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Ein Schutzengel für Gertrud von le Fort

In einem Zeitalter des Unglaubens verließ sich die Schriftstellerin ganz auf die himmlischen Heerscharen, schreibt Uwe Wolff.
Wesen und Wirken der Engel
Foto: Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg, Ralf Kuhlen | Versinnbildlicht für Gertrud von le Fort das Wesen und Wirken der Engel: Das Engelswappen am Heidelberger Stadtschloss.

Engel sind Teamworker wie Dachdecker, Maurer und Architekten - so könnte die Botschaft jenes berühmten Engelwappens am Heidelberger Schloss gedeutet werden, das Gertrud von le Fort (1876-1971) in ihrem Roman „Der Kranz der Engel“ (1946) zum Symbol einer unmöglichen Liebe in Zeiten des Glaubensverfalls wählte.

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Das Wappen zeigt zwei Engel. Sie halten einen Kranz mit fünf Rosen und einen Zirkel, wie ihn Architekten benutzen. Der Zirkel ist zugleich ein Symbol Gottes („deus geometer“), der mit Wissen und Weisheit den Bauplan der sichtbaren Welt der Menschen und der unsichtbaren Welt der Engel entworfen hat. Der Roman spielt im Heidelberg der Zwanziger Jahre: Er erzählt die Liebesgeschichte zwischen dem Atheisten Enzio und der Katholikin Veronika. Sie deutet das Engelwappen als Zeichen ihrer schicksalhaften Liebe zu Enzio. Die beiden Studenten erleben eine l?mour fou, die Veronika nach vielem Auf und Ab in den Nervenzusammenbruch treibt.

Von Kindesbeinen an von Engeln umgeben

Heute sind die konfessionellen Bastionen geschleift. Daher bedarf es einer kulturgeschichtlichen Erinnerung an die Dramatik, mit der noch in den Fünfziger Jahren über konfessionsverschiedene Ehen oder Eheschließungen zwischen praktizierenden Katholiken und Atheisten gestritten wurde. Karl Rahner sprach in seinem Aufsatz „Der Christ und seine ungläubigen Verwandten“ (1954) von der Diasporasituation in der eigenen Familie als einer „Art des Martyriums“.

Wie Joseph Ratzinger hatte er wenig Hoffnung auf eine Änderung der Lage. „Das Heidentum sitzt heute in der Kirche selbst“, schrieb Ratzinger in seinem programmatischen Aufsatz „Die neuen Heiden und die Kirche“ (1958). „Der Kranz der Engel“ löste eine beispiellose Debatte aus. Sie ist nicht so nostalgisch, wie es auf den ersten Blick scheint. Denn es geht um letzte Fragen in einer Beziehung. Es gibt Dinge, die einem Menschen heilig sind, die nicht nur Toleranz und Rücksichtnahme, sondern Achtsamkeit und Teilhabe verlangen. Manche Werte sind nicht verhandelbar und bestimmte Verhaltensweisen gelten noch immer als „no go“. Deshalb ringt Veronika wie ein Schutzengel um das ewige Seelenheil ihres Verlobten.

Wer, wenn nicht die Engel

Wer, wenn nicht Engel, können Agnostiker und Atheisten bekehren? Sie haben nicht nur einen Plan, sondern auch jene Engelsgeduld, mit der sie selbst in scheinbar aussichtslosen Lagen auf eine Wandlung hoffen. Die Engel spielten im Leben der Gertrud von le Fort eine große Rolle. Das Kind hatte eine blühende Fantasie, sah Engel und Elfen. Die zeichnerisch begabte Baronin fertigte nach dem Bericht ihres Kindes Zeichnungen von Engeln an und verstärkte somit die kindliche Erfahrung.

Als hoher Offizier war der Vater offiziell Mitglied der lutherischen Kirche, in seiner religiösen Haltung jedoch indifferent. Die religiöse Erziehung überließ er der Mutter seiner drei Kinder. Sie war durch die Herrnhuterische Erweckungsbewegung pietistisch geprägt und hielt jeden Morgen im Kreis der Kinder eine Hausandacht. Wie viele gebildete Frauen ihrer Generation verfügte sie über einen großen Schatz an Gedichten, die sie auswendig zitieren konnte. Sie hielt ihre Tochter Gertrud dazu an, kleine Gedichte zu schreiben.

Im Jahr 1900 erscheinen ihre „Gedichte“. Da ist die Autorin in Veronikas Alter und hat sich nach ersten enttäuschenden Herrenbekanntschaften offenbar entschieden, den Weg der Ehe nicht zu gehen. Ein Gedicht mit dem Titel „Schutzengel“ beschließt programmatisch und zudem äußerst bekenntnisreich das Debüt als Lyrikerin:

Info: Schutzengel

„Ich wollt´, ich wär´ im Himmelreich
Und allen lieben Engeln gleich,
Hätt´ abgethan der Sünden Kleid,
Und trüg´ zwei Flügel licht und breit.
Dann wollt´ zum lieben Gott ich gehn
Und bitten ihn recht fromm und schön:
Herr, laß zurück ins Erdenthal
Als Engel mich ein einzig Mal!
Ich hatt´ ein Menschenkind dort gern,
Das ist dir, lieber Gott, noch fern.
O laß mich seinen Engel sein,
Ich will dir´s hüten treu und fein.
Mit meinem gold´nen Flügelpaar
Will ich´s beschützen vor Gefahr.
Will´s führen auf dem rechten Pfad,
Will´s weisen auf des Heilands Gnad´!
Will halten ihm die Augen zu,
Daß es nichts Böses seh´ noch thu.
Und schickst du ihm ein Herzeleid,
Schließ´ ich es in die Arme beid´,
Und mach´ das kranke Herze still,
Und tröst´ es, wenn es einen will.
So halt´ ich still und unerkannt
Es lebenslang an meiner Hand,
Und einst in seiner letzten Pein
Will ich sein Todesengel sein.
Mein Mund nimmt ihm des Lebens Zier,
Der letzte Kuß, er kommt von mir!
Ich führ´s zur Himmelsthür hinein,
Und, Herr, dann laß mich selig sein.“

Getrud von le Fort

 

Ein Roman, der Diskussionen auslöste

Dass früh verstorbene Kinder als Engel über das Leben der Eltern und Geschwister wachen, hatte auch Thérèse von Lisieux geglaubt - nicht aber, dass sie als Menschen wiedergeboren ein Engelleben auf Erden führen. Dies aber wünscht sich die Dichterin: „Ich hatt?ein Menschenkind dort gern,/ Das ist dir, lieber Gott, noch fern.“ Das ist der Engel der Konversion, der sich um Enzios Seelenheil bemüht.

Die Dichterin konvertierte 1926 zum Katholizismus: Ihr Roman „Das Schweißtuch der Veronika“ (1928) ist die Geschichte der Bekehrung der vierzehnjährigen Veronika. „Der Kranz der Engel“ wiederum zeigt die Bewährung ihres Glaubens im Zeitalter des Unglaubens. Veronika ist ein Kind der Moderne. Kein Glaube nirgends. Sie lebt als Vollwaise bei ihrer Großmutter, einer großen Heidin, und ihrer bigotten Tante Edelgard, die seit Jahrzehnten auf dem Weg zur Konversion den letzten Schritt doch nicht vollzieht. Ihr Vater hatte ursprünglich ein Verhältnis zu Edelgart, heiratete dann Veronikas Mutter.

Heil in die heillose Familie

Die aber lehnte ihr Kind ab, erlitt einen Nervenzusammenbruch und verbrachte ihre verbleibenden Jahre in der geschlossenen Psychiatrie. Das ehemalige Kindermädchen Jeanette ist die dritte Frau im Umfeld der jungen Veronika. Sie war mit einem notorischen Schützenjäger verheiratet. Veronikas Vater hat die Erziehung seiner Tochter der Großmutter überlassen und verfügt, dass Veronika aller religiösen Erziehung fernzuhalten sei. Enzio wiederum ist der Sohn des ehemaligen Geliebten der Großmutter.

Nach ihrer Taufe und ersten Kommunion versucht Veronika Heil in diese heillose Familie zu bringen. Unterstützt wird sie durch einen Pater mit dem sprechenden Namen Angelo - Engel. Pater Engel hält den größten Teil der Menschheit für nicht mehr bekehrbar. Allein in einem Akt der stellvertretenden Liebe und Entäußerung („Kenosis“) könne Veronika die Seele ihres Freundes retten. Für Leser, die mit dem Gedanken einer ewigen Seligkeit nichts anfangen können, muss dieser Einsatz absurd erscheinen. Aber hier geht es um Letztes.

Der Roman beschreibt über Hunderte von Seiten einen Kampf zwischen Engeln und Teufeln und enthüllt schließlich, worum es Gertrud von le Fort geht: „Ich sah in diesem Augenblick nicht Enzio, sondern ich sah das Mysterium iniquitatis (= das unergründliche Geheimnis des Bösen) - ich sah es gleichsam von Angesicht zu Angesicht.“ Liebe und Hass sind oftmals zwei Seiten einer Medaille, und die enttäuschte Liebe neigt gelegentlich zur Verteufelung des einst Geliebten. Doch hier geht es nicht um Psychologie, sondern um ein kosmisches Drama: Kann der Teufel erlöst werden? Wird er sich bekehren? Wird der Engel der Liebe den gefallenen Engel zur Konversion leiten können?

Eine Liebesgeschichte zwischen Himmel und Hölle

Thérèse von Lisieux, die 1925 heiliggesprochen wurde, erweckte in manchen Seelen überspannte Erwartungen. Pater Engel ist ihr Sprachrohr, aber Veronika ist keine Heilige. Sie erlebt das Schicksal ihrer Mutter und ihrer Tante. „Die Kirche und Dome, die ich sah, waren tot und leer wie meine Seele“, sagt sie kurz vor ihrem Zusammenbruch. Hier könnte die „Mission Schutzengel“ enden. Doch Gertrud von le Forts Engel will Seite an Seite mit dem gefallenen Menschenkind durch das Himmelstor treten. Was Veronika nicht schafft, erwirkt die „Gnade der inneren Umkehr“, die Enzio ergreift und ihn einen Priester ans Krankenbett holen lässt. Das ist noch keine Bekehrung, aber ein Akt der Achtung des Glaubens eines anderen Menschen.

Ob Enzio und Veronika glücklich werden? Über 700 Seiten haben sie bis zur Ermüdung gerungen und der Leser mit ihnen. Gertrud von le Fort war eine Meisterin der kurzen Form. Der Roman ist langatmig, auch stellenweise langweilig. Dennoch enthält er eine tiefe Wahrheit: Manchmal ist die Niederlage ein Sieg. Manchmal muss erst der Wille zur Selbstbehauptung genommen werden, damit sich eine Umkehr oder Erneuerung ereignet.

Und: Manchmal müssen wir aufhören Engel zu spielen, damit Engel in unser Leben eingreifen und sagen: „Fürchtet euch nicht!“

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