Das erste Osterfest ohne strenge Corona-Regeln glich in vielen Pfarreien einer Art Kassensturz: Wer kommt wieder in die Kirche? Wer zieht Fernsehmessen vor? Und wer hat nach zwei Jahren Pandemie den Anschluss verloren? Auch wenn die Sonntagspflicht wieder eingeführt ist, spüren die Gemeinden den Auszug der Gläubigen. 50 bis 60 Prozent Schwund gelten bei Kirchenchören inzwischen als normal. Noch härter trifft es oft die Ministranten. Vielerorts gilt nun banges Warten auf die Rückkehr der Gläubigen.
Potential der Wallfahrten
Eine durchweg gute Bilanz weisen die Wallfahrtsorte auf. Das ist bemerkenswert, da sowohl Marienverehrung als auch Volksfrömmigkeit im protestantisch gefärbten Katholizismus in Deutschland notorisch unterschätzt werden. In den Zukunftsvisionen des Synodalen Wegs spielen sie keinerlei Rolle.
Doch das Potenzial für die Erneuerung der Kirche zeigt sich gerade da, wo es viele Haupt- und Ehrenamtliche am wenigsten vermuten. Die Krisenfestigkeit der Gläubigen, deren Frömmigkeit marianisch und eucharistisch geprägt ist, hat sich in zwei Jahren Pandemie erwiesen. Trotz exorbitanter Spritpreise nahmen die Menschen weite Anfahrten auf sich. Und auch an Wallfahrtsorten, die derzeit durch Baumaßnahmen nur über eingeschränkte Möglichkeiten verfügen, kamen die Gläubigen zu Hunderten.
Kevelaer und Werl
Auch wenn Fußpilgern noch nicht alle Herbergen wieder zur Verfügung stehen und die Zahlen nicht ganz an die des Jahres 2019 heranreichen, gibt es hoffnungsvolle Zeichen für die bevorstehende Wallfahrtssaison, weil viele Wallfahrtsgruppen und Individualpilger „ihrem“ Marienheiligtum die Treue halten. So laufen die Anmeldungen der Gruppen in Kevelaer so gut, dass das Pilgerjahr in großen Teilen wieder wie gewohnt stattfinden kann. In Maria Vesperbild und in Maria Engelport wächst die Vorfreude auf die bald fertig restaurierte Basilika.
In Werl hat der Paderborner Erzbischof Hans-Josef Becker an Ostern das neue Pilgerkloster eingeweiht und damit ein Willkommenssignal an junge Pilger ausgesendet. Ein überdurchschnittlich junges Publikum sucht auch die Abtei Marienstatt, den Marienwallfahrtsort des Westerwaldes, auf. Das eindrucksvolle Zusammenspiel von lateinischem Choral und zisterziensisch geprägter Marienverehrung zog über Ostern zahlreiche Gläubige in die Gottesdienste der Mönche.
Gut besuchte Messen
Gute Nachrichten kommen zudem von der Wallfahrtskirche der Schwarzen Muttergottes in der Kölner Kupfergasse. Dort gelingt die Verbindung von gregorianischem Choral und marianischer Frömmigkeit. Das vollständige Comeback der Schola und die überdurchschnittlich gut besuchten Messfeiern fallen dort ebenso auf wie die große Treue der jungen Familien. Gute Familienarbeit zeichnet auch die Seelsorge in Neviges und Schönstatt aus.
Gute Nachrichten sind eine Analyse wert. Was zieht die Wallfahrer an? Viele Fehler, die den Gemeinden die Freude an der Liturgie verdorben haben, sind an Marienwallfahrtsorten erst gar nicht begangen worden. Zu den Pluspunkten gehören in der Regel eine Zelebration, die keine Spielwiese für Laien mit Hang zur Selbstdarstellung ist, die Qualität und Bandbreite der Kirchenmusik, die lateinischen Choral ebenso berücksichtigt wie traditionelle Marienlieder, engagierte Seelsorger, die sich nicht scheuen, für die Beichte und die eucharistische Anbetung zu werben und das Heimatgefühl der Menschen achten.
Integrationskraft
Die Integrationsfähigkeit von Gläubigen aus anderen Kulturkreisen ist eine der größten Stärken der Heiligtümer. Hier fühlen sich auch Katholiken anderer Muttersprache wohl, denen in mancher Gemeinde strenger deutscher Stallgeruch in die Nase steigt. Es muss nicht jeder für jede Andacht begeistert werden. Aber zur blasierten Arroganz mancher katholischer Reformkreise in Deutschland gegenüber den einfachen Gläubigen stellen Marienwallfahrtsorte derzeit die glaubwürdigste Alternative dar.
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