Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Sánchez auf Separatisten angewiesen

Spanien im Aufschrei gegen das geplante Amnestiegesetz

Pedro Sánchez braucht die Stimmen der katalanischen und baskischen Separatisten, um wiedergewählt zu werden. Dafür ist er bereit, Zugeständnissen zu machen – bis hin zu einer Amnestie. Immer mehr Menschen und Berufsvereinigungen protestieren jedoch dagegen.
Proteste gegen Amnestiegesetz in Spanien
Foto: IMAGO/Europa Press/ABACA (www.imago-images.de) | Tausende Menschen versammeln sich vor den Büros der sozialistischen Partei PSOE, um ihren Unmut über die Abkommen zum Ausdruck zu bringen, die Sánchez mit separatistischen Parteien aus Katalonien und dem Baskenland ...

Die anhaltende Protestwelle in Spanien zeigt kein Nachlassen. Selbst Bundeskanzler Olaf Scholz erfuhr es am eigenen Leib: Nach einem Treffen mit dem geschäftsführenden spanischen Premierminister Pedro Sánchez am Freitagabend wurde er stundenlang im Gebäude festgehalten, da Demonstranten die Ausgänge blockierten. Dies zwang Sánchez dazu, einen Folgetermin abzusagen. 

Der Sturm der Empörung, der vergangene Woche in Madrid entstand, hat mittlerweile auf über zwanzig Städte übergegriffen. Tausende Menschen versammeln sich vor den Büros der sozialistischen Partei PSOE, um ihren Unmut über die Abkommen zum Ausdruck zu bringen, die Sánchez mit separatistischen Parteien aus Katalonien und dem Baskenland geschlossen hat.

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Diese Abkommen zielen darauf ab, ihre Abgeordneten im spanischen Parlament dazu zu bewegen, für Sánchez als neuen Premierminister zu votieren. Zu diesen mehr oder weniger spontanen Protestkundgebungen, die vor allem über die sozialen Netzwerke bekannt gemacht werden, kommen noch die „klassischen“ Demonstrationen, die von den konservativen politischen Parteien insbesondere in Madrid und Barcelona, aber auch in anderen Städten wie Valencia unterstützt oder mitveranstaltet werden.

Ehemaliger katalanischer Ministerpräsident Puigdemont im Fokus der Kontroverse

Ein zentraler Punkt des Protests richtet sich gegen ein vorgeschlagenes „Amnestie-Gesetz“, das Politikern, die nach den Ereignissen des Oktober 2017 in Katalonien rechtskräftig verurteilt wurden oder sich der Justiz entziehen, Begnadigungen zusichern würde. Insbesondere der ehemalige katalanische Ministerpräsident Carles Puigdemont steht im Fokus dieser Kontroverse.

Die politische Dynamik zeigt sich in der Zersplitterung des Parlaments nach den Wahlen vom 23. Juli. Obwohl die konservative Partido Popular (PP) mit 137 Sitzen siegreich war, blieb sie mit den 33 Sitzen der rechtskonservativen Partei Vox weit von der erforderlichen absoluten Mehrheit (176) entfernt. Infolgedessen scheiterte der von König Felipe VI. beauftragte PP-Vertreter an der Regierungsbildung.

Das führte dazu, dass der geschäftsführende Premierminister und Generalsekretär der PSOE, Pedro Sánchez, mit der Regierungsbildung betraut wurde. Seine Partei konnte bei den Wahlen nur 121 Sitze erringen und liegt zusammen mit den 31 Sitzen der ultralinken „Sumar“-Bewegung noch weiter von der Parlamentsmehrheit entfernt. Sánchez sah sich dazu genötigt, mit den im Parlament vertretenen separatistischen Parteien zu verhandeln. Dazu gehört auch ein etwaiges Amnestiegesetz. 

Massive Ablehnung bei verschiedenen Berufsvereinigungen

Die geplante Amnestie stößt auf massive Ablehnung bei verschiedenen Berufsvereinigungen wie Richtern, Staatsanwälten, Anwälten, Beamten der öffentlichen Verwaltung, Unternehmern und ehemaligen Diplomaten. Sogar der „Consejo General del Poder Judicial“, das oberste Aufsichtsgremium der spanischen Gerichtsbarkeit, äußerte scharfe Bedenken, ebenso wie der EU-Justizkommissar Didier Reynders in einem Schreiben an die spanische Regierung. Laut einer Umfrage im September lehnen rund 70 Prozent der Befragten die Amnestie ab, darunter 59 Prozent der Anhänger der Sozialisten.

Das Herz des Protests liegt in der Bedeutung der „Amnestie“ im Gegensatz zur „Begnadigung“. Während Letztere lediglich eine Straferlassung bedeutet, würde die Amnestie die Rechtmäßigkeit der Handlungen von etwa verurteilten oder angeklagten 1.400 Begünstigten bekräftigen und damit indirekt den Gerichten vorwerfen, „lawfare“ betrieben haben, also ihre Autorität missbraucht hätten. 

Javier Tajadura, Professor für Verfassungsrecht an der Universität des Baskenlandes, betrachtet den Versuch, „die richterliche Unabhängigkeit durch ‚parlamentarische Untersuchungsausschüsse‘ zu untergraben, die über mögliche ‚Verantwortungsklagen‘ wegen ‚Rechtsbeugung oder Verrechtlichung der Politik‘ entscheiden sollen, als äußerst bedenklich“. Er betont, dass die vorgeschlagene Amnestie nicht nur „offensichtlich verfassungswidrig“ sei, sondern auch den Rechtsbegriff degradiere. Das geplante Gesetz ziele darauf ab, „bestimmte Personen vor dem Gesetz zu schützen, als Gegenleistung dafür, dass Puigdemonts Partei für die Amtseinführung von Sánchez stimmt“. Tajadura folgert, dass dieses willkürliche Gesetz „grundlegende Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit verletzt“. 

Die Regierung will die Justiz kontrollieren

Die Bemühungen der Regierung, die Justiz zu kontrollieren, geht Hand in Hand mit Angriffen auf die Richterschaft. Dies zeigt sich beispielsweise in der Unterstellung des mit dem Kanzleramtsminister vergleichbaren „Präsidialministers“ Félix Bolaños auf seinem X-Account: „Ich glaube nicht, dass die Richter einen schmutzigen Krieg geführt haben, aber es wurden falsche Beweise gegen politische Rivalen konstruiert.“

Über die politische Dimension hinaus wirft die aktuelle Lage auch ethische Fragen auf. Der renommierte Journalist Daniel Arasa hat auf der Plattform „Religión en Libertad“ (Religion in Freiheit) einige Beispiele für den moralischen Verfall in der Politik genannt. Die Regierung hatte in ihrem Wahlprogramm und bei unzähligen Gelegenheiten betont, dass bestimmte Maßnahmen, wie beispielsweise die Amnestie, verfassungswidrig seien. Doch plötzlich werden diese Maßnahmen als verfassungskonform dargestellt, obwohl der Verfassungstext unverändert geblieben sei. Jahrelang wurde behauptet, dass bestimmte Politiker außerhalb des Gesetzes stünden und vor Gericht gestellt werden müssten. Nun gelten sie, ohne rechtliche Veränderungen, als gleichwertige Gesprächspartner.

In diesem Zusammenhang betont Arasa: „Die Wahrheit ist aus dem Blickfeld verschwunden. Was heute als schlecht angesehen wird, kann morgen als großartig gelten und umgekehrt. Ansichten, die gestern geäußert wurden, können heute ohne Zögern komplett umgedreht und mit der gleichen Festigkeit behauptet werden.“ Das hieße früher „Situationsmoral“ und unterstreiche, „wie stark die Menschen in den ethischen Relativismus verstrickt sind. Es scheint keine absolute Wahrheit zu geben, sondern vielmehr das, was in einem bestimmten Moment am besten passt, und dies kann sich sogar mehrmals am selben Tag ändern.“

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