Als „Karsamstags-Bub“ kam Joseph Ratzinger vor 95 Jahren zur Welt und hatte, wie sein Biograf Peter Seewald in dieser Ausgabe schreibt, das Privileg, der „Erste des neuen Taufwassers“ zu sein, als er die Taufe empfing. Das knappe Jahrhundert, das der Spross einer damals noch zutiefst katholischen Heimat bis heute zu durchleben hatte, war dramatisch und voller Verhängnis. Als Jugendlicher hat Joseph Ratzinger selber eine Uniform getragen, als alter Mann muss er seinen Geburtstag wieder im Schatten eines europäischen Krieges begehen.
Ein blutiges Jahrhundert
Doch das 20. Jahrhundert wurde nicht nur das blutigste der Menschheitsgeschichte, es brachte auch für die Kirche eine Umwälzung, die es so noch nie gegeben hatte: Wie ein Sputnik entfernte sich die industrielle, von ihren eigenen technologischen Fortschritten manchmal sogar berauschte Welt von der alten „Cattolica“, die dem aufgeklärten Menschen allem Anschein nach nichts mehr zu sagen hatte.
Glauben an Gott in unsere Zeit übersetzt
Auf dem Zweiten Vatikanum haben katholische Denker und die Hierarchie versucht, in dieser neuen Welt wieder sprachfähig zu werden, also die unüberbrückbar zu werdende Kluft zur Moderne zu schließen. Ratzinger war an vorderster Front dabei. Seine Verkündigung, sein Schrifttum und sein ganzes geistiges Ringen kreiste schon damals, wie auch in den nachfolgenden Jahrzehnten darum, den Glauben an den Mensch gewordenen Gott wieder intellektuell „salonfähig“ zu machen.
Entweltlichung
Zuletzt hat noch die Kampagne gegen Benedikt in Folge der Veröffentlichung des Münchener-Missbrauchsgutachtens gezeigt, dass Propheten in ihrer Heimat einen schlechten Stand haben. Schon vorher hatten Deutschland und die hiesige Kirche allzumal mit dem Pfund eines deutschen Papstes in Rom nicht gewuchert. Nörgliges Gerede rief bei Bischöfen und Theologen Benedikts Freiburger Konzerthaus-Rede zur Entweltlichung hervor.
Aber auch die Politik zeigte keine Größe. Dass Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Aufhebung der Exkommunikation der vier von Erzbischof Marcel Lefebvre geweihten Bischöfe – einschließlich des Holocaust-Leugners Richard Williamson – einen antisemitischen Akt im Pontifikat von Joseph Ratzinger sah und das auch öffentlich vertrat, hat Benedikt XVI. sehr betroffen gemacht. Klug und erheiternd war es, dass der Papst bei seiner Ansprache im Deutschen Bundestag 2011 die ökologische Bewegung in der deutschen Politik in den 70er Jahren würdigte – aber ausgerechnet die Sitzreihen der Grünen waren leer geblieben.
Doch jenseits der Heimat Benedikts ist das ganz anders. Joseph Ratzinger hat viele Kreise mit seiner Theologie befruchtet, in vielen Orten der Welt finden Christen in seinen Schriften einen Halt und eine Ausrichtung für ihr geistliches Leben.
In gewisser Weise gleicht Benedikt seinem Namensvetter, dem Mönchsvater Benedikt, der in der unruhigen Zeit des Untergangs des Römischen Reichs und der Völkerwanderung mit seinen Klöstern ein Fundament für die abendländische Kultur gelegt hat.
Dankbarkeit
In ähnlicher Weise können kommende Generationen auf das Werk Ratzingers zurückgreifen, um die Kirche neu aufzubauen, wo sie alt und baufällig geworden ist. Der 95. Geburtstag des Emeritus darf deshalb auch ein Anlass sein, dafür zu danken, dass dem katholischen Erdkreis nochmals in neuerer Zeit ein Kirchenlehrer gegeben wurde, der den Christen für immer erhalten bleibt.
Portal der Tagespost- Stiftung ermöglicht persönliche Geburtstagsgrüße an Papst Benedikt XVI.
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