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Wahrheit statt Polemik

Warum wohl nur kirchliche Akten Licht in den Nebel rund um die „Causa Wojtyła“ bringen können.
„Causa Wojtyła“
Foto: epa ansa/ Nicholas Kamm (ANSA) | Was Karol Wojtyła zu der Debatte rund um seine Person sagen würde, kann nur spekuliert werden

Die Vernunft scheint sich durchzusetzen. In Polen mehren sich die Stimmen seriöser Kirchenpublizisten, die in Richtung Bischöfe appellieren, auf den von dem Journalisten Marcin Gutowski („TVN24“) und dem holländischen Autor Ekke Overbeek („Maxima Culpa“) aufgebrachten Vorwurf, Karol Wojtyła habe während seiner Zeit an der Spitze der Erzdiözese Krakau (1964-1978) Fälle sexuellen Missbrauchs durch Priester vertuscht, mit einer Durchsicht der zur Causa vorhandenen Akten in kirchlichen Archiven durch wissenschaftliche Experten zu antworten.

So schreibt der langjährige Leiter der katholischen Nachrichtenagentur Polens (KAI), Marcin Przeciszewski, öffentlich bei „Facebook“: „Ich halte es für notwendig, die Akten der Erzdiözese Krakau über das Vorgehen von Erzbischof Karol Wojtyła gegenüber Priestern, die sich des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen schuldig gemacht haben, zu untersuchen. Die Ergebnisse dieser Untersuchung sollten als Grundlage für einen zuverlässigen, quellengestützten Bericht dienen. Wir dürfen nicht nur mit den Thesen von Gutowski und Overbeek polemisieren. Wir müssen die Sache fair und nach den methodischen Grundsätzen der Geschichtswissenschaften aufarbeiten.“ Bereits in einem YouTube-Kommentar vor wenigen Tagen hatte der 64-jährige katholische Journalist einen solchen Appell an die Hirten gerichtet. 

Sie kamen zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen

Ein solches Vorgehen scheint nicht nur sinnvoll mit Blick auf einen Kernsatz des Evangeliums („Die Wahrheit wird Euch frei machen“ – Johannes 8,32), sondern auch mit Blick auf Recherchen polnischer Journalisten aus dem Jahr 2022, an die in der Titelgeschichte der aktuellen Ausgabe einer der renommiertesten Kirchenzeitschriften Polens „Tygodnik Powszechny“ erinnert wird und auf die sich auch Przeciszewski in einem längeren aktuellen KAI-Beitrag bezieht.

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Demnach untersuchten quasi zeitgleich mit Ekke Overbeek die polnischen Journalisten Tomasz Krzyżak und Piotr Litka im Institut des Nationalen Gedenkens (IPN) die Akten von priesterlichen Missbrauchstätern der Diözese Krakau, die in den Zeitraum der Leitung von Karol Wojtyła fallen und kamen bei den Missbrauchs-Fällen der Priester Józef Loranc und Eugeniusz Surgent zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen als der Holländer. Die Ergebnisse der journalistischen Recherche der beiden Polen waren bereits im vergangenen Herbst in der Zeitung „Rzeczpospolita“ zu lesen, und  Marcin Przeciszewski schreibt dazu: „Obwohl sie mit denselben Dokumenten gearbeitet haben, zeigt ihre Arbeit, dass Kardinal Wojtyła in beiden Fällen das Verhalten der Geistlichen nicht ,vertuscht‘ hat und dass er im Einklang mit den damals geltenden Kanones gehandelt hat, ohne die Tatsache des Verbrechens zu verharmlosen.“

Loranc wurden Sexualdelikte gegen Mädchen im Alter von sechs bis elf Jahren an einer Dorfschule in Jeleśnia zur Last gelegt. „Der Fall ging sowohl an die Polizei als auch an die Kirchenoberen, einschließlich des Metropoliten selbst. (…) Loranc verließ bald darauf Jeleśnia und wurde vom Metropoliten von Krakau suspendiert, das heißt mit einem Verbot der Ausübung priesterlicher Funktionen belegt.“ In einem Brief an Loranc schrieb Wojtyła: „Das Unterlassen einer Bestrafung durch das kirchliche Gericht macht weder das Verbrechen ungültig noch tilgt es die Schuld. Jedes Verbrechen muss bestraft werden. Wenn also in Ihrem Fall die Strafe nicht vollstreckt wurde, so geschah dies aufgrund besonderer Umstände [...]. Der besondere Umstand, der die Richter des Tribunals veranlasste, von einer Bestrafung abzusehen, war das Urteil des staatlichen Tribunals und damit die Bestrafung des Priesters durch die weltliche Autorität“.

Papst Franziskus macht es sich zu leicht

Auch beim Fall des Priesters Eugeniusz Surgent, der 1973 mit Sexualstraftaten gegen sechs Jungen auffällig wurde, handelte Wojtyła laut Tomasz Krzyżak und Piotr Litka korrekt. Surgent, der auch für den Geheimdienst arbeitete, landete im Gefängnis. Overbeeks Theorie, dass Wojtyła schon früher von Surgents Störung gewusst habe, wird vom polnischen Historiker Marek Lasota als „nicht gerechtfertigt“ angesehen. Zum Fall des Priesters Kazimierz Lenart, der sechsmal versetzt wurde, schreibt der KAI-Chef nichts. Zum Fall des Priesters Bolesław Saduś, Referent für den Religionsunterricht in der Erzdiözese Krakau, der sich Sexualdelikten gegenüber Jungen zu verantworten hatte und von der polnischen Geheimpolizei angeworben wurde, meint Przeciszewski, dies sei „ein Thema, das sicherlich weitere Archivrecherchen“ erfordere. Unbedingt! Zumal Saduś ein Bekannter Wojtyłas war, für dessen Versetzung nach Österreich sich Wojtyła persönlich eingesetzt haben soll.

Insofern macht es sich Papst Franziskus, der sich kurz vor seinem zehnjährigen Dienstjubiläum unlängst auch zu den Vorwürfen geäußert hat, wohl etwas zu leicht, wenn er dazu sagt: „Ich kenne den Fall nicht, aber es war das Übliche.“ So wie auch sein Statement „Damals hat man alles vertuscht“ sehr pauschal, wenn nicht sogar gefährlich plump ist.

Was Karol Wojtyła zu der Debatte rund um seine Person sagen würde, kann nur spekuliert werden. Seine ersten Worte als Papst lauteten jedenfalls: „Habt keine Angst! Öffnet, ja reißt die Tore weit auf für Christus!“ An diesem Anspruch darf man ihn und die Kirche in Krakau messen. Gerade jetzt.

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