Ein Mensch, der die Wahrheit bezeugt, ist frei, auch wenn er sich im Gefängnis oder im Lager befindet“, so die Worte des seligen Paters Jerzy Popiełuszko. Am 19. Oktober 1984 entführen ihn zwei Beamte des Staatssicherheitsdienstes an einem Weichsel-Stausee nahe dem polnischen Włocławek. Etwa zehn Tage später zieht man dort seine Leiche aus dem Wasser. Die Nachricht davon verbreitet sich rasant, weit über die polnischen Grenzen hinaus, trotz des strengen kommunistischen Regimes.
Er sprach nicht von sich, aber ich wusste, dass sie ihm folgten“, erinnert sich die Mutter des Regimegegners, Marianna Popiełuszko. Bereits ein Jahr vor seiner Ermordung wird seine Wohnung durchsucht. Man findet Sprengstoff, Granaten und Munition bei ihm, alles selbstverständlich untergeschoben. Zur Strafe wird der damals 36-jährige Priester kurzzeitig gefangen genommen. Zehn Monate später versucht man, ihm durch Steinwürfe auf sein Auto umzubringen. Der Anschlag scheitert.
„Wenn nicht, behälst du es als Andenken"
Pater Jerzy muss geahnt haben, wie unmittelbar sein Leben gefährdet ist. Im September 1984 besucht er das letzte Mal seine Eltern. Er lässt seiner Mutter zum Flicken ein Kleid zurück. „Ich hole es bei meinem nächsten Besuch wieder ab; wenn nicht, behältst du es als Andenken an mich“, lautet die Vereinbarung. „Zum Abschied hat er uns gebeten, nicht um ihn zu weinen, sollte er sterben“, erzählt Marianna Popiełuszko in einem Interview mit polnischen Medien. Sowohl die Nachricht über seine Entführung wie auch die über seinen Tod erfahren sie und ihr Mann im Fernsehen. Weltweit gibt es heute 448 Reliquien in 61 Ländern, darunter Südkorea, Israel und die Vereinigte Arabische Emirate. 219 Straßen und Plätze tragen seinen Namen – sogar in New York und Budapest. Sein Warschauer Grab haben schon mehr als 24 Millionen Pilger besucht, so auch der deutsche Papst Benedikt XVI.

Nicht ganz fern von dessen Heimat, im bayerischen Illdorf, erinnert eine kleine, mit viel Zierwerk versehen Holzkapelle an den seligen Popiełuszko. Der Weg herauf ist steil, das Gras ein bisschen nass an dem herbstlichen Vormittag. „Wir schließen nicht ab, damit man hier immer beten kann“, erklärt Dekan Werner Dippel und drückt die Türklinke herunter. Das Innere ist übersichtlich. Ein Holzaltar, dekoriert mit Marienstatuen, Kerzen und Blumen. Mittig darüber hängt das Bild der Schwarzen Madonna Tschenstochaus, der Patronin der Kapelle. „Der jungen Generation ist der selige Jerzy überhaupt kein Begriff mehr“, erzählt Dippel. Er ist seit 2003 Pfarrer der Pfarreigemeinschaft Burgheim, zu der Illdorf gehört. „Denn die meisten, die ihn kannten, sind schon gestorben“, ergänzt er. „Man kennt vielmehr den Cousin von Popiełuszko, Pfarrer Georg Ryzewski. Er war hier von 2003 bis 2005 mein Kaplan.“
Zu Besuch bei seinem Freund
Immerhin ist es schon 44 Jahre her, dass Popiełuszko seinen Freund und damaligen Dorfpriester Stanislaus Kryzyszkowski in Illdorf besucht hat. Das beige Pfarrhaus mit den dunkelgrünen Fensterläden, in dem er untergebracht war, sieht noch fast genauso aus wie damals. Eine Woche blieb er, und zelebrierte selbstverständlich heilige Messen – in der anliegenden Dorfkirche „Sankt Johannes der Täufer“. „Deswegen war er den damaligen Bewohnern im Gedächtnis geblieben. Es hat sie schockiert, als sie dann vier Jahre später von seiner Ermordung erfahren haben“, so Dippel. Auch in dem hügeligen Dorf wurde darum damals ein gut besuchter Trauergottesdienst für ihn gehalten.
Es ist 12 Uhr, Pfarrer Dippel betet den Angelus. „Im Mai gibt es hier Marienandachten“, erzählt er. Dann zeigt er das Bild des jungen Priester Popiełuszko im Messgewand. Die schon ein wenig vergilbte Fotografie hängt an der Holzwand zur Linken, in einem handgefertigten Rahmen. „Den hat der Pfarrer Kryzyszkowski geschnitzt“, sagt Dippel. Darunter ist ein kleines Foto von Popiełuszkos Grab in Warschau zu sehen. „Einen ganz direkten Bezug zu Popiełuszko hat die Kapelle nicht. Doch sie wurde Anfang der 80er-Jahre errichtet, gerade in der Zeit zwischen seinem Besuch und seiner Hinrichtung. Deswegen hatte man beschlossen, 1986 diese Bild von ihm hier anzubringen.“ Fest steht: Die wundersamen Gebetserhörungen auf die Fürsprache des seligen Polen hin häufen sich. Eine Heiligsprechung ist darum denkbar. Und wer weiß, ob es danach noch so ruhig ist an der kleinen Kapelle in Illdorf.
Verehrt in polnischen Missionen
Die Spurensuche nach dem seligen Jerzy führt in Deutschland außerhalb des Bistums Augsburg zu den polnischen Missionen. Berlin, Hamburg, Hannover, Bielefeld, Bochum, Dortmund, Duisburg, München – über die ganze Bundesrepublik sind sie verstreut. Und organisieren oft Wallfahrten – natürlich nach Polen. Norbert Zinzius aus Bergisch Gladbach nahm kürzlich an einer teil. Mit Kaplan Tomasz Wojciechowski und dessen Gemeinde in Köln-Chorweiler machten der 80-Jährige und seine Frau im September eine Pilgerreise „auf den Spuren der heiligen und seligen Polen“.
„Ein großer Teil der Gemeinde hat polnische Wurzeln, auf unserer Fahrt wurde durchaus polnisch gesprochen“, erzählt der Rentner. Neben Besuchen bei der heiligen Schwester Faustina in Krakau, dem heiligen Papst Johannes Paul II. und dem heiligen Maximilian Kolbe machten sie einen Zwischenhalt in Warschau – am Grabe Popiełuszkos. „Wie die Polen ihre Heiligen und Seligen verehren – also, das ist wirklich ergreifend. Es ist 40 Jahre her, dass Popiełuszko ermordet wurde, und bis heute halten an seinem Grab Tag für Tag Mitglieder der Solidarność Wache. Aus ganz Polen reisen sie extra an und lösen sich ab, um ihn zu ehren. Sein Martyrium ist schon so lange her, und trotzdem machen die weiter.“ Das große, steinerne Grab sehe „großartig aus“ und sei „mit reicher Blumenpracht geschmückt“. Es hat die Form eines Kreuzes, das den Anfang eines überdimensionierten Rosenkranzes bildet, dessen 150 Perlen aus großen runden Steinen geformt sind.
Popiełuszko als Vorbild
„Sehr ergreifend“, fügt Zinzius hinzu. „Wenn die Deutschen nur zehn Prozent dieser Verehrung auch für unseren Papst Benedikt XVI. aufbringen würden, wäre ich schon froh.“ Vor der Pilgerreise hatte der Rheinländer lediglich nebenbei von Popiełuszko gehört. „Sein Mut, sich gegen das kommunistische Regime zu bekennen und Zeugnis abzulegen hat mich in Polen tief ergriffen. Das kennen wir ja heute gar nicht mehr, denn wir leben in einer Zeit des Relativismus“, sagt Zinzius. Umso mehr müsse man in den kleinen Dingen des Alltags Zeugnis ablegen. Beispielsweise im Restaurant: „Wenn ich mich da vor dem Essen segne, ist mir egal, was die Anderen denken. Denn ich glaube an Gott und danke ihm für das Essen, das er mir geschenkt hat.“
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