Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Nach dem Hamas-Terror

Notker Wolf: „Grausamkeit gab es zu allen Zeiten“

Hat das Böse Konjunktur? Der emeritierte Benediktinerabt und "Tagespost"-Podcaster rät davon ab, sich dem Negativen zu sehr auszusetzen.
Kibbutz Be'eri Massaker
Foto: IMAGO/Middle East Images/ABACA (www.imago-images.de) | Zeugnis des Massakers: Einschusslöcher und Blutspuren auf einem Kinderbett im Kibbuz Be'eri, wo allein 120 Menschen getötet wurden.

Abt Notker, Sie haben vor einigen Jahren ein Buch über „das Böse“ geschrieben. Waren Sie über die sadistischen Grausamkeiten überrascht, die Hamas-Terroristen bei ihrem Angriff am 07. Oktober mit Videokameras selbst dokumentiert haben?

Nein. Diese Brutalität kennen wir ja aus der Geschichte, nicht zuletzt von den islamischen Eroberungszügen aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit. Die Hamas glaubt eben zutiefst an den Sieg des Islam in der ganzen Welt, der notfalls mit Waffengewalt errungen werden muss. Deshalb auch die Ankündigung, Israel von der Landkarte zu tilgen, und jeden Juden zu töten. Brutal! Und dazu schafft die israelische Siedlungspolitik auch eine unglaubliche Wut bei den Palästinensern. Ein Teil des Konflikts liegt also auch einfach am „Territorialtrieb“ des Menschen.

Krieg entspricht der Natur des Menschen?

Das Territorialverhalten hat der Mensch von den Tieren mitbekommen. Also ja, leider gehört der Krieg zur Normalität, und Grausamkeit gab es auch zu allen Zeiten. Im Dreißigjährigen Krieg hat Deutschland ein Drittel seiner Bevölkerung verloren. Wir leben eben in einer gefallenen Welt, damit müssen wir uns einfach abfinden. Das ist ja die Ursünde: Sein zu wollen wie Gott, Herr über das Leben. Und damit kann ich dann auch den Anderen umbringen. So kommt auch in der Bibel gleich nach dem Sündenfall die Geschichte von Kain und Abel, der erste Mord.

Welche Rolle spielt der explizit religiöse Kontext im Konflikt um das „Heilige Land“?

Aus jüdischer Sicht ist Israel natürlich das „gottgegebene Land“ für alle Zeiten. Das kommt in den Psalmen und im ganzen Alten Testament immer wieder. Und die Palästinenser empfinden es eben bis heute als Unrecht, dass sich die Juden dort wieder angesiedelt haben; sie wollen das ganze Land haben. Diese Zusage Gottes an die Juden seit Abrahams Zeiten und die gefühlte Verpflichtung unter Muslimen, alles zu islamisieren, ist ein nicht auflösbares Dilemma. Da sage ich dann auch: Gott, richte du, was wir Menschen nicht zustande bringen. Oder mit Reinhold Schneider: Nur den Betern kann es noch gelingen. Und was das Verhältnis von Juden und Christen betrifft, so frage ich mich schon, ob diese Trennung der Heidenchristen von den Judenchristen, die man in der Apostelgeschichte spüren kann, noch bis heute nachwirkt. Die ganze Kirchengeschichte trägt auch einen Akzent des Antisemitismus. Heute sind wir zum Glück im friedlichen Dialog mit dem Judentum, aber der Kernkonflikt, ob Jesus der Messias ist oder nicht, bleibt. Man muss sich da eben einfach an den Werten der Aufklärung orientieren, und sagen, okay, du hast deine Überzeugung, und ich habe meine.

In Israel gab es zur Zeit Jesu zwar immer wieder Aufstände und durchaus politische Spannung, letztlich herrschte aber doch der römische Frieden, die „Pax Romana“. Welche Weisung gibt Jesus eigentlich zum rechten Leben in Kriegszeiten? Sollen Christen versuchen sich aus allem herauszuhalten und nur nach dem Himmelreich streben?

Nein, die Verantwortung für die irdischen Dinge können wir nicht von uns schieben. Im Krieg bin ich auch mitverantwortlich, zumindest für mein Volk, für die Verteidigung der Frauen und Kinder. Was wir eben nicht tun dürfen, ist, dem Territorialstreben nachzugeben, und auf Eroberung auszugehen. Im Hintergrund muss immer die Vision der Aussöhnung stehen. Jesus war nicht auf einen irdischen Sieg aus, aber das heißt auch nicht, dass er nur friedlich gewesen wäre. Die Händler hat er mit zusammengebundenen Stricken aus dem Tempel getrieben. Und wenn er sagt: „Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin!“, dann bedeutet das jedenfalls, dass er mit Gewalt rechnet.

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Nun leben wir in Deutschland ja noch im Frieden. Wäre es falsch, von der Grausamkeit in der Welt nichts wissen zu wollen, und einfach nicht hinzusehen?

Ich muss mir schon im Klaren sein, dass viel Böses in der Welt geschieht, aber ich muss nicht immer hinkucken. Der heilige Benedikt gibt den Mönchen den Rat, am Abend noch aus der Heiligen Schrift zu lesen, aber nicht die Bücher der Könige, da gehe es zu schlimm zu. Er hat gemeint, bei den ganzen Kriegen und Hurereien schlafen die Mönche nicht mehr gut. Man muss sich also schon die Frage stellen, wie viel Negatives, das uns ja instinktiv immer besonders interessiert, man sich zumuten will. Die Faszination für das Böse ist eine geheimnisvolle Tendenz, die aber eben nicht zum Guten führt.

Um nicht zu negativ zu enden – was macht Ihnen Hoffnung?

Im Benediktinerkloster in Tabgha am See Genezareth hatten wir immer wieder im Sommer Ferienkurse für jüdische und arabische Kinder. Ich habe erlebt, wie die Mütter, die auch dabei waren, sich gegenseitig erzählten, wie viel Leid sie schon erfahren haben. Man kann durch geteiltes Leid auch zusammenwachsen, wenn man es zusammen aufarbeitet. Aber es ist natürlich eine „Hoffnung wider alle Hoffnung“. Einer Sache bin ich sicher: Gott trägt unsere Welt, und in ihm sind wir letztlich geborgen. Er hat uns auch in Jesus Christus gezeigt, wie es in dieser Welt läuft. Nur ist eben nicht das Kreuz der Endpunkt, sondern die Auferstehung. Und darauf freue ich mich.

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