„,Sie griffen die Vernunft an‘, sagte Pater Brown. ,Das ist schlechte Theologie.‘“ Mit diesen Worten lässt Gilbert Keith Chesterton seinen Romanhelden einen angeblichen Priester als Hochstapler entlarven. In der wirklichen Welt formulierte Papst Benedikt XVI. in seiner berühmten Regensburger Rede aus dem Jahr 2006 wie folgt: „Nicht vernunftgemäß handeln ist dem Wesen Gottes zuwider.“ Analog gilt für uns: Nicht vernunftgemäß zu handeln oder zu glauben ist dem Wesen des Christen zuwider.
Glaube und Vernunft
Derartige Äußerungen mögen verwirrend erscheinen, gilt doch der Glaube in unserer Kultur gerade nicht als vernünftig, sondern als eine Sache des persönlichen Gefühls, zuweilen gar als Ausdruck der Unvernunft. Manch einer möchte uns sogar einreden, es sei richtig, im Glauben auf die Vernunft zu verzichten. Eine der Ursachen für diesen Irrtum liegt in der in unserer Gesellschaft vorzufindenden Gleichsetzung von Vernunft und Wissenschaft.
Nicht zuletzt in der Diskussion um die Corona-Maßnahmen war immer wieder zu hören, man solle „der Wissenschaft folgen“ und sich „an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientieren“. Wer jedoch das Wesen der Wissenschaft kennt, wird derartige Formulierungen rasch als absurd bloßstellen können. Wissenschaft ist deskriptiv, nicht präskriptiv, sie kann nur beschreiben, aber nicht vorschreiben, weder in der Corona-Debatte noch beispielsweise in der nicht enden wollenden Diskussion um die Homosexualität.
Wissenschaft beschreibt
Hier wird besonders gerne versucht, wissenschaftliche Erkenntnisse gegen die kirchliche Lehre auszuspielen. Nun müsste natürlich zunächst einmal festgehalten werden, dass die Humanwissenschaft meilenweit von einem Konsens bezüglich dieses Phänomens entfernt ist. Aber selbst, wenn es diesen Konsens gäbe, er wäre für die Theologie nicht maßgebend, da die Wissenschaft Phänomene nun einmal nur beschreiben, aber nicht bewerten kann.
Die Vernunft hingegen kann uns Christen sehr wohl auf unserem Lebensweg leiten. Bestens verdeutlicht wird dieser Umstand im Grundsatz des „fides quaerens intellectum“, des Glaubens, der nach Einsicht sucht, ein Prinzip, das auf den heiligen Augustinus zurückgeht und dann von Anselm von Canterbury in seiner klassischen Form ausgearbeitet wurde.
Warum aber sucht der Glaube nach Einsicht, warum reicht der Glaube allein nicht aus? Weil es zu unserer menschlichen Natur gehört, dass wir Inhalte oder Regeln, die wir für sinnvoll halten, bereitwilliger akzeptieren als solche, die uns unsinnig erscheinen. Wir sollten also stets versuchen, die göttliche Lehre zu verstehen, auf dass wir sie besser in unser Leben integrieren können.
Die Methode der Schlange
Es ist wichtig, sich vor Augen zu führen, dass Gott uns nichts Schlechtes will, im Gegenteil, er will, dass wir das Leben in Fülle haben. Zuweilen wird es vorkommen, dass uns ein Gebot unsinnig und somit lästig erscheint, aber in solchen Fällen müssen wir den richtigen Blickwinkel behalten.
Wir betrachten Gottes Worte und suchen anschließend nach einer Erklärung. Finden wir diese nicht, so stellen wir nicht etwa die Worte infrage, sondern suchen weiter. Gelingt es uns aber nicht, eine Weisung Gottes nachzuvollziehen, so müssen wir den Fehler bei uns suchen, nicht bei Gott.
Letzteres war die berüchtigte Methode der Schlange im Paradies. Mit diesem Vorgehen konnte sie Eva den Floh ins Ohr setzen, warum es falsch sein sollte, vom Baum der Erkenntnis zu essen. Warum auch? Aus wissenschaftlicher Sicht sprach ja nichts dagegen.
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