Im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens für das von der britischen Regierung vorgelegte Gesetz über Verbrechen und Polizeiarbeit („Crime and Policing Bill“) berät das Unterhaus am Dienstag und Mittwoch auch zwei Änderungsanträge, die vorgeburtliche Kindstötungen bis zur Geburt legalisieren würden.
Der Erzbischof von Liverpool, John Sherrington, in der Katholischen Bischofskonferenz von England und Wales für Lebensrechtsfragen zuständig, rief die Gläubigen auf, sich an ihre Abgeordneten zu wenden und sie zu ermutigen, beide Änderungsanträge abzulehnen. „Wir sind zutiefst beunruhigt über zwei Änderungsanträge zum Crime and Policing Bill. Diese würden den Schutz von ungeborenen Kindern und ihren Müttern weiter verringern. Aus Mitgefühl für schwangere Frauen und ihre Babys ist die katholische Kirche der Ansicht, dass das Gesetz den Ungeborenen Schutz bieten sollte, und dass die Gesellschaft Eltern unterstützen sollte, die diese Unterstützung benötigen. Die vorgeschlagenen Änderungen würden unser Gesetz weiter in die falsche Richtung lenken“, heißt es in einer Erklärung der Bischofskonferenz.
Abtreibung wäre keine Straftat mehr
Hintergrund: In England und Wales bilden der „Offences Against the Person Act“ von 1861 (OAPA) und der „Infant Life (Preservation) Act“ von 1929 (ILPA) die rechtliche Grundlage für die geltende rechtliche Regelung von Abtreibungen. Sowohl der OAPA als der ILPA erkennen den Fötus als Kind an. Der „Abortion Act“ aus dem Jahre 1967 legt fest, wann Ärzte innerhalb dieses Rahmens Abtreibungen legal durchführen dürfen. Als legal betrachtet das Gesetz vorgeburtliche Kindstötungen bis zur 24. Schwangerschaftswoche (SSW), sofern sie von zwei Ärzten genehmigt und in einem zugelassenen Krankenhaus oder einer Klinik durchgeführt werden.
Die Labour-Abgeordnete Tonia Antoniazzi möchte in die Gesetzesvorlage einen neuen Absatz 1 aufnehmen, der lautet: „Streichung von Frauen aus dem Strafrecht im Zusammenhang mit Abtreibung: Im Sinne der §§ 58 und 59 des Offences Against the Person Act von 1861 und des Infant Life (Preservation) Act von 1929 begeht eine Frau keine Straftat, wenn sie im Zusammenhang mit ihrer eigenen Schwangerschaft handelt.“
Bischöfe rechnen mit mehr Spätabtreibungen
Zur Begründung heißt es: „Diese neue Klausel würde das bestehende Strafrecht im Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbrüchen für Frauen, die im Zusammenhang mit ihrer eigenen Schwangerschaft handeln, unabhängig vom Schwangerschaftsstadium außer Kraft setzen und so die Gefahr von Ermittlungen, Festnahmen, Strafverfolgung oder Gefängnisstrafen beseitigen. Sie würde keine Änderungen an den Gesetzen zur Bereitstellung von Schwangerschaftsabbrüchen im Gesundheitswesen bewirken, insbesondere nicht an der Frist, der Telemedizin, den Gründen für einen Schwangerschaftsabbruch oder der Notwendigkeit der Zustimmung zweier Ärzte.“
Nach Ansicht der Bischöfe würde diese Änderung zu einem vermehrten Gebrauch der Abtreibungspille und der Zunahme von Spätabtreibungen in den eigenen vier Wänden führen und so das Leben und die Gesundheit vieler schwangerer Frauen und ihrer Kinder ernsthaft gefährden sowie den Schutz von Frauen vor der Nötigung zu einer Abtreibung untergraben.
Strafrecht schützt Frauen vor erzwungenen Abtreibungen
Lebensrechtler gehen noch weiter. Laut Alithea Williams von der britischen „Society for the Protection of unborn children“ (SPUC) würde „die Abschaffung der Straftatbestände für Frauen jegliche rechtlichen Einschränkungen für Frauen in Bezug auf Abtreibung beseitigen. Eine Frau könnte aus jedem beliebigen Grund abtreiben, auch aufgrund des Geschlechts des Babys.“ „Selbst eine Frau, die ihr Baby während der Geburt tötet“, würde mittels dieser Änderung „keine Straftat begehen.“
Der andere Änderungsantrag, vor dem Bischöfe und Lebensrechtler warnen, geht auf das Konto der Labour-Abgeordneten Stella Creasy. Die 48-Jährige will mit einem ganze 13 Punkte umfassenden Änderungsantrag („New Clause 20“) Abtreibungen ebenfalls bis zur Geburt legalisieren. „New Clause 20 würde Abtreibungen bis zur Geburt und während der Geburt vollständig entkriminalisieren. Frauen wären kaum vor erzwungenen Abtreibungen durch Familien und Dritte geschützt. Abtreibungen wären auf Verlangen und bis zur Geburt möglich“, kritisieren die Bischöfe und halten dafür: „In der Bevölkerung findet dieses extreme Gesetz, das den bestehenden Rahmen völlig auf den Kopf stellt und die Menschlichkeit des ungeborenen Kindes völlig missachtet, wenig Unterstützung. Die Beibehaltung der Abtreibung im Strafrecht bietet Frauen und ungeborenen Kindern ein gewisses Maß an Schutz.“
Mehrheit der Bevölkerung ist gegen Ausweitung der Abtreibung
Besonders pikant: Absatz 4 des Änderungsantrags sieht vor, dass im Falle einer Abtreibung „keine Ermittlungen durchgeführt und keine Strafverfahren eingeleitet oder fortgesetzt werden dürfen“.
Würde der Änderungsantrag angenommen, „könnten Verstöße nicht einmal untersucht werden. Dies würde faktisch eine vollständige Entkriminalisierung der Abtreibung bis zur Geburt aus jeglichem Grund bedeuten. Die im Gesetz genannten Gründe für eine Abtreibung hätten keine Gültigkeit, das heißt eine Abtreibung könnte aus jedem beliebigen Grund durchgeführt werden, einschließlich des Geschlechts des Babys“, erläutert Williams. Und: „Eine solch massive Ausweitung der Abtreibung steht im Widerspruch zur öffentlichen Meinung. Umfragen zeigen, dass nur ein Prozent der Bevölkerung Abtreibungen bis zur Geburt befürworten“, während „70 Prozent der Frauen eine Verkürzung der geltenden britischen Fristen (24. SSW) begrüßen.
Auch medizinisches Personal ginge straffrei aus
„Die vollständige Aufhebung des zugrunde liegenden Abtreibungsgesetzes würde auch alle an Abtreibungen beteiligten medizinischen Fachkräfte von jeglicher strafrechtlichen Haftung befreien. Angesichts der Tatsache, dass die überwiegende Mehrheit der jüngsten Strafverfolgungen wegen illegaler Abtreibung darauf zurückzuführen ist, dass Abtreibungsärzte Frauen die Abtreibungspille per Post schickten, ohne den Schwangerschaftsverlauf korrekt festzustellen, spricht einiges für mehr Kontrolle, nicht weniger“, meint Willams.
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