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Spanien: Staatliche Kommission untersucht kirchliche Missbrauchsfälle

In Spanien soll eine unabhängige Kommission sexuellen Missbrauch in kirchlichen Einrichtungen untersuchen. Die Bischöfe zeigen sich gegenüber einer aktiven Beteiligung vorsichtig positiv.
Untersuchung der Missbrauchsfälle in der spanischen katholischen Kirche
Foto: Isabel Infantes (EUROPA PRESS) | Kardinal Juan Jose Omella, Vorsitzender der Bischofskonferenz, kündigt auf einer Pressekonferenz in Madrid eine unabhängige Prüfung der Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs in der spanischen katholischen Kirche an.

Das spanische Parlament hat mit großer Mehrheit die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in der Kirche unter der Leitung des Bürgerbeauftragten (Ombudsmann) beschlossen. Der Entschließungsantrag stammte von der sozialistischen Partei (PSOE) – der Regierungs-Mehrheitspartei – und den baskischen Nationalisten (PNV). 

Auch die Konservativen beteiligen sich

Da die beiden Parteien zusammen lediglich über 126 Abgeordnete verfügen – die Mehrheit im aus 349 Sitzen zusammengesetzten spanischen Parlament liegt bei 175 – mussten sie zunächst die Unterstützung anderer Parteien suchen. Es bildete sich ein Zusammenschluss aus der kommunistischen Partei „Podemos“ (34 Sitze), die mit der PSOE die Regierungskoalition stellt, den katalanischen Separatisten ERC (13 Sitze) und der Nachfolgepartei der Terrororganisation ETA namens Bildu (5 Sitze). Der Block Podemos/ERC/Bildu plädierte für einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss, der Missbrauchsopfer ins Parlament einladen würde. 

Die Sozialisten sprachen sich allerdings dagegen, eine „politische“ Kommission zu schaffen. Podemos/ERC/Bildu hatte gar von der „Wahrheitskommission“ gesprochen, woraufhin die ehemalige Vizepräsidentin Carmen Calvo (PSOE) antwortete: „Die Wahrheit wird das sein, was die Gerichte von Fall zu Fall entscheiden“.

Die konservative „Partido Popular“ (PP) hatte ihrerseits zunächst angekündigt, sie würde nur für eine Untersuchungskommission stimmen, in der Missbrauchsfälle in der gesamten Gesellschaft und nicht nur in der Kirche untersucht würden. Den Meinungsumschwung, um die Bildung des Untersuchungsausschusses zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs nur in der katholischen Kirche zu unterstützen, erklärt José Ramón Navarro Pareja in der Zeitung „ABC“ damit, dass sich die PSOE gegen das Ansinnen des ultralinken Blocks durchsetzte: Die Kommission werde einerseits außerhalb des Parlaments unter dem Vorsitz des Ombudsmann Ángel Gabilondo (PSOE) eingerichtet.

Bischöfe anfangs dagegen

Andererseits sollen nicht einzelne Missbrauchsopfer, sondern Vertreter von Betroffenenvereinen aussagen. Sie werden „nicht über einzelne Fälle berichten, sondern über Präventions-Maßnahmen sprechen“, sobald der Bericht vorliegt. Die PP-Abgeordnete Macarena Montesinos begründete ihre Unterstützung für den Entschließungsantrag der PSOE, weil dieser – nachdem der PP-Änderungsantrag zur Missbrauchsuntersuchung in allen Bereichen der Gesellschaft abgelehnt worden war – „der beste“ sei „im Hinblick auf die Wiedergutmachung für die Opfer“. 

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Lediglich die rechtskonservative Partei VOX stimmte dagegen, sodass der Antrag mit großer Mehrheit angenommen wurde: Von den 339 abgegebenen Stimmen stimmten 286 mit „Ja“ und 51 mit „Nein“ bei zwei Enthaltungen.

Ende Februar, als die spanische Bischofskonferenz eine unabhängigen Anwaltskanzlei mit der Erstellung eines Gutachtens zum sexuellen Missbrauch in kirchlichen Einrichtungen beauftragte, hieß es, dass sich die meisten Mitglieder der Bischofskonferenz dagegen ausgesprochen hätten, in irgendeiner Parlamentskommission mitzuarbeiten. Die Situation hat sich insofern geändert, als nicht das Parlament, sondern die unabhängige Stelle des Ombudsmanns die Schaffung einer Untersuchungskommission übernommen hat. 

Kirche bekräftigt "Geist der Zusammenarbeit"

Auf der offiziellen Website des Ombudsmanns heißt es bereits: „Die Kommission wird einen Bericht mit Empfehlungen und Schlussfolgerungen verfassen. Der Bericht wird dem spanischen Parlament und der spanischen Regierung vorgelegt, damit diese in allen Bereichen die von ihnen für notwendig erachteten Maßnahmen ergreifen können.“

Nach der letzten Sitzung der Ständigen Kommission der spanischen Bischofskonferenz bekräftigen die Bischöfe laut José Beltrán in „La Razón“ ihren „Geist der Zusammenarbeit“ auf der Grundlage „des geltenden Rechtssystems“. In der Frage, ob die Kirche aktiv an der Untersuchungskommission teilnehmen wird, äußerte sich der Sprecher der Bischofskonferenz, Bischof Luis Argüello, vorsichtig, ehe der den Bischöfen unterbreitete Vorschlag „im Detail“ bekannt sei. Argüello erklärte aber, dass zu den der öffentlichen Kommission zugewiesenen Funktionen nicht eine Überwachung der Kirche gehöre: „Die Kirche ist weder eine öffentliche Gewalt noch eine öffentliche Verwaltung“. Der Sprecher begrüßte allerdings, dass letztlich der Entschließungsantrag von PSOE und PNV und nicht der Vorschlag von Podemos angenommen worden sei, weil letzterer zu einer „parteiischen Handhabung“ in einer schweren Angelegenheit geführt hätte.

In einem Interview mit dem der spanischen Bischofskonferenz gehörenden Rundfunk „COPE“ wurde Bischof Argüello konkreter: Die Kirche könne mit der Untersuchungskommission des Ombudsmans zusammenarbeiten, auch „damit die staatlichen Behörden von dem Weg lernen können, den sie seit Jahren beschreitet.“ Denn, so Argüello weiter, die Kirche legt seit 2002 besonderen Wert auf die Untersuchung von Missbrauchsfällen. In dem Zusammenhang gab der Sprecher der Bischofskonferenz die Zahlen bekannt, die bislang von den 60 Diözesanstellen für die Betreuung der Opfer und den 121 Stellen von Ordensgemeinschaften zusammengetragen wurden: 506 aus den letzten 80 Jahren, wobei es sich um vorläufige Zahlen handelt. Endgültige Zahlen werde erst die bei der unabhängigen Anwaltskanzlei in Auftrag gegebene Studie bringen.

Fälle nicht zahlreich, aber "sehr ernst"

„Die in kirchlichen Einrichtungen aufgetretenen Fälle sind zwar nicht zahlreich, aber sie sind sehr ernst“, sagte Argüello im Interview: „Wenn die Kirche eine moralische Autorität haben will, muss sie zeigen, dass sie ein Ort ist, an dem die Person respektiert wird, an dem wir wissen, dass wir Sünder sind und dass die Erlösung durch Jesus selbst kommt.“ Der Vorsitzende der spanischen Bischofskonferenz, Kardinal Juan José Omella, sagte im Rahmen eines Kongresses über „Kirche und demokratische Gesellschaft“: „Wir sind uns im Klaren darüber, dass es in erster Linie um die Opfer und um völlige Transparenz geht“. Auch wenn es „nur einen Fall gibt, muss er untersucht werden, aber nicht nur in der Kirche, sondern in der gesamten Gesellschaft“.

Zum Vergleich: Nach einer vom spanischen Innenministerium in Auftrag gegebene Studie, die in den Jahren 2018-2019 von der Universität Barcelona erstellt wurde, werden jährlich in Spanien schätzungsweise 100.000 Akte sexueller Gewalt gegen Minderjährige begangen. Die Missbrauchsfälle in kirchlichen Einrichtungen machen lediglich 0,2 Prozent der gesamten Zahlen aus. 

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