Herr Schmitz, wie war die Stimmung auf der Wallfahrt? Gab es besondere Vorfälle?
Die Stimmung war wie immer irgendwo zwischen zwischen fromm und ausgelassen zugleich, und getragen von großer Freude. Aufgrund der großen Teilnehmerzahl mussten Kinder- und Familienchapitres erstmals in komplett getrennten Nachtlagern untergebracht werden. Außerdem musste die Kolonne der Erwachsenenchapitres aufgeteilt werden, um nicht eine zu große Zeitverzögerung entstehen zu lassen, so dass sich zum Beispiel am Pfingstsonntag drei Kolonnen parallel auf den Messplatz in Les Courlis zubewegten. Dies war notwendig, um einen einhaltbaren Zeitrahmen zu gewährleisten. Aus deutscher Sicht besonders war, dass erstmals einige amerikanische Familien von den Militärbasen in Deutschland bei unserer Pilgergruppe dabei waren. Zudem fing unser Bus aus Stuttgart in der Pfalz Feuer auf der Autobahn (zum Glück nur im Motorraum), so dass wir schon bei der Anreise ein Abenteuer zu bestehen hatten.
Wie viele Teilnehmer sind tatsächlich gekommen?
Mir sind keine anderen Zahlen als die benannten 19.000 bekannt. Da wir überbucht waren, konnten wir die meisten kurzfristigen Absagen durch Nachrücker auffüllen.
Wie deuten sie die Zukunft der katholischen Kirche in Frankreich, Belgien, Deutschland und Österreich nach dieser Erfahrung mit fast 20.000 jungen Menschen, die an Gott glauben und die die „Alte Messe“ anzieht?
Ich halte es für schwierig, aus dem Erfolg der Wallfahrt selbst einen Schluss auf die Zukunft der Kirche zu ziehen. Ja, die traditionelle Bewegung wächst, aber der Zusammenbruch kirchlichen Lebens, der uns in den nächsten zwanzig Jahren aufgrund demographischer Faktoren bevorsteht, wird sich davon nicht aufhalten lassen. Ich denke, wir müssen hier zwischen den deutschsprachigen Ländern und Frankreich unterscheiden. In Frankreich ist der traditionelle Katholizismus zwar eine Minderheit, hat aber aufgrund der Größe der Minderheit und der Existenz als eigene Subkultur mit eigenen Klöstern und Schulen zumindest eine gewisse gesellschaftliche Relevanz. Vielleicht flammen gerade deshalb in Frankreich die liturgischen Konflikte in einer Weise wieder auf, wie ich es in Deutschland nicht wahrnehme. In Deutschland sind wir ein „versprengter Haufen“ ohne Relevanz, auch wenn das Erleben auf der Wallfahrt selbst ein anderes sein mag. Trotzdem geht auch in Deutschland von der alten Messe aufgrund ihrer Authentizität eine gewisse Anziehungskraft auf junge Leute aus. Dies zeigt sich im Moment allerdings eher noch „im Kleinen“, also in der Beziehung zu Christus, die Menschen, oft aufgrund persönlicher Bekanntschaften, in der alten Messe finden. Ob daraus letztlich eine Bewegung erwächst, die die Zukunft der katholischen Kirche relevant beeinflussen kann, bleibt abzuwarten.
Stichwort „Alte Messe“: In welchen Riten wurde die Messe auf der Wallfahrt letztlich zelebriert? Konnte man Spannungen zwischen den Wallfahrern und der französischen Kirche durch konkrete Situationen spüren?
Alle Wallfahrtsmessen wurden im alten Ritus zelebriert. Allerdings gab es heftige Spannungen im Vorfeld. Ich möchte dazu auf das Statement der Organisation verweisen. Während der Wallfahrt selbst war für uns Pilger jedoch nichts davon zu spüren, einfach weil es gar keine Gelegenheit dazu gibt. Ich denke wirklich, dass manche Bischöfe nicht verstanden haben, warum die Wallfahrt so erfolgreich ist. Die alte Messe ist integraler Bestandteil der authentischen Erfahrung der Wallfahrt, die in Zeiten von Smartphone und KI die Anziehungskraft der Wallfahrt ausmacht und kann nicht einfach, wie es momentan verlangt wird, durch die neue Messe ersetzt werden, ohne den Charakter der Wallfahrt zu zerstören. Oder aber – was noch schlimmer wäre – man hat es verstanden, und möchte genau dies erreichen. Es gab ja auch lange die internationale Studentenwallfahrt Paris-Chartres, die im neuen Ritus begangen wurde. Meines Wissens nach existiert diese nicht mehr.
Was erhoffen Sie sich für die Zukunft der Wallfahrt? Welche Früchte trägt die Wallfahrt?
Zuerst erhoffe ich mir natürlich, dass die momentan existierenden Spannungen friedlich beigelegt werden können. Ich denke, die bisherigen Äußerungen Papst Leos XIV. geben hier Anlass zur Hoffnung. Zudem wünsche ich Notre Dame de Chrétienté neben dem diplomatischen auch viel organisatorisches Geschick – es wurde uns bereits angekündigt, dass große Anstrengungen unternommen werden werden, um noch mehr Menschen die Teilnahme zu ermöglichen – dieses Jahr mussten die Anmeldungen ja stark eingeschränkt werden. Die Früchte der Wallfahrt sind zunächst mal die Stärkung des Glaubens jedes einzelnen Teilnehmers. Darüber hinaus ergeben sich aber immer wieder besondere Gnaden. Dieses Jahr berichtete mir eine Mutter, dass ihr Sohn im Teenager-Alter letztes Jahr „auf der Kippe“ stand, was den Glauben betrifft. Und ihr zufolge kam er letztes Jahr ganz verändert von der Wallfahrt zurück, und konnte die Rückkehr nach Chartres dieses Jahr kaum erwarten. Ein anderer Fall ist eine ganze Familie, die von einer pietistischen Freikirche zum Katholizismus konvertierte, und auf der Wallfahrt die Pfadfinder der KPE kennenlernte und nun selbst eine Pfadindergruppe gründen will. Auch sind mir Fälle bekannt von Suchenden, die auf der Wallfahrt den letzten Schub bekamen, um zum Katholizismus zu konvertieren, sei es von der evangelischen Kirche, sei es vom Agnostizismus.
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