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Abtreiben ohne Hemmung

Der Goldene Löwe für „L'évènement“ war lange vorbereitet. Das Ziel: Abtreibung soll der Weg in die Normalität gebahnt werden.
78. Internationale Filmfestspiele in Venedig
Foto: Domenico Stinellis (AP) | Schauspielerin Anamaria Vartolomei (l) und die Regisseurin Audrey Diwan beim Fototermin für den Film "L'evenement" ("Happening") während der 78. Ausgabe der Filmfestspiele von Venedig.

Nicht nur der Film „L'évènement“ (Das Ereignis) über eine Abtreibung ist jetzt mit dem Goldenen Löwen in Venedig prämiert worden. Auch der Abtreibung selbst sollte zum Sieg verholfen werden. Der Film hat einen Hype in den Medienreaktionen ausgelöst, der jahrzehntelang durch einen langen Marsch durch die Institutionen der Kultur vorbereitet wurde. Dass der Streifen auf wahren Ereignissen basiert, soll die Drastik der Darstellung des vermeintlichen Rechts auf den eigenen Bauch noch verdeutlichen. 

Ergebnis des kulturellen Mainstreams

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Vorbild für die Hauptfigur ist die frühere Literaturstudentin Annie Ernaux, die ihr ungewolltes Kind 1964 abgetrieben hat, weil sie Schwierigkeiten für Studium und Karriere befürchtet hat. Weil damals Abtreibung in Frankreich verboten war, kann der Film aus dem komplizierten Geschehen im Verborgenen schöpfen. Ernaux wollte ihre Abtreibung groß aufhängen und veröffentlichte im Jahr 2000 eine Autobiographie, 2010 kam der Stoff auf die Theaterbühne. Auch dass Ernaux seit den 70er Jahren für die Liberalisierung der Abtreibung kämpfte, gehört zur Vorgeschichte des Films, der sich auf die Autobiographie stützt. 

Die Preisverleihung für „L´évènement“ ist das Ergebnis des kulturellen Mainstreams, der sich in den durchweg positiven Rezensionen fortsetzt. Wenn etwa Dietmar Dath „mit beklommen suspendiertem Urteil“ in der F.A.Z. den Film wegen des Selbstbestimmungsrechts der Frauen „wichtig und sehenswert“ findet, ist das auf einer Linie mit der Entrüstung von Annie Ernaux, welche die Kritik an ihrer Autobiographie nicht nachvollziehen konnte. Das Ziel ist, Abtreibungen den Weg in die Normalität zu bahnen. Dabei wird die Abtreibung absolut gesetzt, ohne den geringsten Gedanken an das getötete Kind aufzubringen. Weder bei Ernaux, noch im Film oder bei den Rezensionen der großen Zeitungen gab es diesen Gedanken.

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