Weltweit wird das Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariens gefeiert. Am 8. Dezember 1854, also vor genau 170 Jahren, verkündete der damalige Papst Pius IX. in der Bulle „Ineffabilis Deus“ die Unbefleckte Empfängnis Mariens als offizielles positives Dogma. Er bestätigte damit eine theologische Auffassung, die zugleich einer sehr alten Volksfrömmigkeit entsprach, die besonders stark von den Franziskanern getragen wurde.
Der Wallfahrtsort Neviges ist bekannt als der älteste Wallfahrtsort nördlich der Alpen, in dem die selige Jungfrau Maria als Unbefleckte Empfängnis verehrt wird. Neviges hat viel mit den Franziskanern zu tun: Nachdem die Pfarrgemeinde zur Reformation übergetreten war, wurden 1670 einige Franziskaner nach Neviges gerufen, um die katholische Seelsorge weiterzuführen, und die Franziskaner blieben bis 2020. Unser Mariendom besitzt mit Stolz auch eine Reliquie des heiligen Duns Scotus, eines großen franziskanischen Theologen des 13. Jahrhunderts, der für die Anerkennung der unbefleckten Empfängnis Mariens argumentierte.
„Bring mich nach Hardenberg“
Seit 1681 wird in Neviges ein besonderes Gnadenbild verehrt, das in direktem Zusammenhang mit der Unbefleckten Empfängnis Mariens steht. Im September 1680 betete der Franziskaner Antonius Schirley mit dem Buch „Das himmlisch Palm-Gärtlein“ auf der Seite, auf der ein Kupferstich der seligen Jungfrau Maria das Gebet begleitet. Dort heißt es in Bezug auf die Gottesmutter: „Du bist ohne Erbschuld empfangen und jeglicher Sünde bar“. Dieses Bild sprach zu Bruder Schirley: „Bring mich nach Hardenberg: dort will ich verehrt werden!“ Hardenberg (heute Neviges) liegt 50 Kilometer südlich vom Franziskanerkloster Dorsten, wo Bruder Schirley betete. Nach zwei wunderbaren Heilungen wurde Neviges ab 1681 ein bedeutender Wallfahrtsort mit einer besonderen Verbindung zur Immaculata.
Nach dem Weggang der Franziskaner kamen im Jahr 2020 die Priester der Gemeinschaft St. Martin ins Kloster und übernahmen dort die Seelsorge. Diese Gemeinschaft stammt aus Frankreich, wo die Gottesmutter von Lourdes besonders verehrt wird. In Lourdes erschien die Maria 1858 der jungen Bernadette Soubirous und stellte sich als „die Unbefleckte Empfängnis“ vor. Vier Jahre nach der Bulle „Ineffabilis Deus“ hatte Maria damit selbst das Dogma bestätigt. Lourdes ist bis heute einer der bedeutendsten Wallfahrtsorte der Welt. Pilger aller Sprachen und Nationen kommen dorthin, und unter den Seelsorgern sind auch Priester der Gemeinschaft St. Martin – eine lebendige Verbindung zwischen der Lourdes‘schen Immaculata und den Seelsorgern in Neviges.
Der Erlöser und die erste Erlöste
Das Dogma von der Unbefleckten Empfängnis Mariens weist auf zwei wichtige Eckpfeiler des christlichen Glaubens hin – den Erlöser Jesus Christus und die erste Erlöste, seine Mutter, Maria von Nazareth. Jesus ist die Antwort Gottes auf die Sünde des Menschen, und Maria zeigt uns, was diese Antwort im Menschen bewirkt: Die Erlösung von der Sünde und ihren Folgen. Das Einzigartige an Maria ist die Erlösung schon am Beginn ihres Lebens an: Sie war von ihrer Empfängnis an „ohne Sünde“. Daraus erklärt sich ihre besondere Heiligkeit, ihre Leuchtkraft und Schönheit, wie sie in den Evangelien, aber auch in den mystischen Erfahrungen mit der Gottesmutter in der Kirchengeschichte bezeugt wird.
Die Sünde fasziniert uns Menschen. Sie weist auf eine tiefe Spaltung, auf eine Entfremdung in uns hin: „Ich tue nicht das Gute, das ich will, sondern das Böse, das ich nicht will, das vollbringe ich. Wenn ich aber das tue, was ich nicht will, dann bin nicht mehr ich es, der es bewirkt, sondern die in mir wohnende Sünde“ (Röm 7). Das Unheil der Sünde zeigt sich nicht nur im Sünder selbst, sondern weit darüber hinaus in der ganzen Schöpfung, die vor Schmerzen schreit und auf die Erlösung vom Bösen wartet (vgl. Röm 8). Daher auch das Bild von der Schlange, die von der Jungfrau zertreten wird (vgl. Gen 3; Offb 12). Täglich lesen und hören wir von Krieg und Klimawandel, von Flüchtlingen und Zerstörung, von Verbrechen und Katastrophen, werden selbst mit Erschöpfung, Sinnlosigkeit, Ungerechtigkeit, Gewalt, Krankheit und Tod konfrontiert. Wie sollen wir damit umgehen? Wie können wir unsere Würde bewahren?
Maria zeigt uns den Weg. Sie zeigt uns, wie der Mensch an sich schön und würdig bleiben kann, auch im Leiden, auch wenn in der Konfrontation mit Hass und sinnloser Gewalt. Sie zeigt uns, dass Hoffnung trägt und aufrichtet. Sie zeigt uns, dass die Liebe unbesiegbar ist. Die Fürbitte Mariens hat oft zu wunderbaren Heilungen beigetragen, in Lourdes, aber auch an anderen Orten, wie in Neviges – denn zum Wohl des Menschen gehört auch das Wohl seines Leibes. So begann auch die Hardenberger Wallfahrt nach Neviges. Mit den Heilungen wird deutlich, wie wichtig der Leib für diesen Gott ist, der selbst Mensch geworden ist und uns in der Auferstehung am Jüngsten Tag zum ewigen Leben erwecken will. Maria zeigt uns auch, wie schön der Mensch an sich ist. Eine große Erleichterung für alle, die mit dem Bösen, mit Krankheit, mit Hass oder mit menschlicher Schwäche ringen. Heilige Mutter Gottes, bitte für uns!
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