Nun ist es also geschehen: Die Reportage des polnischen Fernsehjournalisten Marcin Gutowski über die Vertuschung von Missbrauchsfällen durch Johannes Paul II. während seiner Amtszeit als Kardinal in Krakau für den Privatsender „TVN“ wurde im polnischen Fernsehen ausgestrahlt; das Buch zum selben Thema, „Maxima Culpa. Johannes Paul II. wusste Bescheid", verfasst vom holländischen Journalisten Ekke Overbeek, ist im polnischen Buchhandel erhältlich. Und wie man sich denken kann, sind die Reaktionen auf beide Werke sehr, sehr unterschiedlich. Innerhalb und außerhalb der Kirche.
Keine Bekehrung
Sie reichen von bitterer und - auf das Gesamtwerk und Leben Karol Wojtyłas gesehen – sicher auch unfairer Häme im Abrechnungsmodus bis hin zu trotzig-fundamentalistischer Verdrängung, von gutgemeinten Einordnungs- und Verteidigungsversuchen bis hin zu ziemlich blutleer wirkenden Verlautbarungen, ausgerechnet aus dem Raum der Polnischen Bischofskonferenz, wo man eine „weitere Archiv-Recherche“ in Aussicht stellt. Bereitschaft zur eigenen Bekehrung: offenbar Fehlanzeige.
Dabei dürfte in Polen ebenso wie in Deutschland, wo derzeit die „Causa Lehmann“ vor allem progressive Katholiken erschüttert, feststehen, dass all diese Enthüllungen, so unterschiedlich fundiert sie auch sein mögen, ein Weiter-so auf dem jeweiligen bisherigen Kurs verunmöglichen.
Denken statt Papst-Opium
Für das Christentum muss das kein Nachteil sein. Im Gegenteil. Das „Licht der Wahrheit“, die „Kraft der Liebe und Barmherzigkeit“, die für Jesus von Nazareth im Umgang mit gebrochenen Menschen so wichtig waren, lassen sich vor diesem aktuellen Erkenntnishintergrund vielleicht mit ganz neuer Freiheit und Ehrlichkeit erfahren – wie vielleicht auch das Denken und die Authentizität Karol Wojtyłas – ohne in den „ethischen Schlummer“ einer Art von Papst-Opium zu fallen, vor dem Wojtyłas priesterlicher und philosophischer Freund Józef Tischner (1931-2000) bereits kurz nach der Wahl im Jahr 1978 warnte.
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