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Kann man Gott mathematisch beweisen?

Man kann Gott nicht begreifen. Aber: Kann man Gott berechnen? Lassen sich aus der Logik mathematischer Deduktion Schlüsse auf Gott ziehen?
Gott. Fresko in der Kirche Santa Maria in Traspontina.
Foto: imago stock&people (imago stock&people) | So wie die Kunst versucht hat, sich ein Bild von Gott zu maxchen, so haben sich auch andere Wissenschaften auf die Suche nach ihm begeben.

Was im ersten Moment absurd erscheint, gerät auf den zweiten Blick zu einer echten Option für Menschen, die nicht glauben, also: vertrauen können (oder wollen): Gott allein verstandesmäßig zu begreifen. Wie das? Gott ist zwar kein Bestandteil der Natur und damit auch kein Gegenstand der Naturwissenschaft – davon war hier ja auch schon mal die Rede –  doch Gott ist als rein geistige Entität dem menschlichen Geist zugänglich. Wenn es also eine intellektuelle Verbindung von Gott und Mensch gibt, dann nicht über empirische Beweisführung, sondern über geistige Einsicht, ergo: über die Vernunft. Thomas von Aquin war der Meinung, allein mit der Vernunft müsse Gott erkannt werden können. Da sind Logik und Mathematik   bekanntlich eine Geisteswissenschaft   nicht mehr weit entfernt. 

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Die Suche nach dem Gottesbeweis

Den Anfang machte  aus christlicher Sicht Anselm von Canterbury, der Gott mit Hilfe der Logik bewies: Gott müsse existieren, so Anselm, weil es etwas geben muss, über das nichts Größeres gedacht werden kann. Und das ist dann eben Gott   das oder der Größte überhaupt. Freilich: Anselms Ansatz ist sehr nominalistisch zwischen „sich vorstellen können“ und „existieren“ gibt es einen Unterschied. Man kann sich so einiges ausdenken, das es nicht gibt. Dennoch ist dieser ontologische Gottesbeweis Anselm von Canterburys in die Theologiegeschichte eingegangen und hat einige Denker inspiriert, unter anderen Immanuel Kant, der mit seiner epistemologischen Trennung dessen, was wir erkennen können, von dem, was ist (das „Ding an sich“) Anselms Ansatz torpediert. Wir sollten zumindest nicht meinen, so Kant, dass wir das, was wir uns unter Gott vorstellen, so ohne weiteres mit dem gleichsetzen können, was Gott ist. 

Wir machen einen Sprung in Raum und Zeit und landen im Hannover des späten 17. Jahrhunderts. Der am dortigen Hof als Bibliothekar beschäftigte (und chronisch unterforderte) Gottfried Wilhelm Leibniz ist der Ansicht, Gott, der Schöpfer der Welt, sei als Herr der Logik auch in der Mathematik aufweisbar. Bei Leibniz ist jedoch nicht die Gotteserkenntnis (oder gar der Gottesbeweis) aus der Logik das Motiv, sondern die logische Durchdringung der mathematischen Funktions- und Zahlenwelt aus dem christlichen Gottesbild: Mathe von Gott her. 

Das „malum metaphysicum“

Mathematik, das sind Funktionen, mit denen sich aus gegebenen Werten die funktionsgemäß zugehörigen Werte ermitteln lassen. Daraus wiederum entstehen in einem Koordinatensystem Kurven, die mal die Achsen schneiden und sich mal an diese anschmiegen, ohne sie zu berühren. Und das ist der spannende Moment: Zwischen Kurve und Achse bleibt eine Differenz, diese wird jedoch unendlich klein, wenn wir immer weiterrechnen. Doch es bleibt ein Unterschied, auch im Unendlichen. Das ist schwer vorstellbar, eigentlich gar nicht, weil wir als endliche Wesen vom Unendlichen keinen Begriff haben. Aber mathematisch stimmt es eben, es lässt sich sauber beweisen, dass eine Differenz von Funktionswert und der Null immer bestehen bleibt. 

Und gerade so stellt sich Leibniz, einer der beiden Väter (der andere ist Isaac Newton) der Infinitessimalrechnung (Differential- und Integralrechnung), auch das Verhältnis von Mensch und Gott, von Welt und Reich Gottes vor: Mensch und Welt können sich im Sinne des göttlichen Willens moralisch weiterentwickeln, im Sinne der Perfectibilitas, der Fähigkeit zur Vervollkommnung, erreichen aber niemals die Perfektion Gottes. Vollkommen, perfekt das ist nur Gott. Dieser Gedanke taucht dann als „malum metaphysicum“ in Leibnizens Theodizee auf und erklärt, warum es prinzipiell Übel und Leid in der Schöpfung gibt, ja: geben muss. Und warum wir „nur“ in der „besten aller möglichen Welten“ leben und nicht in der perfekten Welt, was eben ein Unterschied ist, der jedoch, so Leibniz, vom guten Schöpfer-Gott minimal gehalten wurde.

Gott und die Zahlen

Mathematik, das sind Zahlen. So meinte Leibniz weiterhin, dass Gott alle Zahlen in sich vereine, wenn er denn die von Zahlen geprägte Welt aus dem Nichts erschaffen habe. Somit müssten sich dann auch alle Zahlen darstellen lassen, wenn man Gottes Schöpfung mathematisch nachvollzieht. Gesagt, getan. Leibniz nannte Gott „1“ und das Nichts „0“. Dann begann er, alle Zahlen systematisch mit einer Kombination aus Einsen und Nullen darzustellen. Damit entstand der Binärcode, auf dem die Elektronik und die Computertechnologie basiert. Dieser fußt also auf Leibnizens theologischer Überlegung, dass Gott (die „1“) aus dem Nichts (der „0“) eine vollkommene Welt schafft   und was kann in der Welt vollkommener sein als die Mathematik, deren Stellvertreterinnen die natürlichen Zahlen sind. Leibniz wollte die Dyadik sogar zu Missionszwecken einsetzen und den chinesischen Kaiser damit zum Christentum bekehren, da dieser „ein sehr großer Liebhaber der Rechenkunst sey“. 

Noch einmal ein Szenenwechsel. Wir kommen ins 20. Jahrhundert. Auch der Kult-Mathematiker Kurt Gödel hat die Existenz Gottes logisch zu beweisen versucht. Offenbar war er selbst von seinem 1970 entstandenen Gottesbeweis nicht besonders überzeugt oder fürchtete sich vor Missverständnissen seines Anliegens, denn man fand die Arbeit als unveröffentlichtes Manuskript in seinem Nachlass. Gödels Beweis folgt der Idee Anselm von Canterburys, sich Gott allein mit der Kraft des logisch denkenden Verstandes anzunähern, und ergänzt sie um die Vorstellung Leibnizens zum Prinzip des Besten und zum göttlichen Wesen als „ens perfectissimum“. Aus Axiomen, Theoremen und Definitionen zu Eigenschaften (positiv, negativ), zur Göttlichkeit (als definitionsgemäß ausschließlich positiver Eigenschaft) und zur Notwendigkeit des Positiven, folgert Gödel die Notwendigkeit der Existenz von etwas Göttlichem und schließt daraus auf ein notwendig existierendes göttliches Wesen. 

Gott als göttliches Wesen

Also: Gott als göttliches Wesen muss sein. Aber: Stimmt das auch? Die Antwort gaben ein deutscher und ein österreichischer Mathematiker. Sie lautet: Ja! Der Berliner Christoph Benzmüller und Bruno Woltzenlogel Paleo aus Wien veröffentlichten 2013 ein Paper mit dem Titel „Formalization, Mechanization and Automation of Gödel s Proof of God s Existence“, in dem sie darlegen, wie sie mit Computerhilfe (ein wenig also auch mit Unterstützung Leibnizens!) zu zeigen imstande sind, dass die „logische Argumentationskette“ in Gödels Gottesbeweis „nachweisbar korrekt“ sei. Ergo: Gott existiert. Logo! 

Mathematik ist überall. Auch im Gottesbeweis. Auch in der Mission. Gott und Zahl. Die Zahl ist das Maß aller Dinge. Das hat schon jemand gesagt, der lange vor Anselm, Leibniz und Gödel lebte: der Grieche Pythagoras, bekanntlich auch ein Mann der Zunft. Nun ist aber nicht jeder Mathematiker ein gläubiger Mensch   obgleich das logisch wäre, wenn man Anselm, Leibniz und Gödel folgt. Das wiederum muss nicht immer etwas mit dem kategorischen Ausschluss der Möglichkeit einer Existenz Gottes zu tun haben, oft hat es ganz menschliche Gründe. 

Der französische Mathematiker Henri Poincar  beispielsweise ist in seiner Jugend ein frommer Katholik gewesen, hat sich dann allerdings von der Kirche distanziert, weil er diese als zu machtorientiert und anti-intellektuell empfand (was sie im 19. Jahrhundert tendenziell sicherlich auch war). Poincar  gibt damit  – Ironie des Schicksals  – der Kirche heute etwas mit auf den Weg: keine Macht anzustreben und offen zu sein für den wissenschaftlichen Diskurs. 

Kurz gefasst 

Gott ist als geistige Entität dem menschlichen Geist zugänglich. Thomas von Aquin war in diesem Sinne der Meinung, dass Gott allein mit der Vernunft erkannt werden kann. Gottesbeweise oder zumindest Hinweise auf Gott finden sich dann in den logischen und mathematischen Überlegungen vieler Gelehrte. Drei sind besonders wirkmächtig gewesen: Anselm von Canterbury, der einen ontologischen Gottesbeweis vorlegt, Gottfried Wilhelm Leibniz, der aus dem christlichen Gottesverständnis die Prinzipien der Infinitessimalrechnung und den Binärcode ableitet, sowie Kurt Gödel, dessen modallogischem Gottesbeweis Jahrzehnte später computergestützt Widerspruchsfreiheit attestiert wurde.

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