling. Und sie tun das auf eine so unsentimentale Weise, dass jegliche Art von Nostalgie erst gar nicht aufkommt. Auf der Bühne ist ein Leseprobensetting aufgebaut, mit großem Tisch und verteilten Stühlen, die nach Bedarf hin- und hergerückt werden.
Die sorgfältig von den Schauspielern ausgewählten Zitate werden einzeln vorgetragen oder zu zweit gespielt, sie haben nicht nur Theaterstücke im Gepäck, auch ein unveröffentlichter Text („Die Ikonoklasten“) wird von Corinna Kirchhoff gelesen, und aus dem gerade erschienenen Buch „Das Schattengetuschel“, das Miniaturen um die Themen Alter und Abschied versammelt, präsentiert die eigens aus Wien angereiste Libgart Schwarz mit ihrer unverändert kraftvollen, sich in höchste Höhen schraubenden Diskantstimme eine Geschichte, die immer noch über die altvertraute Komik verfügt.
Nordrhein-westfälische Bodenständigkeit
Die Paarungen von Imogen Kogge und Udo Samel (als Mutter und Sohn in „Der Park“, dem auch der Titel des Abends entlehnt ist) und Elke Petri und Roland Schäfer (als streitbares Gespann in „Groß und Klein“ sowie „Trilogie des Wiedersehens“) sind hinreißend, egal, ob man sich an Gesehenes erinnert oder sich einfach am Gegenwärtigen erfreut. Udo Samel und die eingespielte Stimme von Gerd Wameling duellieren sich verbal („Der Park“), da kommt das alte „Traumpaar“ noch einmal zusammen. Dörte Lyssewski spricht die „Fragmente der Undeutlichkeit“ so eindringlich, dass man der „poetologischen Meditation“, mit der sich Botho Strauß hier dem amerikanischen Dichter Robinson Jeffers (1887–1962) annähert, konzentriert folgen kann.
Ernst Stötzner spricht seine Rolle als „Der völlig Unbekannte“ aus „Die Zeit und das Zimmer“ und Edith Clever deklamiert (und spielt) ihren grandiosen Eingangs-Monolog in einem marokkanischen Hotel aus „Groß und Klein“, der ihre darstellerische Bandbreite zeigt: alles ihr auch eigene Statuarische weicht einer nordrhein-westfälischen Bodenständigkeit, die man ihr auf Anhieb nicht zutrauen möchte.
Edith Clever ist auch die Idee zu dieser Vorstellung zu verdanken, sie hat das Kunststück vollbracht, das einmalige Ensemble für einen Abend um sich zu versammeln und das Renaissance Theater dafür zu gewinnen, dem wiederum das Verdienst gebührt, einigen der vor Jahren aus der Schaubühne „Vertriebenen“ eine neue Theaterheimat zu bieten.
Bewegte Grußbotschaft des Dichters an „seine“ Schauspieler
Der knapp zweistündige Abend ist fantastisch, und alle Beteiligten sind es auch. Die eventuelle Enttäuschung, dass Botho Strauß (wie vom notorisch Öffentlichkeitsscheuen nicht anders zu erwarten) der ihm gewidmeten Hommage ferngeblieben ist, wird gemildert durch die von seiner Frau Manuela Reichart verlesene, sehr bewegte Grußbotschaft des Dichters an „seine“ Schauspieler.
Eine leise Wehmut bei den Zuschauern lässt sich nicht vermeiden – man denkt an große Theaterzeiten, man denkt an die Verstorbenen (Otto Sander, Peter Simonischek, Jutta Lampe, Bruno Ganz und all die anderen) und ist sich doch darüber im Klaren, dass nichts bleibt, wie es ist – und dass das eben zum Leben gehört. Innerlich erwärmt und dankbar für das Erlebte geht man hinaus in den kalten Dezemberabend. Ja, der Abend war hell!
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