Glasmalerei

Symphonie aus Licht und Farbe zaubert Mystik

Quer durch die Metropole am Rhein führt der Weg hin zum Herzen der Stadt: dem Kölner Dom und zu einem Fenster, das bei seiner Enthüllung 2007 für viel Furore sorgte .
Richter-Fenster im Kölner Dom
Foto: Oliver Berg/dpa | Unverzichtbarer Bestandteil eines Spaziergangs durch Köln: Das von Gerhard Richter gestaltete 113 Quadratmeter große Domfenster.

Seit wenigen Wochen schweben sie wieder, die kleinen Gondeln der Kölner Seilbahn. Einst zur Bundesgartenschau errichtet, befördert die Seilbahn seit nunmehr knapp sechzig Jahren rund eine halbe Million Fahrgäste pro Jahr von einem Rheinufer zum anderen. Sie gehört zu den beliebtesten Sehenswürdigkeiten der Stadt, denn über der Rheinmetropole zu schweben, ist schon etwas ganz Besonderes. Der Blick von hier oben reicht vom KölnTriangle – der Glas- und Aluminium-Turm prägt mit einer Höhe von 103 Metern seit 2006 das rechte Rheinufer – und dem alten Messeturm, unverkennbar an dem RTL-Schriftzug, über die Hohenzollernbrücke hinüber auf die andere Rheinseite nach Sankt Kunibert und den Musical Dome bis zum Kölner Dom, der wie kein anderer das Bild der Stadt bestimmt.

„Mit Hilfe eines Zufallsgenerators legte der Künstler Gerhard Richter
die Verteilung der Hälfte der Farbquadrate fest und spiegelte die so festgelegte Reihenfolge
in der anderen Fensterhälfte“

Nach einer Viertelstunde endet die Fahrt, wo sie begann: direkt am Kölner Zoo. Hier freuen sich Giraffe, Tiger und Co. nach monatelanger coronabedingter Schließung endlich wieder Besucher zu begrüßen. Vom Zoo bietet sich auf dem Weg in Richtung Altstadt ein Abstecher in den Skulpturenpark an. Von drei starkbefahrenen Straßen umgeben, ist der Skulpturenpark ein Ort der Ruhe und der Stille, an dem man vom tosenden Großstadtverkehr nichts mitbekommt und voll und ganz in den Kunstgenuss der einzelnen Skulpturen eintauchen kann.

Einmal quer durch das Agnesviertel hindurch, das seinen Namen dem neugotischen Kirchenbau verdankt – übrigens dem zweitgrößten in Köln nach dem Dom –, den der Bauunternehmer Peter Joseph Roeckerath zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts zu Ehren seiner Frau Agnes errichtet ließ, und sich mit seinen wunderschönen Stadthaus-Fassaden, gemütlichen Cafés und Einkaufsläden bei den Kölnern großer Beliebtheit erfreut, erreicht man den Eigelstein und die charakteristische Eigelsteintorburg. Sie ist eine von vier heute noch erhaltenen Torburgen und gehörte zum einstigen mittelalterlichen Befestigungsring der Stadt. Viel älter als die Burg ist die Eigelstein-Straße selbst. Ihre Wurzeln reichen zurück in die Römerzeit.

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Der Boom begann mit dem Einzug der Heiligen Drei Könige

Einst erstrecken sich hier Gräber, die oftmals mit steinernen Pinienzapfen dekoriert waren, die die Kölner fälschlicherweise für Eicheln hielten. So wurden die vermeidlichen „Eichelsteine“ zum Namensgeber des ganzen Viertels und der Eigelstein gilt heute als ältester Veedel Kölns. Wie für römische Straßen üblich verläuft auch der Eigelstein schnurgerade. Nach einem knappen Kilometer stadteinwärts stößt man fast unmittelbar auf die Domplatte und hat mit ihr das Herz der Stadt erreicht: den Kölner Dom. Unterhalb der Domplatte vermittelt ein 1:1-Modell einer Kreuzblume mit rund fünf Metern Durchmesser und einer Höhe von etwa acht Metern sehr anschaulich die gigantischen Ausmaße des Doms. In 150 Metern Höhe zieren sie die Spitzen des Nord- und Südturms.

Als der Kölner Erzbischof Rainald von Dassel im Juli 1164 die Gebeine der Heiligen Drei Könige aus Mailand nach Köln brachte, stand hier an Ort und Stelle noch der karolingische Vorgänger, der sogenannte Hildebold-Dom. Ein moderner Bau im gotischen Stil sollte den Heiligen Drei Königen zu Ehre erbaut werden und mit seiner Pracht und Größe Heerscharen an Pilgern in die Metropole am Rhein locken. Erst 84 Jahre später folgte im Jahr 1248 der Startschuss für den Neubau. Etwas schneller war man mit dem Reliquiar: der goldene Dreikönigsschrein, in dem die Gebeine der Heiligen Drei Könige aufbewahrt werden, entstand zum Ende des zwölften Jahrhunderts und ist eine der kunstvollsten Goldschmiedearbeiten des Mittelalters. Die Baugeschichte des Kölner Doms ist lang und auch wenn das Jahr 1880 immer wieder als Jahr der Fertigstellung genannt wird, so richtig fertig wird der Dom wohl nie.

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Sieben Jahrhunderte, fünf Stilepochen, eine Bauzeit

Irgendwo hängt oder steht immer ein Gerüst am gotischen Prachtbau. Was aber auch gut so ist, denn will man dem Kölschen Aberglauben glauben, so geht mit der Fertigstellung des Doms die Welt unter. Vorbei an den Domschweizern am Eingangsportal geht es hinein. In ihren traditionellen rot-schwarzen Roben achten die Männer und Frauen –erst seit Frühjahr 2019 ist die weibliche Unterstützung erlaubt – im Dom auf ein dem Ort angemessenes Benehmen der Besucher. Das Gewusel am Ein- und Ausgangsbereich muss man ausblenden, um sich ganz schnell auf die einmalige Atmosphäre dieses ganz besonderen Ortes einlassen zu können. Die Bauzeit von sieben Jahrhunderten, die fünft verschiedene Stilepochen umfassen, merkt man dem Hauptschiff kaum an, die Architektur wirkt einheitlich und harmonisch. Bis in den Himmel scheint das von unzähligen Pfeilern getragene 43 Meter hohe und 120 Meter lange Hauptschiff zu reichen.

Wie in den französischen Vorgänger-Bauten von Chartres, Reims und Amiens wird die Stimmung im Kircheninnern von unzähligen Fensterflächen bestimmt. Rund zehntausend Quadratmeter umfassen die Fensterflächen im Kölner Dom, wobei nur ein Bruchteil – etwa tausend Quadratmeter – mittelalterlichen Ursprungs ist. Einzigartig unter den gotischen Kathedralen blieb das durch Pastelltöne erzeugte Farb- und Lichtspiel im Chorbereich. Nicht weniger einzigartig ist die Wirkung des südlichen Querhausfensters. Unzählige Farbquadrate zaubern hier einen Flickenteppich aus Farbe auf den Kirchenboden, dessen einzelne Nuancen so harmonisch aufeinander abgestimmt erscheinen, dass, wären sie Noten, eine wunderbare Symphonie erklingen würde.

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Der Zufallsgenerator gab die Farbgebung vor

Genau gesagt sind es 11 263 Quadrate aus mundgeblasenem Antikglas in 72 Farbtönen, die mit einer Kantenlänge von 9, 6cm in Längsbahnen unterteilt, eine Gesamtfläche von 106 Quadratmetern überziehen. Mit Hilfe eines Zufallsgenerators legte der Künstler Gerhard Richter die Verteilung der Hälfte der Farbquadrate fest und spiegelte die so festgelegte Reihenfolge in der anderen Fensterhälfte. Die untere Fensterzone sowie der obere Maßwerk-Bereich heben sich durch eine leicht abweichende Nuancierung etwas vom Mittelteil des Fensters ab. Je nach Sonnenschein, Tages- und Jahreszeit entstehen im Innenraum die unterschiedlichsten Farbsymphonien.

Das einstige Fenster von 1863, das weltliche und christliche Herrscher gezeigt hatte, war im Zweiten Weltkrieg zerstört und durch ein schlichtes Ornament-Fenster ersetzt worden. 2003 entschied das Kölner Domkapitel, das im Dom das Sagen hat, das südliche Querhausfenster zu erneuern und schrieb einen Wettbewerb aus. Zunächst schwebte dem Domkapitel eine figürliche Darstellung vor, die die Märtyrer des zwanzigsten Jahrhunderts thematisieren sollte. Doch keiner der eingereichten Entwürfe überzeugte. So konnte sich Gerhard Richter, den die ehemalige Dombaumeisterin Barbara Schock-Werner um einen Entwurf gebeten hatte, mit seinem abstrakten Regenbogenteppich durchsetzen und erhielt 2005 zunächst die Erlaubnis, an seiner Idee weiterzuarbeiten, bevor er 2006 endgültig den Auftrag erhielt. Monate der Planung und Vorbereitung waren der Enthüllung des Fensters im August 2007 vorangegangen und auch so mancher Streit.

Allen voran zeigte sich der damalige Bischof von Köln, Joachim Kardinal Meisner, alles andere als begeistert vom neuen Fenster. Seiner Meinung nach passe das Fenster besser in eine Moschee, da es am Bezug zum christlichen Glauben fehle. Meisner spielte sogar mit dem Gedanken, die Kathedra auf die andere Seite des Altars zu versetzen, um so während der Messe das Fenster nicht auch noch ständig sehen zu müssen. Dazu kam es zum Glück nicht. Das Domkapitel konnte Meisner besänftigen und bedauerte später, den Bischof nicht intensiver in die Planung miteinbezogen zu haben. Mit den Jahren verstummten die kritischen Stimmen und die meisten Gegner haben mit dem Richter-Fenster ihren Frieden gemacht.

Ja, es stimmt, Richters Fenster zeigt keine Heiligen und erzählt auch keine ihrer Geschichten, doch wie seine gotischen Vorgänger erzeugt es eine mystisch-magische Stimmung und steht somit wie sie für die Idee des Göttlichen und die Allmacht Gottes in all ihren Farben.

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