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Ein Heiliger mit Fehlern

Warum eine „Gewissenserforschung über Johannes Paul II.“ der Kirche und seiner Verehrung guttun würde. Ein Kommentar.
Johannes Paul II. lernte im Laufe seiner Karriere dazu
Foto: cns | Johannes Paul II. lernte also im Laufe seiner Karriere dazu und reformierte das „System Kirche“. Die unterlassene Hilfe für Missbrauchsopfer entschuldigt das aber nicht.

Er war ein Mann mit vielen Gaben und vielseitigen Interessen, so vielseitig, dass man staunen kann, wie unterschiedlich die Gründe für Menschen sind, dass sie Johannes Paul II. alias Karol Wojtyła (1920-2005) bis heute verehren. Für manche war und ist er der Missionar der „göttlichen Barmherzigkeit“, für andere der Motor des weltweiten religiösen Dialogs; sein modernes, weltoffenes philosophisches Denken wird genauso bewundert wie sein furchtloser, patriotisch gefärbter Einsatz gegen den Kommunismus. Dazu kommt auch: vielen (in Westeuropa) war er zu konservativ, anderen (etwa Traditionalisten oder vernagelten Nationalisten) zu liberal. An seiner moralischen Integrität zweifelte jedoch niemand, weshalb die schnelle Heiligsprechung im Jahr 2014 schon fast wie eine Selbstverständlichkeit über die kirchliche und mediale Bühne ging. Wenn nicht der „Santo subito“-Papst – wer dann? 

Von Barmherzigkeit für die Täter geleitet

Die aktuellen publizistischen Enthüllungen zum Thema sexueller Missbrauch durch Priester seiner Diözese Krakau haben nun eine weniger schöne Facette der Biographie Wojtylas ans Tageslicht gebracht. „Karol Wojtyłas Haltung als Metropolit von Krakau gegenüber Fällen von sexuellem Missbrauch, auch an Minderjährigen“, wich, wie der Chefredakteur der renommierten katholischen Zeitschrift „Więź“ in Warschau, Zbigniew Nosowski, die neuen Erkenntnisse richtig zusammenfasst, „nicht von den damaligen kirchlichen Standards“ ab. „Er behandelte Fälle von Pädophilie vor allem als Imageproblem der Kirche, er ließ sich von der Barmherzigkeit für die Täter leiten, während er die Geschädigten vernachlässigte, er sah sündige Priester, während er das Leid ihrer Opfer übersah. Der Krakauer Kardinal verhielt sich wie andere vom kirchlichen System geprägte Hierarchen.“

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Das ist wahr, und es tut weh. Es ist, um es mit einer Metapher aus der Popmusik zu sagen, wie ein „schwarzer Fleck auf der Sonne“ (The Police), über dessen Größe es sich nachzudenken lohnt – vielleicht in Form einer „Gewissenserforschung – auch über Karol Wojtyła“, wie Nosowski vorschlägt. Denn: „Die Heiligkeit von Johannes Paul II. anzuerkennen, bedeutet nicht, seine Person zu idealisieren oder seine menschlichen Grenzen zu übergehen.“ 

In diese Richtung gehen auch die aktuellen Äußerungen des Vorsitzenden der Polnischen Bischofskonferenzen, Erzbischof Stanisław Gądecki, der in seiner heutigen Stellungnahme hervorhebt,  dass die „Verteidigung der Heiligkeit und Größe von Johannes Paul II. nicht bedeutet, dass er keine Fehler gemacht haben kann. Hirte der Kirche zu sein in einer Zeit der Teilung Europas in den Westen und den Sowjetblock bedeutete, sich Herausforderungen zu stellen, die nicht einfach waren. Man sollte sich auch bewusst sein, dass damals, nicht nur in Polen, die Gesetze anders waren als heute, es gab ein anderes soziales Bewusstsein und gewohnte Wege, Probleme zu lösen.“

Johannes Paul II. hob Verschleierungspolitik auf

Das stimmt. Vergessen werden darf dabei aber auch nicht, dass es in der Weltkirche üblich war, kriminelle Taten von Klerikern unter dem Ausschluss der Öffentlichkeit zu ahnden. Derjenige, der diese oft auch zeitbedingte Verschleierungspolitik aufhob, war (zusammen mit Kardinal Joseph Ratzinger) Johannes Paul II., was von denjenigen, die nun sehr erregt auf ihn eindreschen – wozu überraschender und dankenswerter Weise nicht die sonst sehr kirchenkritischen polnischen Medienikonen Adam Michnik und Tomasz Lis zählen, die nun ihre persönliche Verehrung Johannes Pauls II. hervorheben – nicht übersehen werden sollte. Johannes Paul II. lernte also im Laufe seiner Karriere dazu und reformierte das „System Kirche“ in diesem Punkt, wie auch in anderen Bereichen. Was die unterlassene Hilfe für Missbrauchsopfer allerdings nicht entschuldigt.

Auch die – nicht nur in kirchlichen Kreisen – nun oft zu hörende Rechtfertigung, Karol Wojtyła sei wie jeder Mensch „ein Kind seiner Zeit“ gewesen, ist, wie Nosowski zurecht anmerkt, mit Vorsicht zu genießen. Denn erwartet man nicht gerade von kirchlichen Autoritäten, dass sie „Diener des Evangeliums sind“ und eben nicht „Kinder ihrer Zeit“, sprich des von vielen wertkonservativen Katholiken so gern gegeißelten „Zeitgeistes“?

Was ist nun für die kirchlich Verantwortlichen zu tun? Denn: dass sie etwas tun müssen, steht außer Frage. Zumal in Polen die politischen Vereinnahmungsversuche durch die nationalkonservative Regierung bereits in vollem Gang sind, was dem Andenken Karol Wojtyłas – vorsichtig formuliert – nicht gerade hilft.  

Publizist schlägt vor, unabhängige Kommission einzusetzen

Nosowski, der im Laufe seiner langen publizistischen Karriere viel Positives über Johannes Paul II. geschrieben hat, schlägt Folgendes vor - nämlich: „Die Antwort der Kirche auf die wiederholten Veröffentlichungen unabhängiger Journalisten sollte nicht in Verleugnung oder Rechtfertigungsversuchen bestehen, sondern: sich an die Brust zu schlagen; die kurialen Archive, auch die geheimen, zu öffnen; der Einsetzung einer unabhängigen Kommission zuzustimmen, die eine solide Analyse der menschlichen, theologischen und systemischen Bedingungen des Verfahrens der Deckung von Tätern durch Vorgesetzte vornimmt; die begangene Schuld zu beschreiben und einzugestehen; Konsequenzen gegen die Verantwortlichen für das größte Übel zu ziehen; das Aufspüren der vergessenen Täter; eine demütige Entschuldigung bei den Opfern; eine angemessene Wiedergutmachung; und eine gründliche Reform des kirchlichen Systems, einschließlich der Vervollständigung eines Präventions- und Erziehungssystems - damit die Gemeinschaft des Glaubens wirklich der sicherste Ort für Kinder und Jugendliche wird.“

Manches davon ist in Polen schon verwirklicht worden. Kein wahrer und intellektuell ernstzunehmender Freund der Kirche, des Evangeliums und Johannes Pauls II. wird diesen Anregungen widersprechen können. Denjenigen aber, die aus dem fundamentalistischen Bauch der Kirche heraus meinen, die aktuellen Berichte zum Anlass nehmen zu können, den „bekannten Mechanismus der Leugnung“ (Arkadiusz Stempin) anzuwenden, weil sie die journalistischen Berichte „im Sinne eines Kulturkampfes als Kampf zwischen der Linken und der christlichen Zivilisation einordnen“, muss entschieden widersprochen werden. Frei – ohne axiologischen Karneval. Furchtlos – im Geiste von Johannes Paul II., damit der „schwarze Fleck vor der Sonne“ verschwindet und die „Gewissenserforschung“ über ihn zu einem guten Ziel führt.

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Stefan Meetschen

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