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Die Utopie in Theorie und Praxis

Fortsetzung des Sommerkurses der Gustav-Siewerth-Akadamie mit Vorträgen von Thomas Sören Hoffmann, Guiseppe Gracia und Thomas Möllenbeck zur Utopie.
Thomas Möllenbeck bei Sommerkurs der Gustav-Siewerth-Akadamie
| Der Theologe Thomas Möllenbeck spricht über das unstillbare Heimweh nach Transzendenz.

Eine theoretische Einordnung der Utopie nahm der Philosoph Thomas Sören Hoffmann vor. Der Professor ordnete Utopien systematisch vier Grundbedeutungen zu. Zunächst die Benennung einer literarischen Gattung, diese hatte das Auditorium schon mit der Utopie des Thomas Morus kennengelernt. Ferner die evaluativ ausgerichtete, die ideologische Utopie wie im Marxismus oder Messianismus letztlich jene Form, in der der Mensch eine ontologische Sonderstellung einnimmt und sein eigener Former und Bildner wird. 

Systematische Einordnung

Im weiteren Verlauf stellte Hoffmann den Menschen als utopisches Wesen vor. Schon die Sündenfallerzählung, die Hoffmann als Beispiel nahm, zeige, dass der Mensch von Anfang an nicht reale Dinge habe denken können. Die Schlange habe den Menschen mit „Ihr werdet sein wie Gott“ gelockt, die Frau habe auf die Vorstellung hin die Frucht genommen. Um die Systematik der Utopie zu verfeinern identifizierte der Philosoph drei Kategorien. Die „Utopie der Aufwandslosigkeit“ als dem Grunde nach reines phantasieren. Die Folgen, so Hoffmann hätten die Universitäten erreicht. Man könne keine echte Hochschulreife mehr voraussetzen. Weiter die „Utopie der Verantwortungslosigkeit“. Es handele sich um eine reale Weltgestaltung. Handelnde übernehmen gar keine Verantwortung mehr.

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Die Verantwortung werde an den U-Topos, den Nichtort verlegt. Als letzte Stufe die „Utopie der Machenschaft“, die auf auf technisch möglichem beruht, jedoch keine Gerechtigkeit, Bildung oder Ethik mehr kennt. Es gehe nicht um Bilden auf Aufklären, sondern nur Wissensmanagement. Vertreter dieser Form träumten Hoffmann zu Folge von der posthumanen oder postbiologischen Gesellschaft. Das sei derzeit eher Science fiction als Wirklichkeit 

Tugend als Hoffnung 

Abschließend stellte Hoffmann die Tugend als Alternative zur Utopie vor. Die Tugend der Hoffnung sei die belebte Antwort auf das utopische Wesen des Menschen. Die Utopie bleibe für immer der Nichtort, nicht aber der Ort an dem alle Fragen gelöst seien. Tugend gehe auf ein immanentes Ziel zu. Es gebe hingegen keine Tugend in der Ortlosigkeit. Tugend nannte Hoffmann eine Wesensform, die situationsbedingt variabel aber anhaltend vorhanden sei und diese münde in ein wahrhaft menschliches Handeln. „Tugend ist Antwort auf drei genannten Utopien“, so Hoffmann, „der Mensch ist bei sich und bei den anderen. Der Tugendhafte hat seinen Platz gefunden und füllt ihn aus.“ 

Utopie in der Praxis

Es schloss sich ein Vortrag von Giuseppe Gracia an, der die Utopie in ihren praktischen Konsequenzen vorstellte. Diesen Vortrag stellte Gracia unter drei Leitfragen nach Utopia Methode als Instrument des Kulturkampfs, die Reaktionen der Leitung der Kirche und dem Nachdenken über Alternativen, Chancen und Gefahren. 

Internationale Organisationen und Konferenzen riefen globale Krisen aus, die nach einer Zentralisierung der Macht verlangten. Krisen als Legitimation für ein Zurückbinden von Demokratie und Föderalismus. Um zu erklären, wie das funktioniert, erklärte Gracia vergleiche man eine vorgefundene menschliche oder gesellschaftliche Realität mit einem Wunschbild, das nirgends existiere und nur dazu diene, Fundamentalkritik zu legitimieren. „Die Utopia-Methode“, so Gracia, „führt zu einer von der Realität abgekoppelten Moralisierung der Politik.“

Die Reaktion der Kirche auf diese Situation führte Garcia auf die Spitze, gerade die Unterscheidung zwischen Seelsorge und Verkündigung werde nicht mehr gemacht. „Ich würde sogar sagen: eine massenmedial ausgetragene Seelsorge ist an die Stelle der Glaubensverkündigung getreten“, so Gracia. Wenn zum Beispiel ein Seelsorger, der die Menschen liebe, so Gracia, einem Homosexuellen sage, er wolle ihn nicht verurteilen, so sei das christlich. „Aber wenn sich, rein hypothetisch“, fuhr Gracia fort, „dieser Seelsorger in einem Flugzeug befindet und das Gleiche zu den Medien sagt, dann dringen seine Worte in den politischen und kommerziellen Raum der massenmedialen Verwertung. Dann wird daraus Politik.“

Er hoffe, dass eines Tages wieder mehr öffentliche Stimmen zu hören seien, die unsere Zeit im Licht des Evangeliums deuten. Guiseppe Gracia schloss mit einem Zitat von Papst Johannes Paul II., dass der Kampf um die Seelen, so der Heilige Papst in der Kommunikation stattfinde. 

Unstillbare Hoffnung 

Der dritte Tag des Sommerkurses startete mit einem Vortrag von Thomas Möllenbeck über „Unstillbares Heimweh nach Transzendenz. Freiheit – Individualität – Unendlichkeit“. Es gehe, so Möllenbeck um historische Analysen des Gedankens der Freiheit. Ein Prozess der rund 500 Jahre dauere, habe dazu geführt, dass wir in einer subjektivistischen Gesellschaft leben. Es sei der Weg von einer Außensicht (Objektivierung) zu einer Innensicht (Subjektivierung). Eine metaphysisch-philosophische Untersuchung der Freiheit müsste zu Gott führen. 

Was hat es mit dem „Unstillbaren Heimweh nach Transzendenz“ auf sich? Diese Frage stellte Möllenbeck an den Anfang. Ein neuer Beweis aus dem Inneren des Menschen solle den alten Beweis von außen ersetzen. Das komme dem modernen Autonomiedenken entgegen. Daher habe sich die neue Methode auch Immanenzapologetik genannt, weil sie die Transzendenz vom Inneren des Menschen her denken wollte. In der zweiten Etappe warf der Professor einen Blick in ein Kinder- und Jugendbuch, um ein Gedankenexperiment zu führen. Es schloss sich eine historische Analyse an.

Die christliche Eschatologie, die Lehre von den Letzten Dingen, d.h. von der ewigen Zukunft der Menschheit, von der „Hoffnung, die uns erfüllt“, formuliere die wahre Antwort und könne dies, weil sie die Selbstoffenbarung Gottes, des Schöpfers, Erlösers und Vollenders als wahres Fundament der theologischen Wissenschaft anerkenne. Ausgehend von der jüdisch-christlichen Protologie zeigte Möllenbeck, dass auch die Freiheit des Menschen eine Neuschöpfung Gottes sei. 

Seit die Menschheit die lebendige Gemeinschaft mit Gott verloren habe, fuhr der Theologe fort, er nannte es das bewusste Leben der Menschen, wie es der „wahre Mythos“ vom Sündenfall erzähle, seitdem nicht auf die Verklärung, sondern auf den Tod vorauslaufe.
Angesichts der Mythen und Riten, die vor allem dieser Ahnung Ausdruck verliehen: „Mit dem Tod kann nicht alles aus sein!“, könne man sehen, dass dem Menschen ein natürliches Verlangen nach Gottesschau eingeschaffen sei. Die Selbsterkenntnis müsse unbedingt von Gott her kommen. Möllenbeck verwies dazu auf den Hebräerbrief.

Harry Potter und der Spiegel

Den zweiten Teil leitete Möllenbeck mit der Erzählung des magischen Spiegels aus Harry Potter ein. Harry müsse herausfinden, wer er sei. Der Spiegel diene zur Unterscheidung der Geister. Mit dem Jugendroman sieht der Theologe das neuzeitliche Machbarkeitsdenken und die Unterwerfung der Natur mit Hilfe von Technik und Naturwissenschaften problematisiert.

Anhand der Geschichte von Harry Potter stellt Möllenbeck dar, wie die Entscheidung für das Gute oder Böse im Kern aussieht. Er legt dazu die Bilder des Buches, den Stein der Weisen sowie den magischen Spiegel aus Muster aus. Vor dem Spiegel und durch den Spiegel komme es Möllenbeck zu Folge also zu einer Art Gericht über das Individuum: „In wem der Spiegel die gute Haltung und Neigung wahrnimmt, der erhält den Lohn, wessen Herz ein böses Verlangen beherbergt, geht leer aus.

Die Moral

Die Moral von der Geschichte ist, dass es den objektiven Unterschied zwischen Gut und Böse ist, der bis ins Innerste des Menschen wirkt“, so der Theologieprofessor. Am Ende des Buches werde die moderne Auffassung zurückgewiesen, alle moralischen Bewertungen seien subjektiver Natur, es gebe keinen objektiven Unterschied zwischen Gut und Böse, sondern nur die Macht, eine Ansicht, einen Wert durchzusetzen.

Zurück auf den Spiegel kommend, fragt Möllenbeck, was wir sähen, schauten wir in den magischen Spiegel? Uns selbst im Kreise der Heiligen? „Kommt es vielleicht auf die menschliche Reife an, was wir sähen?“ Es folgt eine historische Analyse an Hand verschiedener Bücher, die Möllenbeck kurz in wenigen Sätzen besprach. 
Die Sommerakademie der Gustav-Siewerth-Akademie geht noch bis zum morgigen Samstag. DT/pwi

Lesen Sie in der kommenden Ausgabe der Tagespost einen umfassenden Bericht über den diesjährigen Sommerkurs der Gustav-Siewerth-Akadamie.

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