Herr Weihbischof, das Erzbistum fördert den Wiederaufbau in der Ukraine. Wie hat man sich das praktisch vorzustellen?
Weihbischof Birkhofer: Einen Wiederaufbau etwa durch Trümmerfrauen, wie Europa ihn nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt hat, gibt es in dem Sinne nicht. Über einen Wiederaufbaufonds, der insgesamt mehr als zehn Millionen Euro umfasst, hat sich die Erzdiözese Freiburg entschieden, beim psychosozialen Wiederaufbau mitzuwirken. Zwei Zentren wurden finanziert: eins in Kiew und eins in Lwiw (Lemberg). Wir arbeiten eng mit der römisch-katholischen und der griechisch-katholischen Caritas zusammen. In der Westukraine liegt der Schwerpunkt auf der Gesundheitsversorgung: Rehamaßnahmen, Traumabewältigung und Wohnraum für Flüchtlinge. In der Ostukraine, wo die ländlichen Regionen praktisch abgeschnitten sind, kooperieren wir mit den Pfarreien als Ansprechpartnern. Wir unterstützen einfache Hilfsmaßnahmen: beispielsweise Wärmestuben in der Diözese Donezk. In enger Kooperation mit der Gemeinschaft Sant‘Egidio fördern wir gerade ein größeres Projekt zur Lieferung von Hilfsgütern.
Warum lohnt es sich aus Ihrer Sicht, in eine Kriegsregion zu investieren?
„Lohnt es sich, in ein Land zu investieren, solange man
nicht weiß, ob am nächsten Morgen das Haus noch
steht und nicht zerbombt ist? Und ja,
es hat Sinn! Denn es geht um Menschen in Not"
Erzbischof Burger: Diese Frage wird uns immer wieder gestellt: Lohnt es sich, in ein Land zu investieren, solange man nicht weiß, ob am nächsten Morgen das Haus noch steht und nicht zerbombt ist? Und ja, es hat Sinn! Denn es geht um Menschen in Not. Sie brauchen Hilfe und sind dankbar, in ein Caritaszentrum gehen zu können. Diese Zentren sind Anlaufstellen für Menschen in unterschiedlichen Situationen. Die Arbeit umfasst die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln, die Begleitung traumatisierter Familien und auch andere Therapiemaßnahmen. Denn viele Männer kommen verändert von der Front zurück, ihre Kinder wissen mit den Vätern manchmal nichts mehr anzufangen. Leider ist der Staat derzeit nicht in der Lage, Kriegsversehrte angemessen zu behandeln weil die Regierung alles in die Kriegsführung steckt. Für die Versehrten ist es ein großes Problem, dass sie ihr Leben eingesetzt haben – und der Staat sich nicht um sie kümmert. Die Kirche versucht also, Menschen zu helfen, die sonst kaum Hilfe finden.
Wie viele der 67 Caritas-Zentren in der Ukraine liegen derzeit im Kriegsgebiet?
Erzbischof Burger: Das hängt davon ab, wie man Kriegsgebiet definiert. Kiew ist im Moment auch Kriegsgebiet, auch Lwiw liegt häufig unter Beschuss, vor allem durch Drohnen. Im Süden und im Osten des Landes sind die Angriffe natürlich noch intensiver. Die Warn-App für Drohnenangriffe deckt das ganze Land ab. Daher würde ich die gesamte Ukraine als Kriegsgebiet verstehen.
Wie erleben Sie das ökumenische Miteinander?
Erzbischof Burger: Meinem Eindruck nach funktioniert es erfreulich gut – die russisch-orthodoxe Kirche ist natürlich außen vor. Man ist aufeinander angewiesen, und die Kooperation klappt. Eindrucksvoll ist das bei der Bestattung von Gefallenen. Die Militärseelsorger haben uns berichtet, dass die Konfession für sie dabei zweitrangig ist. Sie orientieren sich an den Bedürfnissen und Wünschen der Familien, die Tote zu beklagen haben. Es geht nicht um Rechtsfragen oder darum, welche Kirche über einer anderen steht. Es geht schlicht darum, für die Familien da zu sein.
„Der erste Weg des Evangeliums ist der Mensch.
Ich denke da vor allem an besonders vulnerable Gruppen:
Kinder, die Drohnenverletzungen erlitten
haben, und Menschen mit Behinderung"
Weihbischof Birkhofer: In dem Moment, wo jemand wirklich Hilfe braucht, richtet sich Caritas, Nächstenliebe, nicht nach der Konfession. In den Gesprächen mit den Bischöfen wird deutlich: Trotz mancher ökumenischer Probleme mit manchen orthodoxen Kirchen, zählt, wenn es um Hilfe geht, der Mensch. Da gilt, was Johannes Paul II. in seiner Antrittsenzyklika Redemptor Hominis (Erlöser der Menschen) gesagt hat: Der erste Weg des Evangeliums ist der Mensch. Ich denke da vor allem an besonders vulnerable Gruppen: Kinder, die Drohnenverletzungen erlitten haben, und Menschen mit Behinderung. Ein Bischof schrieb mir neulich: „Viele haben die Ukraine verlassen, umso wichtiger ist es, dass wir als Kirche präsent sind, um deutlich zu machen: Christus ist präsent. Unsere Pfarreien sind zu Sozialzentren geworden. Wir haben den Schatz der Sakramente. Dort, wo dieses caritative Engagement mit dem Gebet und dem Schatz der Sakramente in eins geht, siegt das Leben. Wir haben heute Priesterweihe gefeiert – nicht mit Glocken, sondern unter Sirenengeheul. Doch die Kirche lebt und setzt Zeichen der Hoffnung.“
Was hat Sie während Ihrer Ukrainereise am meisten bewegt?
Erzbischof Burger: Mich haben die Kriegsgedenkstätten sehr bewegt, etwa auf dem Majdan, dem zentralen Platz in Kiew. Ebenso ein großer Friedhof, auf dem innerhalb von drei Jahren tausend Kriegsgräber angelegt worden sind. Dort sieht man, wie eine ganze Generation ausgelöscht und einem Volk die Zukunft genommen wird – und das mit einer Radikalität und Brutalität, die wir uns in unseren Breiten gar nicht mehr vorstellen können. Die Militärkapläne erzählten mir, dass sie letztlich wortlos dastehen, wenn junge Frauen mit Kindern am Sarg stehen – und doch trägt der Glaube, dass ein Gott mit einem geht, der dem Ganzen einen Sinn vermitteln kann. Es bedeutet sehr viel, unter diesen Extremen nicht die Hoffnung zu verlieren. Diesen Eindruck nimmt man mit nach Hause.
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