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„Friede auf Erden den Menschen seines Wohlgefallens“

Das Evangelium ist eine Botschaft des Friedens. Doch die hat eine Vorgeschichte: das Alte Testament. Eine biblische Spurensuche.
Krippe
Foto: Harald Oppitz/KNA | In der Krippe schenkt Gott uns seinen Sohn, dessen Friede nicht von dieser Welt ist. Jesus selbst ist der wahre Friede, den auch das Alte Testament bereits herbeisehnt.

Wer das Alte Testament nur in Auszügen kennt, weiß nicht so recht, wie es um den Frieden und die Friedfertigkeit dieses ersten und grundlegenden Teils der Bibel bestellt sein mag. Neben beeindruckenden und bekannten Bildern zu Frieden und Versöhnung findet sich eine Reihe verstörender Texte zu Krieg und Gewalt. Im Neuen Testament, so denkt man leicht, scheint das alles ganz anders zu sein. Jesu Botschaft, sein Leben und Sterben, waren von Anfang bis Ende gewaltlos, sodass der Epheserbrief von Christus bekennt: „Er ist unser Friede“ (Eph 2,14). Vom Lobgesang des Zacharias (Lk 1,79) über das Gloria des himmlischen Heeres bei der Geburt Jesu (2,14) bis zur Begegnung mit dem Auferstandenen (Joh 20,19) ist das Evangelium eine einzige Botschaft des Friedens. Doch diese Geschichte, so soll im Folgenden gezeigt werden, hat eine Vorgeschichte, ohne die sie nicht verstanden werden kann.

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Auch das Alte Testament ruft dazu auf, den Frieden zu suchen und ihm nachzujagen (Ps 34,15). Gott verheißt seinem Volk den Frieden (Ps 85,9). Und wenn der Messias kommt, „dann tragen die Berge Frieden für das Volk und die Hügel Gerechtigkeit“ (Ps 72,3). Nicht auf einem Pferd, mit dem die Könige dieser Welt in den Krieg ziehen (vgl. Ex 15,4), sondern auf einem Esel wird der Friedenskönig in Jerusalem einziehen und nicht nur seinem Volk, sondern allen Nationen der Erde den Frieden verkünden (Sach 9,9f).

Die Sünde und der Ausbruch der Gewalt

Diese Botschaft des Friedens, die bereits das Alte Testament kennt, ergeht allerdings in eine Welt, in der die Gewalt herrscht. In der Geschichte der Menschheit, wie sie die Bibel erzählt, bricht bereits in der zweiten Generation die Gewalt aus: Kain erschlägt seinen Bruder Abel (Gen 4). Der Brudermord ist das Urbild unrechtmäßiger Gewalt. Sie hat eine Ursache. Kain ist nicht nur Täter, sondern auch Opfer. In einer psychologisch und theologisch feinsinnigen Analyse deckt die Erzählung diesen Zusammenhang auf: Kain wird von der Sünde belagert. Sie lauert an der Tür, heißt es in Genesis 4,7. Gott macht ihn auf die Gefahr aufmerksam und fordert ihn auf, über die Sünde zu herrschen. Doch Kain hat bereits seine aufrechte Haltung verloren, die Sünde hat die Herrschaft über ihn gewonnen, er schreitet zur Tat und tötet seinen Bruder. 

Doch woher kommt die Sünde, die an der Tür lauert, die ihre Opfer sucht, um sie zu Tätern zu machen? Sie hat eine Vorgeschichte. Von ihr erzählt das dritte Kapitel der Genesis. Das erste Menschenpaar hat ein Gebot Gottes übertreten (Gen 2,16). Es hat nicht auf die Stimme Gottes gehört, sondern auf die Stimme eines Geschöpfes, der Schlange, die das Gebot Gottes verfälscht und Misstrauen zwischen Gott und dem Menschen gesät hat. Die Erzählung will uns sagen: Es gibt so etwas wie eine Kernstörung zwischen Gott und den Menschen. Die Theologie spricht von der Ursünde. Sie ist eine Realität in der Schöpfung, die aus sich heraus wirkt und sich immer mehr ausbreitet. Sie stammt nicht von Gott, sondern sie wurde und wird immer wieder durch den Menschen realisiert. In jeder bösen Tat und in jeder bösen Gesinnung ist sie in verborgener Weise wirksam. Sie zeigt ihre Fratze vor allem in der unrechtmäßigen Gewalt. 

Einen ersten Ausbruch dieser Gewalt stellt der Brudermord dar. Danach breitet sich die Gewalt immer weiter aus. „Die Erde aber war vor Gott verdorben, die Erde war voller Gewalttat“, heißt es in Gen 6,11. Die Schöpfung droht, ins Chaos zurückzufallen. „Ich will den Menschen, den ich erschaffen habe, vom Erdboden vertilgen, mit ihm auch das Vieh, die Kriechtiere und die Vögel des Himmels, denn es reut mich, sie gemacht zu haben“, sagt Gott (Gen 6,7). Er bringt eine große Flut über die Erde. Doch ein Mensch und seine Familie finden Gnade in den Augen Gottes und werden aus der Flut gerettet: Noach, der gerecht war vor Gott (Gen 7,1).

Nach der Flut ist die Welt eine andere als vor der Flut. Gott muss seinen Schöpfungsauftrag ändern. Er sieht ein, dass das Trachten des menschlichen Herzens böse ist von Jugend an (Gen 8,21). Gott schließt mit Noach einen Bund und gibt ihm und seinen Nachfolgern ein Instrument an die Hand, die sich ausbreitende Gewalt in Grenzen zu halten. Es handelt sich um die Einführung des Rechts. Das menschliche Leben wird unter den Schutz des Rechts gestellt. Doch damit das Recht nicht nur leere Anpreisung bleibt, muss es mit Gewalt ausgestattet werden.

Diese rechtmäßige Gewalt nimmt in der Urgeschichte noch eine sehr einfache, urtümliche Form an: „Wer Blut eines Menschen vergießt, um dieses Menschen willen wird auch sein Blut vergossen. Denn als Bild Gottes hat er den Menschen gemacht“ (Gen 9,6). Die Durchführung der Blutrache ist an strenge Regeln gebunden. Im Kern handelt es sich um eine bedeutende zivilisatorische Errungenschaft: Es geht um die Eingrenzung unrechtmäßiger Gewalt (violentia) durch rechtmäßige Gewalt (potestas). Das Gebot der Gewalteindämmung durch das Recht gilt universal. Deshalb muss Gott jetzt keine Flut mehr über die ganze Erde bringen: „Nie wieder soll eine Flut kommen und die Erde verderben“ (Gen 9,11).

Im weiteren Verlauf der Geschichte wird die Institution der Blutrache durch das staatliche Gewaltmonopol ersetzt. Im Richterbuch wird von erschreckenden Gewalttaten wie Mord und Vergewaltigung erzählt, „denn in jenen Tagen gab es noch keinen König in Israel und jeder tat, was in seinen eigenen Augen recht war“ (Ri 21,25). Die grausamen Geschichten wollen die Gewalt nicht verherrlichen, sondern decken auf, was wir gewöhnlich auch heute erleben, wenn ein Staat zusammenbricht.

Die Heilung des menschlichen Herzens

Besonders in seinem Schlussteil ist das Buch der Richter ein Plädoyer für das Königtum. Der König hat die Aufgabe, für Recht und Gerechtigkeit zu sorgen und dem Treiben der Gewalttäter Einhalt zu gebieten (Ps 72,4). Auch der Apostel Paulus erkennt die rechtmäßige Gewalt des Staates an. Sie widerspricht nicht dem christlichen Liebes- und Friedensgebot: „Vor den Trägern der Macht hat sich nicht die gute, sondern die böse Tat zu fürchten; willst du also ohne Furcht vor der staatlichen Gewalt leben, dann tue das Gute, sodass du ihre Anerkennung findest! Denn sie steht im Dienst Gottes für dich zum Guten. Wenn du aber das Böse tust, fürchte dich!“ (Röm 13,3f). Dass viele Staaten der Erde sich nicht an diese Maxime christlicher Ethik halten, ist eine traurige Realität. Hier weiß sich eine christlich motivierte Politik herausgefordert.

Doch mit der Eindämmung der unrechtmäßigen Gewalt (violentia) durch die rechtmäßige Gewalt (potestas) einer anerkannten Autorität ist das Problem noch nicht gelöst. Das Trachten des menschlichen Herzens bleibt böse von Jugend an. Daran hat sich nach der Flut nichts geändert (Gen 6,5; 8,21). Die Gewalt bleibt eine Realität in der Schöpfung: „Wohin ich blicke, sehe ich Gewalt und Misshandlung, erhebt sich Zwietracht und Streit“, klagt der Prophet Habakuk (1,3). Die Bosheit des menschlichen Herzens kann nicht mit Gewalt geheilt werden.

Die Eindämmung der Gewalt durch Gewalt muss von der Heilung des menschlichen Herzens durch die Gewaltlosigkeit der Liebe begleitet werden. 
In den Verheißungen der Propheten wird ein solcher Weg in Aussicht gestellt. Das Herz aus Stein muss durch ein Herz aus Fleisch ersetzt werden: „Ich entferne das Herz von Stein aus ihrer Brust und gebe ihnen ein Herz von Fleisch, damit sie meinen Satzungen folgen und meine Rechtsentscheide bewahren und sie erfüllen. Dann werden sie mir Volk sein und ich werde ihnen Gott sein“, heißt es beim Propheten Ezechiel (11,19f). Dem vom Fluch der Gottvergessenheit heimgesuchten Volk, das in der Verbannung lebt, gilt die Verheißung: „Der HERR, dein Gott, wird dein Herz und das Herz deiner Nachkommen beschneiden. Dann wirst du den HERRN, deinen Gott, mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele lieben können, damit du leben kannst“ (Dtn 30,6). 

Der christliche Glaube bekennt, dass es ein solches Herz tatsächlich gegeben hat und dass die Bosheit des menschlichen Herzens geheilt werden kann, wenn es auf das Herz Jesu schaut und sich von ihm berühren und verwandeln lässt. Nach der Erscheinung vor Maria von Magdala trat Jesus am Abend des ersten Tages der Woche in die Mitte seiner Jünger und sagte zu ihnen: „Friede sei mit euch! Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite“ (Joh 20,20). Jesus ist nicht nur der Friede, sondern er stiftet auch den Frieden, Frieden den Fernen und Frieden den Nahen (Eph 2,14-17; vgl. Jes 57,19).

Der Friede als wunderbare Gabe Gottes

Nach christlichem Verständnis ist der Friede letztlich eine Gabe Gottes. Jesus selbst ist dieser Friede. Angesichts seines bevorstehenden Heimgangs zum Vater tröstet Jesus die Jünger mit den Worten: „Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht wie die Welt ihn gibt, gebe ich ihn euch. Euer Herz beunruhige sich nicht und verzage nicht“ (Joh 14,27). Eine Gabe Gottes bedarf jedoch der Annahme, wenn sie zur Wirkung kommen soll. Die Offenheit gegenüber Gott und seinem Willen ist die Voraussetzung dafür, dass weltliche Friedensbemühungen Früchte tragen. 

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Der Autor ist emeritierter Alttestamentler der Universität Wien.

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