Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Musik

Ein deutsches Sondergut

Wie das Gesangbuch in der Heimat Luthers zum Spiegel der Geistesgeschichte wurde.
Gesangsbuch
Foto: Imago/epd | Ein Gesangsbuch: Lieder haben auch heute eine wichtige, identitätsstiftende Bedeutung.

Pastorales Entgegenkommen beschleunigt in der Kirche vielfach den Bedeutungsverlust einer Sache. Dies gilt auch für das Gesangbuch. Seit Gesangbücher in Kirchen ausliegen, sind sie kaum mehr geistliche Lebensbegleiter, die von Zuhause mitgebracht und individuell mit Sterbe- und Andachtsbildchen angefüllt werden. Am Anfang der deutschen Gesangbuchgeschichte steht eine 1524 in Nürnberg gedruckte Flugschrift mit acht Liedern von Martin Luther. Auf dieses Jubiläum hin fand 2023 in Nürnberg eine Fachtagung zur deutschsprachigen Gesangbuchgeschichte statt.

Lesen Sie auch:

Alle Beiträge liegen nun in dem Band „500 Jahre Evangelisches Gesangbuch“ vor. Die Herausgeberinnen Andrea Hofmann und Esther Wipfler informieren in ihrer Einführung über die rege hymnologische Forschung, die sich wissenschaftlich unter verschiedenen Perspektiven mit dem Kirchenlied, dem geistlichen Lied und ihrer Druckgestalt befasst. Drei Überblicksdarstellungen stehen am Anfang: Johannes Schilling zeichnet die Entstehung der Gattung Evangelisches Gesangbuch von den Ursprüngen bis zur Gegenwart nach. Wie schnell auf katholischer Seite mit einer eigenen Gesangbuchtradition geantwortet wurde, lernt man von Christiane Schäfer. Bis zur Entstehung des „Gotteslob“ I und II führt ihr Durchgang. Am Beispiel von Straßburg beschreibt Jochen Arnold den Zusammenhang zwischen Gesangbuch und Liturgie von der Reformation bis heute. 

Auf einige Einzelstudien im zweiten Teil folgt im dritten Teil der Hinweis auf die ehemals große Vielfalt regionaler Gesangbucheditionen im Dienste der territorialen und kommunalen Identität. Auch die Geschichte der Gesangbuchillustration wird in den Blick genommen. Wie Calvins „Genfer Psalter“ von 1562 zum Exportschlager wurde, stellt Henning P. Jürgens dar. Interessant ist die Erkenntnis, dass der Umfang der Gesangspartizipation der evangelischen Gemeinden zur Zeit Luthers unbekannt ist. Gesichert ist allein die Verwendung seines deutschen Credoliedes. 

Tiefer Bruch

Geistesgeschichtlich spiegeln die Gesangbücher etwa den tiefen Bruch vom Barock zur Aufklärung. Unerforscht sind bisher auch die Gebets- und Andachtsteile in den Gesangbüchern. Wo die Entwicklung hingeht, zeigt die EKD, die 2020 eine Überarbeitung des ab 1993 eingeführten „Evangelischen Gesangbuchs“ beschlossen hat. Die Neuausgabe soll ab Herbst 2025 erprobt werden. Es war bereits zu hören, dass es einen digitalen Anhang geben wird. Über eine App sollen nicht aufgenommene Lieder über das Handy verfügbar sein. Dass Lieder auch heute eine wichtige, identitätsstiftende Bedeutung besitzen, sieht man an den katholischen geistlichen Bewegungen, die grundsätzlich ihre eigenen Lieder singen, die meist über Beamer angezeigt werden. So werden die Mitsingenden in eine lebendige Weiterentwicklung einbezogen.


Andrea Hofmann, Esther Wipfler (Hg.): 500 Jahre Evangelisches Gesangbuch. Musik – Theologie – Kulturgeschichte. Verlag Schnell und Steiner, Regensburg, 2024, 336 Seiten, gebunden, EUR 34,95

Der Rezensent ist katholischer Religionslehrer.

Katholischen Journalismus stärken

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Stärken Sie katholischen Journalismus!

Unterstützen Sie die Tagespost Stiftung mit Ihrer Spende.
Spenden Sie direkt. Einfach den Spendenbutton anklicken und Ihre Spendenoption auswählen:

Die Tagespost Stiftung-  Spenden

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.

Themen & Autoren
Michael Karger Evangelische Kirche Gotteslob Martin Luther Reformation der christlichen Kirchen

Weitere Artikel

Konservative Protestanten rufen zum 31. Oktober zur Rückbesinnung auf das Kreuz Christi als Zentrum des Glaubens auf. Doch die Landeskirche schweigt.
25.10.2025, 05 Uhr
Tobias Klein
Die Bewegung „Crossbearers“ will die evangelischen Landeskirchen von unten her reformieren. Doch kann das gelingen? Jorge Monsalve meint: Ja, mit 95 neuen Thesen und dem Kreuz.
22.11.2025, 10 Uhr
Thomas Müller
Die Simultankirche St. Petri in Bautzen hat eine lange ökumenische Tradition, wobei Protestanten und Katholiken ein friedliches Miteinander erst lernen mussten.
28.09.2025, 15 Uhr
Esther von Krosigk

Kirche

Von Christus lernen, heißt frei zu werden.
10.12.2025, 00 Uhr
Redaktion
Berufungsfragen im Stil einer deutschen Tarifverhandlung durchdrücken? Der Machtkampf um die Rolle der Frau wird sich nicht durch ein Pseudodiakonat lösen lassen.
09.12.2025, 11 Uhr
Regina Einig
Wir Katholiken sollten unseren Glauben auch nicht zu einer solchen machen. Stattdessen sollten wir Gott geben, was Gottes, dem Kaiser, was des Kaisers ist.
09.12.2025, 09 Uhr
Xaver Spörl
Comeback der „Miterlöserin“? Die Debatte über die Marientitel köchelte schon länger, jetzt schaltet sich eine hochkarätig besetzte Mariologenkommission ein.
08.12.2025, 19 Uhr
Meldung