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Nein, Christen sollten kein rechtswidriges Kirchenasyl gewähren

Die gut gemeinte Praxis des Kirchenasyls wird von Kräften vereinnahmt, die womöglich mit Jesus und dem Rechtsstaat nicht viel zu tun haben. Zudem ist sie kein effizientes Hilfsmittel.
Flüchtlinge in einer Kirche 2014
Foto: imago stock&people (imago stock&people) | Flüchtlinge übernachten 2014 in einer Berliner Kirche.

Werke der Barmherzigkeit sind Christenpflicht. Das lehrt das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Auch müssen sich Christen in politische Fragen einmischen, wenn gegen Grundwerte des Christlichen verstoßen oder die Religion bekämpft wird. Die Institution des Kirchenasyls ist ein legitimes Instrument der Universalkirche, vor allem in Unrechtsstaaten christliche Moral über staatliches Gesetz zu stellen und dort Verfolgten Auswege anzubieten. Begründet ist diese Parallelstruktur in der Heiligkeit der Orte und in der Botschaft Jesu, die für Christen mehr zählt als politischer Zwang. In Deutschland wird das Kirchenasyl seit den 80er-Jahren für Flüchtlinge eingesetzt, denen Abschiebung droht. Mehrere Hundert Fälle sind jährlich bekannt, vor allem nach 2015. Erzielt werden öffentliche Aufmerksamkeit, ein Aufschub der Verfahren, oft eine nochmalige Prüfung, die in Umgehung des Dublin-Verfahrens die Zuständigkeit nach Deutschland verschiebt.

Diese Praxis in Deutschland kann sich nicht auf die Legitimität der globalen Institution stützen. Dafür gibt es folgende Gründe: Christen dürfen und sollen auch in Deutschland Gesetze kritisieren. Ja! Aber die Anwendung des rechtswidrigen Kirchenasyls sät Misstrauen gegen unseren Rechtsstaat. Rechtsfreie Räume können nicht das Ziel sein. Kirchengemeinden schwingen sich auf, an rechtsstaatlichen Strukturen vorbei es besser zu wissen, was gerechtes Recht ist. Solche Debatten spalten auch die Gemeinden. Und Mehrheitsbeschlüsse eines Pfarrgemeinderates oder Presbyteriums dürfen nicht den Rechtsstaat aushebeln. Christen sollten ihren Versöhnungsauftrag nicht aus dem Blick verlieren. Ansonsten bereiten sie politischen Kräften den Weg, die alles andere wollen als einen Rechtsstaat. Die Praxis des Kirchenasyls führt zudem in den allermeisten Fällen zu einem Aufschub, nicht zum Bleiberecht und ist kaum ein wirksames Mittel zur Hilfe. Sicher ist dagegen der damit verbundene politische und mediale Druck, an einer unliebsamen Rechtslage etwas zu ändern. Dann ist das Kirchenasyl aber ein Instrument, ideologische Konflikte auszufechten. Die Flüchtlinge sind Mittel zum Zweck politischer Interessen. Das wäre im Sinne des kategorischen Imperativs von Immanuel Kant ein Verstoß gegen die Menschenwürde.

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Auch kommt der Verweis auf den barmherzigen Samariter an Grenzen. Eberhard Schockenhoff zufolge kann es nicht Christenpflicht sein, alles Leid der Welt zu lösen. Das Prinzip, dass wir nicht zu etwas moralisch verpflichtet sein können, was über unsere Kräfte geht, bewahrt davor, Kirchenasyl als Christenpflicht zu fordern. Das ist es nicht – Vorsicht vor moralischer Hybris. Ausdrückliche Verweise auf die Botschaft Jesu und das Ringen darum, ob diese Botschaft in der Asylpolitik Widerstand gegen das geltende Recht verlangt, kommen zudem in den öffentlichen Diskussionen ebenso zu kurz wie die Heiligkeit der Orte, die den Sonderstatus des Kirchenasyls erst möglich macht. Auch das spricht für eine politische Vereinnahmung des Themas.

Einzelschicksale können die aktuelle Praxis nicht pauschal rechtfertigen. Das wäre ein moralistischer Fehlschluss vom Einzelfall auf die Regel. Die gut gemeinte Praxis des Kirchenasyls in Deutschland steht so im Verdacht politischer Indienstnahme durch Kräfte, die womöglich mit Jesus und Rechtsstaat nicht viel zu tun haben. Sie hilft den Betroffenen am Ende wenig, stellt den Zeugnischarakter in den Hintergrund und höhlt die Legitimität dieser globalen moralischen Institution aus. Dem evangelischen Ethiker Reiner Anselm zufolge dürfen sich kirchliche Gremien nicht über den Rechtsstaat stellen. Im Namen der Barmherzigkeit wird sonst das Vertrauen in das Recht untergraben und sogar Willkür die Bahn bereitet. Die Gleichheit vor dem Recht wird gebogen durch individuelle Beziehungen zu Gremien und Netzwerken. Dramatische Einzelfälle sollten rechtsstaatlich im Rahmen bestehender Gesetze als Einzelfälle behandelt werden. Gerne mit Christen als Beistand, aber ohne Kirchenasyl. Dessen Anwendung sollte sich auf Unrechtsstaaten beschränken. Das stärkt seine Glaubwürdigkeit als wirksames letztes Mittel christlicher Humanität.

Der Autor ist Sozialwissenschaftler und Prorektor der Kölner Hochschule für Katholische Theologie.

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