Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Kommentar zu „Dilexi te“

Die Armen als ein Schatz

In seinem ersten Apostolischen Schreiben unterstreicht Papst Leo die Radikalität des Evangeliums, mit der man völlig anders auf die Wirklichkeit blickt als der Geist dieser Welt.
Papst Leo veröffentlicht sein erstes Apostolisches Schreiben
Foto: IMAGO/©Monica Giuliani/CPP (www.imago-images.de) | Das erste Apostolische Schreiben von Leo XIV. will ein Aufruf an jeden Getauften sein, sich der unterschiedlichsten Formen von Armut ganz konkret und ganz persönlich anzunehmen.

„In gewisser Weise sehe ich meine Hauptaufgabe nicht darin, die Probleme der Welt lösen zu wollen“, hat Papst Leo im Sommerinterview mit der amerikanischen Journalistin Elise Ann Allen erklärt, um dann nochmals bekräftigend nachzulegen: „Ich sehe meine Rolle wirklich überhaupt nicht darin, obwohl ich denke, dass die Kirche eine Stimme hat, eine Botschaft, die weiterhin gepredigt, ausgesprochen und laut verkündet werden muss.“

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Seine Aufgabe bestehe vielmehr darin, so der Papst weiter, „die Frohe Botschaft zu verkünden und das Evangelium zu predigen“. Denn das Evangelium gehe auch soziale, politische und gesellschaftliche Fragen „aus einer Perspektive an, die aus dem Bewusstsein hervorgeht, Söhne und Töchter Gottes zu sein“, eines Gottes, „der uns den Wert des menschlichen Lebens gelehrt hat – mit Blick auf das ewige Leben“.

Genau das macht die Exhortation „Dilexi te“ aus, mit der Leo XIV. entschieden hat, die Vorarbeiten seines Vorgängers „unter Hinzufügung einiger Überlegungen“, wie der Papst am Anfang schreibt, zu seiner eigenen Sache zu machen und als erstes Apostolisches Schreiben seines noch jungen Pontifikats zu veröffentlichen.

„Es geht um die Offenbarung“

So will auch „Dilexi te“ weder eine sozialethische Analyse des weltweiten Phänomens der Armut sein, noch will der Papst Lösungen zur Regelung der Migrationsströme vorschlagen oder Ratschläge zum Umgang mit Flüchtlingen geben. Es geht vielmehr um die Perspektive, mit der die Kirche auf die Armen schaut, eben „aus dem Bewusstsein“ heraus, „Söhne und Töchter Gottes zu sein“, eines Gottes, „der uns den Wert des menschlichen Lebens gelehrt hat“.

Wie schon für Franziskus ist auch für seinen Nachfolger der Blick entscheidend, mit dem jeder einzelne Gläubige auf die armen Menschen schaut. „Hier geht es nicht um Wohltätigkeit“, schreibt Papst Leo, „sondern um Offenbarung: Der Kontakt mit denen, die keine Macht und kein Ansehen haben, ist eine grundlegende Form der Begegnung mit dem Herrn der Geschichte.“ Und: „Im verwundeten Gesicht der Armen sehen wir das Leiden der Unschuldigen und damit das Leiden Christi selbst.“

Die Botschaft ist klar: Christen dürfen die Armen nicht den staatlichen Fürsorge-Institutionen oder den auf caritative Arbeit spezialisierten NGOs überlassen. Vielmehr sei die Begegnung mit einem Armen für jeden Einzelnen eine Begegnung mit dem Mensch gewordenen Sohn Gottes. 

Das Zeugnis des Laurentius

„Dilexi te“ führt zahlreiche Beispiele aus der Frühzeit der Kirche und aus dem Leben der Heiligen an, die zeigen, dass auch die Armen kostbare Menschen sind. So schreibt Papst Leo: „Aus dem Bericht des heiligen Ambrosius wissen wir, dass Laurentius, der während des Pontifikats von Papst Sixtus II. Diakon in Rom war, von den römischen Behörden gezwungen wurde, die Schätze der Kirche auszuhändigen: Am folgenden Tage führte er die Armen vor. Auf die Frage, wo die Schätze wären, die er versprochen hatte, zeigte er auf die Armen und sprach: Das sind die Schätze der Kirche.“

Natürlich wird es Kommentare und Einschätzungen geben, die Papst Leo mit „Dilexi te“ – und damit Papst Franziskus – gegen die Migrationspolitik der Administration Donald Trumps oder den nimmersatten Geldhunger der Finanzwelt in Stellung bringen wollen. Aber auch das wäre eine Form, wie der einzelne Christ den Umgang mit Armen auf die Politik, den Egoismus der Staaten, die ungerechten Strukturen oder „die Bösen da oben“ abschieben kann.

Das erste Apostolische Schreiben von Leo XIV. will dagegen ein Aufruf an jeden Getauften sein, sich der unterschiedlichsten Formen von Armut ganz konkret und ganz persönlich anzunehmen – überall dort, wo er ihr begegnet.

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