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Boston College: Musik bringt den Glauben näher

Lieder im Religionsunterricht helfen den Schülern, ihre geistliche Herkunft besser zu verstehen. Ein interessantes Konzept zur Musikerziehung hat das Boston College entwickelt.
Singen im Religionsunterricht
Foto: IMAGO / Rainer Unkel | Beim Singen im Religionsunterricht können Schüler die Glaubenspraxis erleben.

Studien zeigen es eindeutig: in den 1960er Jahren verfügten Religionslehrer über ein breites Spektrum an Liedern, die sie regelmäßig in den Unterricht einfließen ließen. Heute wird der Einsatz von Musik im Religionsunterricht in aktuellen Untersuchungen wieder neu empfohlen, gesungen wird aber eher weniger. Dabei wäre genau das höchst sinnvoll. Denn kein Medium hinterlässt so tiefe Eindrücke im Gehirn, wie die Musik. Nicht umsonst nutzen Diktaturen aller Länder und Zeiten die Macht der schönen Töne, um ihre Inhalte in den Köpfen und Herzen der Menschen zu verankern.

Dass Lieder wie „Unsre Fahne flattert uns voran“ auch heute noch zum unreflektiert aufgenommenen Ohrwurm werden kann, zeigte vor wenigen Jahren eine Vorführung des Films „Hitlerjunge Quex“ vor Schülerinnen, Schülern und Interessierten durch den Nordoberfränkischen Vereins für Natur- Geschichts- und Landeskunde. Die einprägsame Melodie des pädagogisch klug infiltrierenden und die Macht der Medien eindrucksvoll deutlich machenden Opus der von den Nationalsozialisten beeinflussten Filmindustrie wurde nach zwei Dritteln des Filmes von den jungen Zuschauern mitgesungen.

Vermittlung des Glaubens

Tatsächlich ist es vielfach gerade das Wissen um die im wahrsten Sinne des Wortes eindringliche Wirkung der Musik, die zu einer so großen Vorsicht im Umgang mit Bekenntnisliedern im Religionsunterricht geführt hat. Der Scheu davor, im Rahmen dieser Stunden regelmäßig mit den Schülern zu singen hat mit dem Willen zur Objektivität bei der Vermittlung der Inhalte zu tun. Thema des Religionsunterrichtes ist, so sind viele Lehrer überzeugt, nicht die Weitergabe des Glaubens, sondern die Vermittlung von Inhalten. Bei dem Versuch der gewissermaßen wertfreien Präsentation erkennbar wertgebundener Inhalte aber, ging im Laufe der letzten Jahrzehnte etwas Wesentliches verloren: der Glaube.

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Auf genau dieses Problem gehen die Versuche, Musik wieder neu als Medium im Religionsunterricht zu etablieren, jedoch nicht ein. Sie präferieren stattdessen die Einbeziehung von Popmusik, um, wie das bis zum Überdruss zitierte Diktum es nahelegt, die jungen Leute „da abzuholen, wo sie stehen“. Im Ergebnis führt dieser Weg ins Nichts. Dies liegt zum einen daran, dass die Lehrer dem schnelllebigen Musikgeschmack der Schüler in der Regel hoffnungslos hinterherhinken und ein Lied, das es ins Religionsbuch geschafft hat vor allem eine Eigenschaft hat: es ist mit Sicherheit nicht mehr aktuell.

Spiegel der Orientierungslosigkeit

Zum anderen aber zeigt ein Blick auf die Texte der empfohlenen Popsongs, dass sie – vom musikalischen Aspekt einmal ganz abgesehen – auch inhaltlich kaum geeignet sind, auch nur ansatzweise die Funktion der Heranführung an die kirchliche Lehre zu leisten. Stattdessen werfen die Texte dieser Lieder ein Licht auf die allgemein gewordene Orientierungslosigkeit. Die als gegenwärtigen Zustand zu analysieren, wie es die religionspädagogischen Handbücher empfehlen, macht aber ohne vorherige Vermittlung der Lehre der Kirche keinen Sinn, weil auf diese Weise der Referenzpunkt fehlt. Stattdessen führt die Einbeziehung der die Situationen des als sinnlos und belastend empfundenen Alltags zu einer Verstärkung genau jener Gefühle der Sinn- und Orientierungslosigkeit, deren Entstehung ein traditioneller Religionsunterricht, wie er bis in die 1960er Jahre weithin üblich war, verhindern könnte.

Denn die Videoclips, deren Präsentation und vertiefende Analyse in aktuellen Handreichungen wie „Musik in Schule und Gemeinde“ von Peter Bubmann und Michael Landgraf empfohlen wird, thematisieren zwar oft Sinnsuche oder berühren im geschilderten Leid die Theodizeefrage, aber sie zeigen nur selten konkrete Wege aus der Falle der Selbstreferenzialität auf. Dass sie umgangen und eine Vermittlung religiöser Werte und katechetischen Wissens nutzbringend sein kann, ohne indoktrinierend zu wirken und Musik dabei eine wesentliche Rolle spielen kann, zeigen die Ergebnisse der Arbeit von Thomas Groome, Professor für Theologie und religiöse Erziehung am Boston College. Groome hat ein Konzept entwickelt, in dem anhand der Kirchengeschichte Theorie und Praxis der religiösen Erziehung nachvollzogen und vermittelt werden.

Musik im Kontext der Kirchengeschichte

Die Studierenden erlangen so einen perspektivisch geweiteten Kontext, in dem sie verschiedene Modelle des Glaubenslebens studieren und praktisch erproben können. Aufgrund des historischen Ansatzes und der aufgezeigten Entwicklungslinien bietet dieses Konzept auch für die Einbeziehung von Musik in den Religionsunterricht andere Ansatzmöglichkeiten. Der Gregorianische Choral wird in einem solchen Kontext nicht mehr als exotische alte Kirchenmusik wahrgenommen oder über deren Revival in den Diskotheken der 1990er Jahre eingeführt, sondern kann mit Verweis auf die bestehende Gesangspraxis in den Klöstern als überzeitlich aktueller Glaubensausdruck wahrgenommen werden. Anfängliche Fremdheit kann gerade im Hinblick auf die immer noch bestehende Praxis zum Anknüpfungspunkt für eine Einführung in das Geheimnis des Glaubens dienen.

Back to the roots

Der historische Ansatz, der auch musikalisch eine „back to the roots“-Bewegung ist, wirkt gleichermaßen faszinierend und die Entwicklung des Glaubenslebens und Wissens fördernd. Den Schülern wird nachvollziehbar dargelegt, welche Rolle religiöse Musik im Laufe der Kirchengeschichte spielte, wenn erzählt wird, wie Bischof Ambrosius von Mailand populäre Hymnen nutzte, um das Durchhaltevermögen der Gläubigen bei der Besetzung von Kirche zu stärken, um deren Inanspruchnahme durch die gegnerischen Arianer zu verhindern. Die Erwähnung der Schaffung neuer katholischer Texte für populäre Melodien durch Ephräm den Syrer kann zur Anregung werden, religiös wenige Ergiebige Lyrics wie die des derzeit zu jeder zweiten kirchlichen Trauung erklingenden Halleluja von Cohen durch sinnstiftendere Texte zu ersetzen. Dies im Religionsunterricht gleich auszuprobieren kann zum Türöffner für eine intensive Beschäftigung mit dem eigenen Glauben werden, denn „Verdichtung“ von Erfahrung gelingt nur, wenn man letztere auch machen darf. Welch horizonterweiternde, die mystische Liebesbeziehung mit Jesus Christus stärkende emotionale Schubkraft in den Gesängen Hildegards von Bingen steckt, kann ein Hörvergleich zu den Gesängen des Gregorianischen Chorals zeigen.


Ein feste Burg ist unser Gott

Das Singen von „Ein feste Burg ist unser Gott“ im Kontext eines kurzen Ausflugs in das von Burgen, Rittern und wenig Romantik geprägte Spätmittelalter macht deutlich, warum dieses Lied zur Marseillaise der Reformation werden konnte.

Das Studium der Lieder von Paul Gerhard schließt im Blick auf die von persönlichen Verlusten geprägte Biografie dieses Schöpfers von Kirchenliedern die Perspektive der Ewigkeit auf und ein Blick auf die Kompositionspraxis von Felix Mendelssohn Bartholdy, der für Synagogalgottesdienste ebenso komponierte wie für evangelische und katholische Liturgien kann zeigen, welch überkonfessionelle und interreligiöse Kraft in der Musik steckt. Insofern kann die Frage, ob die Einbeziehung von Musik in den Religionsunterricht sinnvoll ist, klar beantwortet werden. Es sollte aber mehr geboten werden als ein Höreindruck von „Herr, deine Liebe ist wie Gras am Ufer“.

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