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Kardinal Mendonça: Der Poet im Purpurgewand

Wer wird der nächste Papst? Unter Franziskus stieg Kardinal José Tolentino Calaça de Mendonça in der Kurie rasch auf, doch eine Diözese musste der Schöngeist nie leiten.
Kardinal de Mendonca beim Rosenkranz während der Erkrankung des Papstes im März.
Foto: IMAGO/Evandro Inetti (www.imago-images.de) | Intellektuelle Aura: Kardinal Tolentino de Mendonca beim Rosenkranz während der Erkrankung des Papstes im März.

Als Papst Franziskus den portugiesischen Kurienmitarbeiter José Tolentino Calaça de Mendonça 2019 in das Kardinalskollegium aufnahm, spielte er auf das Lieblingshobby des neuen Purpurträgers an: „Sie sind der Dichter“, sagte der Pontifex anerkennend. An literarischen Anregungen dürfte es Tolentino, der zu jener Zeit als Archivar und Bibliothekar des Vatikans amtete, nicht gemangelt haben. Heute gilt er als Papabile wegen seiner breit gestreuten Interessen, seiner interkulturellen Erfahrung und seiner akademischen Bildung. Unter den von Papst Franziskus ernannten Kardinälen sind promovierte Theologen keine Selbstverständlichkeit mehr – Tolentino besitzt allerdings einen am Päpstlichen Biblicum erworbenen Doktorhut. Er ist eines der jüngsten Mitglieder des Kardinalskollegiums und gilt als Arbeitstier. Angesichts der vielen Baustellen, die der künftige Papst in der Kurie zu bewältigen hat, kann das ein Vorteil sein. Ob dem Schöngeist Tolentino angesichts der schwierigen Finanzlage des Vatikan auch der nötige wirtschaftliche Sachverstand zur Sanierung des Kurienbetriebs zugetraut wird, ist allerdings fraglich. Die Aura des Intellektuellen umweht den Dichter allemal. Vor seiner Erhebung in den Kardinalsstand pflegte er sich bei Kulturevents ohne priesterliche Kleidung im offenen Hemd zu zeigen.

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Tolentino hat etwa 20 Werke publiziert, von denen zwei in deutscher Übersetzung bei Herder erschienen sind, und mehrere Literaturpreise gewonnen. Er ist eine feste Größe in der portugiesischen Gegenwartsliteratur und vertrat sein Land 2014 beim UNESCO-Welttag der Poesie. Der Sohn eines portugiesischen Fischers wurde 1965 als jüngster von fünf Söhnen auf Madeira geboren und verbrachte seine Kindheit in Angola, das damals noch portugiesische Kolonie war. Afrika weckt heute in ihm nostalgische Erinnerungen. Die Kindheit in einer vormodernen Welt prägte ihm vor allem den Sinn für die Bedeutung der Großfamilie ein. Ein wichtiger Bezugspunkt für den kleinen José war seine analphabetische Großmutter, die ihm portugiesische Gedichte und Lieder beibrachte. Nach dem Ende der Kolonialzeit kehrte die Familie 1975 in die Heimat zurück. Für José eröffneten sich neue Welten: 1976 trat er in das Kleine Seminar von Funchal ein und entdeckte in der Seminarbibliothek seine Passion für Literatur. Dichten wurde fortan das Ventil für seine Leidenschaft für „den Dialog mit der Welt“. Während seiner Seminarzeit veröffentlichte er in einer portugiesischen Tageszeitung seine ersten Gedichte.

Im Ruch des Linksliberalismus

1982 begann er sein Theologiestudium an der Katholischen Universität in Lissabon. Nach Priesterweihe und Studienaufenthalten in Rom und New York hatte er mehrere Jahre das Amt des stellvertretenden Rektors der Katholischen Universität in Lissabon inne, ehe er in der Amtszeit von Papst Franziskus einen raschen Aufstieg in der Kurie erlebte. 2018 erhielt er den ehrenvollen Auftrag, die Fastenexerzitien für die römische Kurie zu halten. Mit unkonventionellen Aktionen setzte der Kardinal den Vatikan und sich in Szene: Unvergessen ist die Einladung an Komiker zum Papsttreffen im Sommer 2024, zu dem Stars wie Whoopi Goldberg anreisten.

Als Präfekt des Dikasteriums für die Kultur und die Bildung gilt Kardinal Tolentino nicht zuletzt wegen seiner Nähe zur einflussreichen Gemeinschaft Sant’Egidio als Papabile. Seit Lissabonner Zeiten, als er Rector ecclesiae einer Kapelle war, in der Mitglieder von Sant’Egidio sich regelmäßig treffen, besteht einer enger Draht. Im Gegensatz zu Kardinal Zuppi gehört Tolentino der Gemeinschaft selbst nicht an, sondern ist Mitglied des Dritten Ordens der Dominikaner. Dass Tolentino nur wenig seelsorgliche Erfahrung mitbringt und nie eine große Diözese geleitet hat, ist allerdings ein Nachteil in seiner Biografie. Er gehört dem Kreis von Kardinälen an, die sich zu doktrinellen Streitfragen der Kirche nicht deutlich äußern. Gemeinsame Auftritte mit der feministischen spanischen Benediktinerin Teresa Forcades haben Tolentino in seiner Heimat den Ruch des linksliberalen Theologen eingetragen. Doch der Kardinal-O-Mat bleibt vage: hinter sechs von zehn Wahlprüfsteinen steht ein Fragezeichen. 

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