Natürlich müsse der Papst zum Frieden aufrufen, nichts anderes sei von ihm zu erwarten, betonte Kardinal Pierbattista Pizzaballa im November 2023 im Gespräch mit der „Tagespost“, als der Terrorangriff der Hamas auf Israel gerade erst zwei Monate alt war. Seitdem hat sich Pizzaballa, dessen Amt als Lateinischer Patriarch von Jerusalem auch ohne die kriegerische Eskalation schon schwer genug wäre, selbst als unermüdlicher Mahner für Frieden und Dialog erwiesen.
Einseitige Parteinahmen hat Pizzaballa dabei stets vermieden. „Wir als Kirche – nicht ich persönlich – sind ein Bindeglied und reden mit allen Seiten“, betonte er in dem Gespräch mit dieser Zeitung. Eine Zweistaatenlösung sieht er weiterhin als „unausweichlich“ an, auch wenn er sich nicht der Illusion hingibt, eine solche wäre in absehbarer Zeit erreichbar. Ob Kardinal Pizzaballa ein Schweigen der Waffen noch unter persönlicher Anwesenheit im Heiligen Land miterleben wird, ist derzeit nicht gewiss: Der Italiener gehört zu denjenigen, die derzeit immer wieder genannt werden, wenn es um die Nachfolge von Papst Franziskus auf dem Stuhl Petri geht.
Er bot sich selbst als Geisel an
Was den 60-Jährigen, der am 21. April 1965 in Cologno al Serio in der norditalienischen Diözese Bergamo geboren wurde, von vielen anderen Purpurträgern unterscheidet: Seit dem 7. Oktober ist sein Name auch über die katholische Blase hinaus vielen ein Begriff, da Pizzaballa immer wieder medial Präsenz zeigt. Zudem erfährt er das Leid der Christen im Heiligen Land, die im Konflikt zwischen Israel und der Hamas zwischen allen Fronten stehen, aus nächster Nähe – er steht sozusagen für eine echte Märtyrerkirche. Unvergessen bleibt auch sein Angebot, sich selbst im Austausch für die Freilassung der im Gazastreifen Gefangenen als Geisel anzubieten.
Pizzaballa studierte in Bologna Theologie und Philosophie und wurde 1990 zum Priester geweiht. Seit 35 Jahren lebt er im Heiligen Land, ist dort gut vernetzt und gilt als intimer Kenner der Region, ihrer Geschichte und Konflikte. 2004 wurde er zum Kustos des Heiligen Landes gewählt, 2016 zum Bischof geweiht. 2020 ernannte ihn Papst Franziskus zum Lateinischen Patriarchen von Jerusalem, nachdem er zuvor bereits das Amt des Apostolischen Administrators ausgeführt hatte.
Anfangs gab es auch Vorbehalte gegen den Italiener, denn mit dem Palästinenser Michel Sabah und dem Jordanier Fouad Twal waren Pizzaballas Vorgänger beide Araber. Doch der Franziskaner, der ausgezeichnet Hebräisch und passabel Arabisch spricht, räumte die Vorbehalte schnell aus – auch, indem er die Finanzverwaltung des zum damaligen Zeitpunkt in argen Schwierigkeiten steckenden Patriarchats grundlegend sanierte. Am 30. September, nur eine Woche vor dem Terrorangriff der Hamas auf Israel, ernannte Franziskus Pizaballa zum Kardinal.
Seine Haltung in lehramtlich heiklen Fragen ist nicht bekannt
Der Lateinische Patriarch sticht auch dadurch aus dem Kreis der möglichen Franziskus-Nachfolger heraus, da er sich zu den pastoralen und lehramtlich heiklen Fragen – etwa Zölibat, Frauenpriestertum und Segnung homosexueller Paare – bislang kaum geäußert hat. Er wäre in dieser Hinsicht sozusagen ein unbeschriebenes Blatt. Ob ihm dies im am 7. Mai beginnenden Konklave zum Vor- oder Nachteil gereicht, lässt sich nicht sagen. Betrachtet man allerdings Pizzaballas bisherige Funktion als Brückenbauer im Nahen Osten, so scheint kaum vorstellbar, dass er für eine einseitig konservative oder „liberale“ Linie stehen würde, mit der er jeweils einen beträchtlichen Teil seiner Herde vor den Kopf stoßen würde. Darauf deuten auch bisherige Äußerungen Pizzaballas hin: Die Kirche müsse immer „für Wahrheit und Gerechtigkeit eintreten“, dürfe aber nicht der Logik erliegen, mit dem einen zu sein bedeute, gegen den anderen zu sein, sagte er einmal.
Ob sich die Mehrheit der Papstwähler damit hinter ihn stellt? Die Zeit wird es zeigen. Fest steht nur, dass das anstehende Konklave von vielen Beobachtern als eine Richtungsentscheidung für die katholische Kirche wahrgenommen wird: Folgt man weiter dem von Papst Franziskus eingeschlagenen Kurs, der auf den ersten Blick progressiv erscheinen mochte, bei genauerer Betrachtung jedoch traditionsverbundener war als oft dargestellt? Oder entscheidet man sich für einen prononciert konservativen Nachfolger? Oder wird es vielleicht sogar einen „Übergangs-Papst“ geben, also ein Kardinal fortgeschrittenen Alters gewählt, der nicht mehr die Zeit haben wird, über viele Jahre oder gar Jahrzehnte den Vatikan und die Kirche zu prägen? Dann wäre Pizzaballa mit seinen 60 Jahren nicht der richtige Mann. Gut möglich, dass er als Stellvertreter Christi die Weltkirche ein Vierteljahrhundert und länger führen würde.
Aus einem anderen, wesentlich profaneren Grund könnte sich Kardinal Pizzaballa allerdings als gute Wahl erweisen: In Jerusalem hat er gezeigt, dass er einen finanziell maroden Stall auf Vordermann bringen kann. Die desaströse Finanzlage des Vatikans ist kein Geheimnis. Höchste Zeit, dass jemand aufräumt. Warum nicht ein Italiener aus dem Heiligen Land?
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.