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Familie Ulma: Beispiel bedingungsloser Nächstenliebe

Die Familie Ulma, die während des Zweiten Weltkriegs Juden half und dafür mit dem Leben bezahlte, wird am 10. September selig gesprochen. 
Die Familie Ulma wird für ihr Opfer für polnische Juden seliggesprochen.
Foto: IMAGO/Artur Widak (www.imago-images.de) | Die Familie Ulma wird für ihr Opfer für polnische Juden seliggesprochen.

Wer sich auf die Spuren der Familie Ulma in Polen begibt, kommt in das beschauliche Dorf Markowa etwa zehn Kilometer von Łańcut entfernt. Es ist in den vergangenen Jahren zum Ziel vieler Pilgerfahrten geworden, denn auf dem Dorffriedhof befindet sich das Grab der Familie Ulma. Ehe der Zweite Weltkrieg ausbrach, lebten hier etwa 120 Juden. Nach dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 geriet das Dorf unter deutsche Besatzung. Die Verfolgung der Juden begann. Im Jahr 1941 beschlossen die Nationalsozialisten die "Endlösung der Judenfrage". Im selben Jahr führten die Besatzer in den polnischen Gebieten die Todesstrafe für diejenigen ein, die Juden in irgendeiner Weise halfen.

Von den Fenstern des Hauses der Familie Ulma aus konnte man die von den Deutschen durchgeführten Hinrichtungen von Juden beobachten. Trotzdem zögerte Józef Ulma nicht, jüdischen Mitbürgern zu helfen. Acht Juden fanden in seinem Haus Unterschlupf. Einige waren Nachbarn, doch die meisten kannte er nicht. Obwohl er sich der großen Gefahr bewusst war, versteckte er sie auf dem Dachboden. Warum tat er das? Józef Ulma wurde im Jahr 1900 in Markowa geboren. Er absolvierte vier Klassen der Grundschule und besuchte später Kurse in Landwirtschaft und Gartenbau. Seine Leidenschaft galt der Fotografie, der Buchbinderei, dem Obstanbau und der Bienenzucht. Er war ein Mann mit weitem Horizont: Ein Teil seiner Büchersammlung ist bis heute erhalten geblieben. Einen besonderen Platz in seiner Hausbibliothek nahm die Bibel ein, die er oft las und mit Lesezeichen versah. Nach seiner Ermordung fand man in einer ihm gehörenden Bibelausgabe beim Gleichnis vom barmherzigen Samariter den Vermerk: "Ja".

Ein Ort für jeden, der etwas braucht

Seine Ehefrau Wiktoria wurde im Jahr 1912 geboren. Als sie sechs Jahre alt war, verlor sie ihre Mutter. Eine Zeit lang wurde sie von ihrer Großmutter erzogen. Wie Józef war sie engagiert im Leben des Dorfes. Sie spielte im Dorftheater und besuchte Weiterbildungskurse. Józef und Wiktoria heirateten im Jahr 1935. Im folgenden Jahr wurde ihre älteste Tochter Stanislawa geboren (18. Juli 1936), die sich zum Zeitpunkt ihres Todes auf ihre erste heilige Kommunion vorbereitete. Es folgten die Geburten von Barbara (6. Oktober 1937), Wladyslaw (5. Dezember 1938), Franciszek (3. April 1940), Antoni (6. Juni 1941) und Maria (16. September 1942). Das Haus der Ulmas war ein Ort für Familientreffen. Jeder, der etwas brauchte, kam dorthin.

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Am Morgen des 24. März 1944 wurde das Haus der Ulmas von einem Kommando der deutschen Gendarmerie umstellt. Sie wurde von Leutnant Eilert Dieken befehligt. Die Tatsache, dass die Ulmas Juden versteckten, wurde den Deutschen wahrscheinlich von Włodzimierz Les, einem Wachtmeister der polnischen Polizei aus Łańcut, gemeldet. Zuerst töteten die Deutschen acht Mitglieder der jüdischen Familien Goldman, Didner und Grünfeld, die im Haus Zuflucht gefunden hatten. Dann führten sie Józef und Wiktoria vor das Haus hinaus und erschossen sie. Nachdem sie kurz überlegt hatten, was sie mit den Kindern machen sollten, töteten sie auch diese. Zum Zeitpunkt der Hinrichtung war Wiktoria im siebten Monat schwanger.

Die Dorfbewohner begruben die Toten der Familie Ulma und die ermordeten Juden in getrennten Gräbern. Einige Tage später fertigte Wiktorias Schwager zusammen mit zwei anderen Männern aus dem Dorf sargförmige Kisten an, um die ausgegrabenen Leichen der Ermordeten hineinzulegen. Im Januar 1945 wurden die Leichen der Familie Ulma exhumiert und auf dem örtlichen Gemeindefriedhof bestattet. Bekanntlich ist den Polen von manchen Historikern vorgeworfen worden, den Judenhass der Nazis nicht gestoppt, sondern ihn sogar unterstützt zu haben. Bei Familie Ulma war es anders. 1995 wurden Józef und Wiktoria Ulma mit der Medaille der "Gerechten unter den Völkern" geehrt, und 2010 verlieh ihnen Präsident Lech Kaczyński posthum das Kommandeurskreuz des Ordens der Polonia Restituta. Doch damit nicht genug. 

Instrumentalisierung durch PiS

Der Seligsprechungsprozess für die Familie begann 1994. Gehörte sie nicht auch zu den Märtyrern des Zweiten Weltkriegs? Im Jahr 2017 wurde der Fall Ulma auf Antrag von Erzbischof Adam Szal, Metropolit von Przemysl, aus der Gruppe der Märtyrer herausgenommen und in einem separaten Prozess weiter untersucht. Am 17. September 2022 bestätigte Papst Franziskus das Dekret über das Martyrium der Familie. Sie wurden zu Ehrwürdigen Dienern Gottes erklärt. Auch Politiker wurden auf das Schicksal der Familie aufmerksam. Die PiS-Regierung erkannte, dass sich die Ermordung der Ulmas gut zum Symbol für das Martyrium der Polen, die Juden während des Zweiten Weltkrieges geholfen hatten und dafür mit dem Leben bezahlten, instrumentalisieren ließ. Der Sterbetag der Familie - der 24. März - wurde 2018 vom polnischen Parlament zum nationalen "Gedenktag für die Polen, die unter deutscher Besatzung Juden gerettet haben", erklärt; eine Form der Geschichts- und Gedächtnispolitik, die nicht jedermann in Polen gefällt.

 Für die katholischen Gläubigen spielt das keine große Rolle. Für sie ist diese Familie ein Modell bedingungsloser Nächstenliebe, bis hin zur Hingabe des eigenen Lebens. "Die Seligsprechung der Familie Ulma ist ein beispielloses Ereignis, denn mit einem einzigen Akt der Seligsprechung wird die ganze Familie, die Eltern Józef und Wiktoria Ulma und ihre sieben Kinder, zur Ehre der Altäre erhoben. Ein weiteres Novum ist, dass in diesem Akt auch ein ungeborenes Kind seliggesprochen wird, das sich im Moment des Todes unter dem Herzen seiner Mutter befand", so Erzbischof Adam Szal, Metropolit von Przemysl, in dessen Diözese die Seligsprechung am 10. September stattfindet.

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Ein Zeichen für Ehen und Familien

Anlässlich der Feierlichkeiten wird das beschauliche Dorf Markowa zum Zentrum eines Glaubensfestes. Kardinal Marcello Semeraro, Präfekt des Dikasteriums für die Selig- und Heiligsprechungsprozesse, leitet die Feier. Zusammen mit Kardinal Semeraro werden fast 700 Priester und über 60 Bischöfe aus Polen und dem Ausland die Eucharistie in Markowa konzelebrieren. Die Erzdiözese Przemysl erwartet die Teilnahme von etwa 20.000 Gläubigen. Der Präsident und der Premierminister der Republik Polen werden in Markowa erwartet, ebenso mehrere hochrangige Politiker aus dem europäischen Ausland. Anwesend sein wird auch der Oberrabbiner Polens Michael Schudrich. Ein starkes Zeichen.

Ein 700-köpfiger Chor und ein 550-köpfiges Orchester werden während der Messe auftreten. Die Erzdiözese Przemysl hofft, dass der Heilige Stuhl den Vorschlag der Kirche in Polen akzeptiert, den liturgischen Gedenktag der seligen Familie Ulma am 7. Juli zu begehen. Es ist der Hochzeitstag von Józef und Wiktoria Ulma. Bis zur Seligsprechung werden die sterblichen Überreste der Diener Gottes an einem eigens dafür vorbereiteten Ort aufbewahrt. Nach der Seligsprechung werden sie in der Pfarrkirche in Markowa aufgebahrt. Zwei Wochen nach der Seligsprechung, am 24. September, beginnt die Wallfahrt der Reliquien der Familie Ulma durch die polnischen Diözesen. "Ich hoffe, dass diese Pilgerreise der Reliquien weite Kreise der Gesellschaft zum Nachdenken über den Zustand der heutigen Ehe und Familie anregen wird", erklärte Bischof Wiesław Smigiel, Vorsitzender des Rats für Familie der Polnischen Bischofskonferenzen, kürzlich.

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