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Der Vorsitzende der Polnischen Bischofskonferenz ist bedeutend

Es ist weit mehr als kirchliche Verwaltung, die sein Amt ausmacht: Eine Kontextualisierung der Wahl des Vorsitzenden des polnischen Episkopats.
Erzbischof Tadeusz Wojda hat ein schweres Amt mit zahlreichen Traditionen übernommen
Foto: IMAGO/Michal Fludra (www.imago-images.de) | Erzbischof Tadeusz Wojda hat ein schweres Amt mit zahlreichen Traditionen übernommen. Seine Aufgabe ist es zwischen der Tradition und dem modernen Polen zu vermitteln .

Die Wahl des Vorsitzenden der Polnischen Bischofskonferenz ist mehr als ein Akt der kirchlichen Verwaltung in Polen. In der bewegten Geschichte Polens war der Primas von großer gesellschaftspolitischer Bedeutung; es genügt zu sagen, dass er es war, der in der späten Ersten Republik (966-1795) in der Zeit des Interregnums, d.h. in Erwartung der Wahl eines Königs, die politische Macht ausübte. Während der Zeit der kommunistischen Versklavung stieg der Rang des Primas noch weiter an.

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Damals vereinte Kardinal Stefan Wyszyński das Amt des Primas von Polen mit dem des Vorsitzenden der Bischofskonferenz. Vor allem in den entscheidenden Jahren der Stalinschen Herrschaft in der UdSSR spielte er eine herausragende und unvergleichliche Rolle bei der Bewahrung der möglichen Freiheit der unterdrückten Kirche im kommunistischen Polen. 

Primas ist ein Ehrenamt

Heute ist man sich zwar weithin bewusst, dass die Situation eine ganz andere ist, sogar die Funktionen des Vorsitzenden der KEP und des Primas sind getrennt, und der Titel des Primas hat eine rein ehrenamtliche Bedeutung, die dem Erzbischof von Gniezno, der historischen ersten Hauptstadt Polens, zukommt. Gleichzeitig bleibt aber das Erbe Wyszynskis lebendig. So herrscht in der polnischen Kirche die weit verbreitete Meinung, dass ein ebenso starker Mann, der eine ähnliche Autorität wie Wyszyński ausüben würde, für die Kirche im heutigen Polen nützlich wäre.

Die Sehnsucht nach einer starken Persönlichkeit, die unsere Schwächen beheben würde, zeigt sich sowohl in der Tendenz, Johannes Paul II. übermäßig zu verherrlichen, als auch in Akten der Demütigung gegen ihn (z. B. in Form von Vandalismus gegen die Denkmäler des Papstes). Zweifellos ist diese Sehnsucht ihrerseits geprägt von den unter Katholiken weit verbreiteten Träumen von einer Person im Bischofsamt, die Wyszynski ähnlich oder zumindest ähnlich ausdrucksstark ist, insbesondere nach der Wahl des Vorsitzenden der KEP. Der Wunsch nach einer starken Persönlichkeit mag zum Teil die populistischen Tendenzen im polnischen Katholizismus erklären. Und angesichts der Rolle, die der Katholizismus nach wie vor in der Gesellschaft spielt, finden populistische Tendenzen in der Politik im polnischen Katholizismus zumindest eine Artikulation, wenn nicht sogar Unterstützung, wenn auch nur unfreiwillig.

Für oder gegen 

Betrachtet man die Wahl des Vorsitzenden der KEP von der Seite der Pressekommentare aus, so zeigt sich ein gewisses Problem der Einseitigkeit. Wenn man die Presse durchblättert und den Kommentaren der Journalisten zuhört, die sehr zahlreich sind, merkt man sofort, ob der Kommentator „für“ oder „gegen“ die Wahl von Erzbischof Tadeusz Wojda ist. Es ist schwierig, solche Analysen zu finden, die die Gründe abwägen und die Wahl der Bischöfe aus verschiedenen Perspektiven darstellen. Wir lesen entweder ganze Passagen von Einwänden, die eher Ausdruck der Haltung oder des Wunschdenkens der Autoren sind, oder Kaskaden von unkritischem Lob. 

Die scharfe und klare Trennung zwischen Befürwortern und Gegnern der getroffenen Wahl und die Einseitigkeit der Kommentare ist eine der vielen Darstellungen eines tieferen und besorgniserregenden Phänomens in der polnischen Gesellschaft, das bereits einen negativen Einfluss auf die katholische Kirche ausübt. Es scheint ein Problem zu sein, das auf ein mangelndes Selbstverständnis der polnischen Gesellschaft hindeutet. Trotz der Jahrzehnte, die seit der Wiedererlangung der Freiheit im Jahr 1989 vergangen sind, hat die polnische Gesellschaft - insbesondere ihre wiedererstarkten Eliten - keine Kategorien entwickelt, nicht einmal soziologische, die es ermöglichen würden, die Besonderheit der polnischen Position in der Zeit des Wandels und der Rückkehr zur Freiheit nach dem Fall des Kommunismus zu beschreiben.

Vertiefte Polarisierung

Es wurden auch keine theologischen Kategorien entwickelt, die es ermöglichen, die Religiosität in ihrer lokalen Besonderheit unter Bezugnahme auf den universellen Kontext zu betrachten. Der polnische Katholizismus stützte sich also allein auf die Volksfrömmigkeit - die es ihm ermöglichte, den Kommunismus zu überleben - und auf eine allenfalls oberflächliche Glaubenshermeneutik. Darüber hinaus wurde nicht einmal eine Formel gefunden, um die international zirkulierenden sozialen oder theologischen Diskurse zu nutzen und in geschickter Anpassung an die soziale und religiöse Situation in Polen der polnischen Gesellschaft auf diese Weise ein tieferes Selbstverständnis zu vermitteln. 

Die begrenzten Ressourcen zum Verständnis der Situation - und sei es nur der religiös-sozialen Situation - führen angesichts der zunehmenden Komplexität der Phänomene zu einer sich vertiefenden Polarisierung. Infolgedessen kann sich keine echte Diskussion entwickeln. Dieses Problem betrifft auch den polnischen Episkopat. Wenn man die bischöflichen Dokumente liest, hat man den Eindruck, dass die Bischöfe davon ausgehen, dass ein tiefes Verständnis eines Phänomens gleichbedeutend mit dessen Akzeptanz ist. Andererseits kann das Verfassen allzu nuancierter Texte, die sich an die Gläubigen richten, die Klarheit der katholischen Botschaft beeinträchtigen. Und es gibt im polnischen Katholizismus keine größere Angst als die, Klarheit und Eindeutigkeit im Glaubensbekenntnis zu verlieren.

Ein Vermittler

Unter diesen Umständen bedeutet die systematisch wiederholte Aussage, Erzbischof Wojda sei ein „Mann der Mitte“, dass von ihm einerseits erwartet wird, ein Vermittler zu sein, der in der Lage ist, sowohl unter den Bischöfen als auch innerhalb des Katholizismus in Polen ein Gleichgewicht herzustellen und zu wahren. Schließlich ist es der Vorsitzende der KEP, der den Episkopat sowohl auf dem Sozialforum als auch in den Beziehungen zu den politischen Behörden vertritt. Andererseits verfügt Erzbischof Wojda aber nur über ein sehr begrenztes Instrumentarium, das die Rolle eines solchen Vermittlers fördern könnte. Es sei denn, es handelt sich wieder um Ad-hoc-Aktionen. Diese sind jedoch sicherlich nicht in der Lage, die Herausforderungen zu bewältigen, vor denen die katholische Kirche in Polen steht.

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