Beginnend mit seiner ersten Generalaudienz am 21. Mai hat Papst Leo XIV. das Thema der Mittwochskatechese fortgeführt, das noch sein Vorgänger Franziskus begonnen hatte. Es geht um die Gleichnisse Jesu, von denen die Evangelien berichten. Im Folgenden die Ansprache des Papstes bei der heutigen Generalaudienz:
Liebe Brüder und Schwestern,
ich möchte noch einmal bei einem Gleichnis Jesu verweilen. Auch in diesem Fall handelt es sich um eine Erzählung, die unsere Hoffnung nährt. Manchmal haben wir nämlich den Eindruck, keinen Sinn in unserem Leben zu finden: Wir fühlen uns nutzlos, unfähig, genau wie die Arbeiter, die auf dem Marktplatz darauf warten, dass ihnen jemand Arbeit gibt. Aber manchmal vergeht die Zeit, das Leben geht an uns vorbei, und wir fühlen uns nicht wahrgenommen, nicht geschätzt. Vielleicht sind wir zu spät gekommen, andere waren vor uns da, oder Sorgen haben uns anderswo aufgehalten.
Die Metapher des Marktplatzes passt auch gut in unsere Zeit. Der Markt ist nämlich der Ort, an dem Geschäfte gemacht, aber wo leider auch Zuneigung und Würde gekauft und verkauft werden, um daraus Profit zu schlagen. Und wenn man sich nicht geschätzt, nicht anerkannt fühlt, dann kann man Gefahr laufen, sich an den Erstbesten zu verkaufen. Der Herr aber erinnert uns daran, dass unser Leben wertvoll ist – und dass es sein Wunsch ist, uns dabei zu helfen, diesen Wert zu entdecken.
Um jeden Preis das Leben eines jeden von uns wertschätzen
Auch in dem Gleichnis, das wir heute betrachten, gibt es Arbeiter, die darauf warten, dass sie jemand für einen Tag anstellt. Wir befinden uns im 20. Kapitel des Matthäusevangeliums, und auch dort begegnen wir einer Figur, deren Verhalten ungewöhnlich ist, die überrascht und Fragen aufwirft: Der Gutsbesitzer, der persönlich hinausgeht, um Arbeiter für seinen Weinberg anzuwerben. Offensichtlich möchte er eine persönliche Beziehung zu ihnen aufbauen.
Wie ich bereits sagte, handelt es sich um ein Gleichnis, die Hoffnung gibt, weil es uns sagt, dass dieser Gutsbesitzer mehrmals hinausgeht, um jene zu suchen, die darauf warten, ihrem Leben einen Sinn zu geben. Er macht sich schon bei Tagesanbruch auf den Weg und kehrt dann alle drei Stunden zurück, um nach Arbeitern zu suchen, die er in seinen Weinberg schicken kann. Nach diesem Zeitplan gäbe es, nachdem er um drei Uhr nachmittags wieder dort war, keinen Grund mehr, noch einmal auf den Markt zu gehen, da der Arbeitstag ja um sechs Uhr zu Ende war.
Doch dieser unermüdliche Arbeitgeber, der um jeden Preis das Leben eines jeden von uns wertschätzen möchte, geht auch um fünf Uhr noch einmal los. Die Arbeiter, die auf dem Marktplatz zurückgeblieben waren, hatten wahrscheinlich schon jede Hoffnung verloren. Der Tag schien verloren. Doch da war jemand, der noch an sie glaubte. Was für einen Sinn hat es, Arbeiter nur für die letzte Stunde des Arbeitstages einzustellen? Was für einen Sinn hat es, nur eine Stunde lang zu arbeiten? Und doch, auch wenn es scheint, als könnten wir im Leben nur wenig bewirken – es lohnt sich immer! Es gibt immer eine Möglichkeit, einen Sinn zu finden, denn Gott liebt unser Leben.
Hier stellt das Gleichnis vor eine Frage
Und so zeigt sich die Originalität dieses Arbeitgebers auch am Ende des Tages, und zwar bei der Bezahlung. Mit den ersten Arbeitern, denen, die bei Tagesanbruch in den Weinberg gingen, hatte der Herr einen Lohn vereinbart, der dem üblichen Tageslohn entsprach. Den anderen sagt er, er werde ihnen geben, was ihnen zusteht. Und genau hier stellt uns das Gleichnis vor eine Frage: Was ist gerecht? Für den Weinbergbesitzer, also für Gott, ist es gerecht, dass jeder hat, was er zum Leben braucht. Er hat die Arbeiter persönlich gerufen, er kennt ihre Würde und will sie entsprechend bezahlen. Und er gibt jedem einen Denar.
Die Erzählung sagt uns, dass die Arbeiter der ersten Stunde enttäuscht sind: Sie können die Schönheit der Geste ihres Herrn nicht erkennen, der nicht ungerecht, sondern einfach großzügig war, und nicht nur auf die Verdienste, sondern auch auf die Bedürfnisse geachtet hat. Gott möchte allen sein Reich schenken, also ein erfülltes, ewiges und glückliches Leben. Und so handelt Jesus auch mit uns: Bei ihm gibt es keine Rangordnung; allen, die ihm ihr Herz öffnen, schenkt er sich selbst ganz und gar.
Angesichts dieses Gleichnisses könnte der Christ von heute versucht sein zu denken: „Warum sofort mit der Arbeit beginnen? Wenn die Bezahlung dieselbe ist, warum sollte man dann mehr arbeiten?“ Auf diese Zweifel antwortete der heilige Augustinus: „Warum zögerst du, dem zu folgen, der dich ruft, obwohl du dir des Lohnes sicher bist, des Tages aber ungewiss? Achte darauf, dass du dir durch dein Zögern nicht selbst das raubst, was er dir nach seinem Versprechen geben wird“ (vgl. Augustinus, Vorträge 87, 6, 8.)
Junge Menschen, wartet nicht!
Vor allem den jungen Menschen möchte ich sagen, dass sie nicht warten sollen, sondern dem Herrn, der uns ruft, in seinem Weinberg zu arbeiten, mit Begeisterung antworten müssen. Zögert nicht, krempelt die Ärmel hoch, denn der Herr ist großzügig, und er wird euch nicht enttäuschen! Wenn ihr in seinem Weinberg arbeitet, werdet ihr eine Antwort auf jene tiefgehende Frage finden, die ihr in euch tragt: Was ist der Sinn meines Lebens?
Liebe Brüder und Schwestern, lasst uns nicht mutlos werden! Bitten wir den Herrn auch in den dunklen Momenten des Lebens – wenn die Zeit vergeht, ohne uns die Antworten zu geben, die wir suchen –, wieder zu uns zu kommen und uns dort zu begegnen, wo wir auf ihn warten. Der Herr ist großzügig, er wird bald kommen!
Bei den anschließen Grüßen in den verschiedenen Landessprachen erinnerte der Papst die französischen Pilger daran, dass die Welt „Mühe hat, einen Wert im menschlichen Leben zu finden, auch in seiner letzten Stunde: Der Geist des Herrn erleuchte unseren Verstand, damit wir die Würde jedes Menschen verteidigen können“. Die polnischen Gläubigen bat er darum, auf die Heiligen und Seligen zu schauen, um dem Ruf des Herrn zu folgen, „unter ihnen“, fügt Papst Leo hinzu, „der selige Pier Giorgio Frassati“, der Patron der Jugendbegegnung in Lednica. „Lasst uns nicht verzagen! Auch in den dunklen Momenten des Lebens“, meinte der Papst zu den arabischsprachigen Pilgern, „kommt und Gott immer mit Liebe und Hoffnung entgegen“. Schließlich lud er die Italiener in der Vorbereitungszeit auf das Pfingstfest ein, „immer dem Wirken des Heiligen Geistes gehorsam zu sein und sein Licht und seine Kraft anzurufen“.
Quelle: Vatican news
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