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Missbrauchsgutachten belegt Versagen der Erzbischöfe Saier und Zollitsch

Schockierende Enthüllungen über frühere Oberhirten von Freiburg. Erzbischof Burger distanziert sich von seinen Vorgängern.
Der fruehere Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz und ehemalige Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch hat sich j
Foto: IMAGO/Winfried Rothermel (www.imago-images.de) | Der frühere Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz und ehemalige Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch sieht sich mit schweren Vorwürfen konfrontiert und schweigt weiterhin.

Das am Dienstag vorgestellte Gutachten zu sexualisierter Gewalt im Erzbistum Freiburg legt das Versagen von Verantwortungsträgern in der Vergangenheit schonungslos offen. Die Erzbischöfe Oskar Saier und Robert Zollitsch, dieser allerdings bereits als Personalreferent unter Saier, haben getäuscht, vertuscht, die Strafverfolgungsbehörden außen vor gelassen und wider besseres Wissen kanonisches Recht nicht zur Anwendung gebracht. Das ist das erschreckende Ergebnis der AG Aktenanalyse, die von der unabhängigen Aufarbeitungskommission des Bistums eingesetzt wurde und in der vier externe Fachleuten aus Justiz und Kriminalpolizei seit 2019 etwa 1.000 Aktenstücke und Protokolle der diözesanen Leitungsrunde sichtete sowie 400 Befragungen durchführte.

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Wunden bleiben

Das Ergebnis in nüchternen Zahlen lässt den Leser der 600 Seiten bereits fassungslos zurück. Die Gutachter gehen von Taten an mehr als 540 Betroffenen aus, die von mehr als 250 beschuldigten Klerikern begangen wurden. Der Vorsitzende der Aufklärungskommission, der Theologe Magnus Striet, wies darauf hin, dass davon auszugehen sei, dass die Zahlen im Dunkelfeld noch erheblich höher seien. Das Gutachten sei nicht das Ende der Aufklärung der Missbrauchsstraftaten im Erzbistum Freiburg. Die Kommission werde vielmehr auf der Grundlage des Gutachtens dem Bistum jetzt zeitnahe Empfehlungen für den künftigen Umgang mit Aufklärung und den Betroffenen mitgeben sowie weitere Präventionsmaßnahmen zur Vermeidung künftiger Straftaten vorschlagen. Dennoch würden „Wunden bleiben, die nicht heilen“, erläuterte Striet.

Die Schilderungen des Arbeitsgruppenmitglieds und ehemaligen Richters Eugen Endress machen deutlich, dass die unzureichende Dokumentation von Meldungen über Missbrauchsfälle und der Umgang mit den Tätern System hatten. So gab es bereits unter Erzbischof Saier intensive Bestrebungen, den Zugriff der Ermittlungsbehörden auf so genannte „sensible Akten“ zu verhindern. Der damalige Generalvikar teilte seinerzeit intern mit, Personalreferent Zollitsch wolle sich um eine bessere Aufbewahrung der Akten kümmern. Die Staatsanwaltschaft habe immer weniger Interesse daran, auf kirchliche Interessen Rücksicht zu nehmen. Deshalb müssten die Akten vor einer drohenden Beschlagnahme besser versteckt werden. Wenn also in seltenen Fällen ein auffälliges oder strafbares Verhalten überhaupt Eingang in den Aktenbestand des Bistums fand, ging es offenkundig darum, den Zugriff der Staatsanwaltschaft zu verhindern. 

Die üblichen Versetzungsmodelle

Schon in der Bischofszeit von Oskar Saier habe Robert Zollitsch eine sehr starke Position im Bistum innegehabt. Saier habe, so das Gutachten, in Hinblick auf die Missbrauchsthematik eine „bewusste Ignoranz“ an den Tag gelegt. „Mach Du es, Robert“, sei ein geflügeltes Wort im Ordinariat gewesen. Im Umgang mit der Staatsanwaltschaft habe Saier ebenfalls eine Verweigerungstaktik bevorzugt. Mit der Behauptung, der Personalreferent sei immer auch der Seelsorger der Beschuldigten, habe der Erzbischof die Absicht verfolgt, die Vereinnahmung seines Personalreferenten grundsätzlich zu vermeiden.

Ansonsten ging es im Erzbistum Freiburg offenbar ebenso zu, wie es die Gutachten in den anderen Bistümern bereits an den Tag gebracht hatten. Es wurde ein durchgängiges Versetzungsmodell praktiziert: in andere Pfarreien, in andere Bistümer oder aus „gesundheitlichen Gründen“ in den Ruhestand. Ein Augenzeuge hat den Gutachtern berichtet, dass sich Erzbischof Saier sogar wegen seiner Versetzungstaktik ihm gegenüber gerühmt habe. Als sie mit dem Bischofsfahrzeug gemeinsam an einem kleinen Ort vorbeifuhren, soll Saier gesagt haben: „Dort drüben habe ich auch einen versteckelt.“

Besonders kritisch sehen die Gutachter die Rolle der Bischöfe mit der völligen Verleugnung der Vorgaben des kanonischen Rechts. Saier sei schließlich selbst Kanoniker gewesen und Zollitsch habe eine lange Erfahrung als Personalreferent gehabt. Dennoch seien die Erzbischöfe ihren Berichtspflichten nicht nachgekommen und hätten auch regelmäßig keine kirchenstrafrechtlichen Untersuchungen eingeleitet. „Auf meine Priester lasse ich nichts kommen“, sei die Prämisse des Handelns von Saier gewesen.

Leid ignoriert

Später sei auch Zollitsch den erweiterten Berichtspflichten an die Glaubenskongregation nicht nachgekommen - und das in einer Zeit, in der er selbst Verantwortung als Vorsitzender der Deutsche Bischofskonferenz getragen habe. Auch habe sein Bistum nicht reagiert, als die Bischofskonferenz im Jahre 2010 statistische Zahlen zum Missbrauch von den Bistümern angefordert habe. Insoweit sei Zollitsch seiner eigenen Aufforderung nicht nachgekommen.

Verstöße wie die seiner Vorgänger sind den Gutachtern in der Amtszeit von Erzbischof Stephan Burger nicht aufgefallen. Burger reagierte erschüttert auf die Studie. Das Versagen seiner Vorgänger Oskar Saier und Robert Zollitsch mache ihn fassungslos, sagte Burger am Dienstag in Freiburg. Es sei ein Skandal, dass das Leid der Betroffenen über Jahre völlig ignoriert worden sei.

Stattdessen hätten Zollitsch und Saier den Schutz der Institution Kirche über alles gestellt. „Hier wurde die Frohe Botschaft Jesu eindeutig pervertiert“, so Burger. Er schloss sich der Einschätzung im Bericht an, wonach Zollitsch und Saier über Jahrzehnte Kirchenrecht bewusst missachtet haben, um Täter zu schützen.

Zollitsch schweigt

Burger räumte zugleich eigene Fehler ein. So seien Auflagen für beschuldigte Priester nicht konsequent genug kontrolliert worden. Burger bat die Betroffenen um Verzeihung. Er wolle aus Fehlern lernen und Konsequenzen ziehen. Dazu sei der neue Missbrauchsbericht eine drängende Mahnung und Hilfe.

Zollitsch will sich vorerst nicht zu den Ergebnissen des Berichts über Missbrauch und Verschleierung im Erzdiozösen äußern. Die Untersuchung wurde am Dienstag veröffentlicht. „Aus Rücksicht auf die Betroffenen von sexualisierter Gewalt und aus Respekt vor einer notwendigen und vollständigen Aufarbeitung“ habe sich Zollitsch Schweigen auferlegt, teilte sein Sprecher Marco Mansdörfer am Montag mit. Zollitsch stelle seine „eigenen persönlichen und rechtlichen Belange ausdrücklich hintan“.    Mit Material von KNA 

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