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Der Heilige Stuhl als Friedensmacht

Der Papst wurde erst zu einem „Global Player“ in der Friedenspolitik, als er seine territoriale Macht mit dem Kirchenstaat 1870 verloren hatte. Ein historischer Abriss der vatikanischen Diplomatie.
Petrus Figur
Foto: IMAGO (www.imago-images.de) | Päpstliche Diplomatie ist ein Ausdruck der Katholizität, also des weltweiten Wirkens der Kirche, sagte Papst Leo XIV. Die Kirche sieht sich dabei im Dienst der gesamten Menschheit.
Die Macht des Papstes hatte immer etwas mit seiner geistigen Autorität als Oberhaupt der Katholiken und Brückenbauer – Pontifex – zwischen Gott und der Erde zu tun. Aber daneben gab es seit dem 8. Jahrhundert den Kirchenstaat, wodurch der Papst auch Territorialherr war und als solcher auch in politische Konflikte eingriff, so beim Vertrag von Tordesillas 1494 zwischen Portugal und Spanien, als der Papst die Grenze zwischen deren beiden Kolonialreichen zog.
 
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Der Verlust des Kirchenstaates 1870 zwang die Kirche, sich auf ihre geistig-spirituelle Kernaufgabe zu konzentrieren.  Auch ohne eigenes Territorium behielt die Kirche jedoch ihr weltweites Netz an diplomatischen Vertretungen aus der Zeit der Territorialherrschaft bei. Allerdings war dieses Netz jetzt völkerrechtlich nicht mehr an den Kirchenstaat gebunden, sondern dem Heiligen Stuhl, also direkt dem Papst unterstellt.

Mit Leo XIII. nimmt der Vatikan eine größere friedensdiplomatische Rolle ein 

Mit der moralischen und ethischen Autorität dieses Stuhls ausgestattet, die durch das Unfehlbarkeitsdogma des 1. Vatikanischen Konzils von 1871 noch vergrößert worden war, wurde der Papst zu einem  „Global Player“ im Bereich der internationalen Diplomatie. Besonders deutliche wurde dies beim Pontifikat von Papst Leo XIII. zwischen 1878 und 1903. Der Papst war zwar als Nuntius 1843 in Belgien gescheitert, aber als Papst vermittelte er im Jahre 1885 in der Karolinenaffäre zwischen Deutschland und Spanien, indem er einen sehr weisen Schiedsspruch sprach, der ihm sogar den Respekt Bismarcks einbrachte.
 
1899 nahm die katholische Kirche als gleichberechtigtes Mitglied an der ersten internationalen Friedenskonferenz von Den Haag teil. Auch nach Unterzeichnung der Lateranverträge 1929, als der Heilige Stuhl in der Stadt Rom wieder ein Territorium bekam, blieben die Nuntiaturen Botschaften des Heiligen Stuhls, sie vertreten den Papst und seine geistige Macht als Oberhaupt der Katholiken, nicht den winzigen Vatikanstaat.
 
Auch der Erste Weltkrieg, als sich die Bischofskonferenzen der gegnerischen Länder noch bekriegten, beschädigte die moralische und ethische Autorität des Heiligen Stuhls kaum. Im Gegenteil, erstmals wurde sich der Heilige Stuhl bewusst, dass es über die Kirche und Religion hinaus universelle Werte wie Menschenrechte, Menschenwürde und Frieden gab, die es auch mit politischen und diplomatischen Mitteln zu verteidigen galt. Schon Papst Leo XIII. hatte sich als erster Papst in zwei Enzykliken gegen die Sklaverei ausgesprochen. Mehrmals setzte sich sein Nachfolger, Papst Benedikt XV., der den Beinamen Friedenspapst erhielt, während des ersten Weltkriegs überparteiisch, geduldig und diskret für Friedensinitiativen zwischen den kriegführenden Nationen ein.
 
Sein besonderer Einsatz galt jedoch den vom Völkermord bedrohten Armeniern seit 1915 im Osmanischen Reich, wo erstmals so etwas wie ein Menschheitsverbrechen geschah. Damals entwickelte der Heilige Stuhl die Geheimdiplomatie, um Menschenleben zu retten. Von Überparteilichkeit konnte keine Rede mehr sein, denn der Völkermord an den Armeniern geschah in aller Öffentlichkeit, auch vor den Augen europäischer Botschafter und vieler europäischer Missionare und Ordensleute.

Papst Benedikt XV. und sein Kampf gegen den Völkermord an den Armeniern

Im Sommer 1915 war Papst Benedikt über die Massaker der Türken an den christlichen Armeniern informiert worden. Hunderttausende waren bereits aus den Städten und Dörfern ihrer ostanatolischen Heimat deportiert und auf endlosen Todesmärschen in die syrische Wüste getrieben worden. Den ganzen Sommer über hatte der Apostolische Delegat in Konstantinopel, Monsignore Angelo Dolci, versucht, auf diplomatischem Wege die Deportationen zu stoppen.

Schreiben von Papst Benedikt XV. an den Sultan von Konstantinopel
Foto: Creative Commons | Am 10. September 1915 richtete Papst Benedikt XV. ein persönliches Handschreiben an das osmanische Staatsoberhaupt, Sultan Mehmet V.

Danach bestand für Papst Benedikt XV. kein Zweifel mehr, dass „das unglückliche Volk der Armenier der vollständigen Vernichtung zugeführt wird“ – so äußerte er sich vor dem Konsistorium am 6. Dezember 1915. Den Völkermord an den Armeniern konnte Papst Benedikt XV. mit seinen diplomatischen Bemühungen ebenso wenig stoppen wie den Ersten Weltkrieg, der ihn erst möglich gemacht hatte. Aber nicht nur für die Armenier ist es wichtig, dass er es zumindest versucht hatte. Deshalb erhielt er auf dem Völkermord-Denkmalhügel Tsitsenakabert in Eriwan einen Ehrenplatz.

Pax Romana als erste katholische Friedensbewegung

Nach dem Ersten Weltkrieg unterstützte der Heilige Stuhl 1921 die internationale studentische Friedensbewegung, die „Pax Romana“, die in Freiburg in der Schweiz gegründet wurde. Die Schweiz war ein fruchtbarer Ort für internationale Bewegungen, weil das Land mit seiner direkten Demokratie seit Jahrhunderten kaum Kriege gekannt hatte und deshalb ein sicherer Hort für Flüchtlinge war. Dort waren bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert erste transnationale Verbände von Sozialisten, Kommunisten und Zionisten entstanden. In Genf entstand 1921 auch der Völkerbund, als erster Versuch der Weltgemeinschaft sich zu organisieren, der Vorläufer der heutigen UNO in New York. 
 
Die Pax Romana hatte als eine der wenigen nach dem Ersten Weltkrieg gegründeten internationalen Organisationen, vielleicht sogar als einzige, von Anfang an keinen Unterschied zwischen Sieger- und Verliererstaaten des Krieges gemacht. Im Juli 1921 gelang es sogar, nach schwierigen Verhandlungen die deutschen und französischen Studenten gemeinsam an einen Verhandlungstisch zu bringen. Im Vergleich zum Völkerbund, der den Deutschen und anderen Verliererstaaten eine Mitgliedschaft lange verweigerte, war dies bereits eine beeindruckende Leistung. Bis heute hat Pax Romana einen Beraterstatus bei der UNO. 

„Päpstliche Diplomatie ist ein Ausdruck der Katholizität“

Kurz vor Beginn des Zweiten Weltkrieges betrat zwar mit Papst Pius XII. ein ehemaliger Kirchendiplomat die Weltbühne, aber er nutzte seine moralische Autorität zunächst nicht, um gegen den Holocaust an den Juden öffentlich zu protestieren, wie das Benedikt XV. im Falle der Armenier getan hatte. Der Holocaust geschah weitgehend im Verborgenen, aber als die Juden Roms nach der deutschen Besetzung der Stadt 1943 auch deportiert werden sollten, setzte er als Bischof von Rom alle Hebel in Gang, um so viele Juden wie möglich, meistens durch Verstecken in Klöstern, zu retten.
 
Seit dem Zweiten Weltkrieg hat der Heilige Stuhl vor allem bei Konflikten zwischen katholischen Staaten, wie beim Beagle-Kanal-Streit zwischen Chile und Argentinien 1977, oder beim Bürgerkrieg im Südsudan 2019 durch seine Diplomatie einen Beitrag zur Beilegung geleistet.

Päpstliche Diplomatie ist ein Ausdruck der Katholizität, also des weltweiten Wirkens der Kirche, sagte Papst Leo XIV. Die Kirche sieht sich dabei im Dienst der gesamten Menschheit. Nur mit der Unterstützung der anderen Kirchen und Religionen kann der Papst diesen Dienst leisten, deshalb ist Ökumene und Dialog der Religionen eine Voraussetzung für diesen Friedensdienst. Papst Johannes Paul II. hat dies mit der Einladung zum ersten Gebetstreffen der Weltreligionen für den Frieden in Assisi 1986 sehr deutlich gemacht. Die zweite Säule des Friedens ist die Gerechtigkeit. Da kann Papst Leo XIV. auf seinen Namensvorgänger Papst Leo XIII. verweisen, der mit seiner Enzyklika „Rerum Novarum“ die Grundlage für eine gerechtere Gesellschaft legen wollte.

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