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Gregorianischer Choral: Kontaktstelle zu Gott

Wie ich den Gregorianischen Choral als ureigenen Ausdruck des katholischen Glaubens entdeckt habe.
Abbey. Solesmes. Sarthe. France. (Richard Manin)
Foto: Richard Manin via www.imago-imag (http://www.imago-images.de/) | Abtei Sankt Peter zu Solesmes: Aus diesem Kloster kommen Studien zu Liturgie und Geschichte des Gregorianischen Chorals, der für Sven Scheuren ein Weg "des Offenwerdens für das Wort Gottes" ist.

Der Gregorianische Choral ist die ureigene Musik der Kirche. Die Begegnung mit dem Phänomen Gregorianik als gesungenes Gebet führte mich ohne Umschweife auf den Weg des Kirchenmusikers. Wie bin ich dazu gekommen? Mein erstes Mitfeiern eines lateinischen Choralhochamts in Kindertagen bleibt für mich ein ebenso unvergesslicher wie wegweisender Eindruck.

Wege des Offenwerdens für das Wort Gottes

Es war an einem Pfingstmontag. Die Sonne bahnte sich plötzlich den Weg durch die prächtigen Kirchenfenster des Altarraums und spiegelte sich in den wunderbaren Gewändern und Kelchgeräten. Ich hörte zum allerersten Mal in meinem Leben eine gesungene lateinische Präfation. Diese Melodie, gefolgt vom Sanctus der I. Choralmesse und dem „Te igitur“ des Priesters schienen nun die in ehrfürchtiger Stille versammelten Gläubigen dem Himmel ganz nahezubringen, herausgelöst aus dem Alltag, damals etwas Unbeschreibliches wie Unbegreifliches. Ich vermochte es freilich nicht zu verbalisieren: diese Sicherheit, dass der Priester am Altar in persona Christi seinen Dienst vollzieht.

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Weitere Begegnungen mit Gregorianischem Choral in Benediktinerklöstern und besonders einem kleinen Wallfahrtsort des Bistums Trier, in welchem gesungene Choralämter noch bis in die 1990er Jahre selbstverständlich und regelmäßig waren, zeigten mir unmissverständlich den Gregorianischen Choral als meine „Kontaktstelle“ zum lieben Gott auf. Der stille Besuch einer Kirche, gemeinsames Verweilen vor dem Allerheiligsten, Rosenkranzgebet und der Gesang der Stille, Gregorianischer Choral als menschliche Entäußerung im Einklang von Glauben und gesungenem Gebet erwiesen sich immer wieder als stille Wege des Offenwerdens für das Wort Gottes, denn im Getöse des Alltags, aber auch in manch redseligem Gottesdienst und brausender Konzertveranstaltung bleibt das Innere dafür verschlossen.

Liebe zum ureigenen Gesang der Kirche

Im Studium der katholischen Kirchenmusik nahm das Fach Gregorianik über zehn Semester einen hohen Stellenwert ein. Intensive Studien der gregorianischen Semiologie, Neumologie, Modalität, Analyse und Vergleich alter Choralhandschriften, Analysieren und Sezieren gregorianischer Proprien und ihrer Notationssegmente haben wir mit Akribie betrieben. Das war durchaus spannend. In mir reifte eine tiefere Sehnsucht nach Regelmäßigkeit im Zusammenhang mit dem Gregorianischen Choral, welchem ja die Kirche innerhalb der Musica sacra den ersten Platz einräumt.

Bereits zuvor, an meiner ersten Organistenstelle, die ich mit 17 Jahren übernahm, baten mich die Sänger des Chores, doch einmal mit ihnen Choral zu singen, der seit zwei Jahrzehnten nicht mehr praktiziert werde. Zu meinem freudigen Erstaunen stellte ich fest, dass diese versierten Chorsänger die Messproprien der Hochfeste nicht nur immer noch nahezu auswendig, sondern auch regelrecht inwendig sangen, während ich als junger Kirchenmusiker am Choralbuch klebte. Das bleibt für mich damals wie heute unfassbar: Eine solche Liebe zum ureigenen Gesang der Kirche war einfach abgeschnitten worden.

Zwischen Himmel und Erde

Zu diesem Zeitpunkt ahnte ich nicht, dass mich der Weg einmal als Kirchenmusiker an die Wallfahrtskirche St. Maria in der Kupfergasse, die besondere Gnadenstätte der Schwarzen Muttergottes im Herzen Kölns, führen würde. Viele Gläubige kommen von nah und fern mit ihren Anliegen dorthin, um beim alten Gnadenbild zu beten und die Liturgie ehrfürchtig mitzufeiern. Als Kirchenmusiker ist es eine hohe Ehre, dort die zahlreichen gut besuchten Andachten, Sühnenächte, Heiligen Stunden, den Josefsmittwoch, Barmherzigkeitsfreitag, in diesem Monat die täglichen Maiandachten und festlichen Choralämter begleiten zu dürfen.

So konnte ich von meinem Vorgänger Georg Maessen, einem ausgezeichneten Kenner gelebter Gregorianik, die hervorragend geschulte „Choralschola an St. Maria in der Kupfergasse“, ein reines Frauenensemble mit dezidiert spiritueller Ausrichtung, übernehmen. Wenn Monsignore Thomas Vollmer, Wallfahrtspfarrer und Rector ecclesiae der Wallfahrtskirche, ein höchst musikbeflissener Zelebrant, sonntags die Oration im Anschluss an das „Asperges“ anstimmt und zu Hochämtern an Hochfesten die Präfation im „Tonus solemnior“ singt, werden die Herzen der Gläubigen in wunderbarer Weise zum Himmel erhoben und mit großer Dankbarkeit erfüllt. Der Boden wird bereitet, Gottes Wirken spürbar, es berühren sich Himmel und Erde.

Mehr als Kunst

Besonders beeindruckend war in diesem beruflichen Kontext sowie im Rahmen vertiefter Choralstudien die Begegnung mit Leben und Werk des als „Großmeister der Gregorianik“ bezeichneten Choralforschers Dom Joseph Gajard, Benediktinermönch der französischen Abtei St. Pierre de Solesmes. Am 25. April jährte sich sein Todestag zum 50. Mal. Nahezu sechs Jahrzehnte leitete er den Chor der Abtei Solesmes, eine besonders im Hinblick auf die Tätigkeitszeiträume von Chorleitern heutzutage unglaublich lange Zeitspanne, welche die großartige Kontinuität des Ensembles bewirkte.

Er hat erfasst, warum der Gregorianische Choral viel mehr ist als eine Kunst: „Er übersteigt die Musik unendlich, die für ihn nur ein Mittel ist. Er ist vor allem Gebet, besser gesagt: Das Gebet der katholischen Kirche, in der Fülle seines Ausdrucks. Er ist Angelegenheit der Seele und siedelt sich auf einer höheren Ebene an, so wie die gesamte Liturgie, woran er teilhat und von der er untrennbar ist. Er ist Spiritualität, eine Weise zu Gott zu gelangen, die Seelen zu Gott zu führen, ein äußerst wirksamer Prozess der Heiligung und des Apostolats.“ (Dom Joseph Gajard)

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